Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe

Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe - Wilhelm  Raabe


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bedeute, das er in die Waagschale warf, in der eine menschliche Existenz gewogen wurde. Glücklicherweise war in dem Bureau Nummer dreizehn ein anderer gegenwärtig, der sich vorgenommen hatte, auf eine andere Art in das Leben Robert Wolfs einzugreifen, als der Polizeirat Tröster es vermochte.

      »Wolf«, sagte der Polizeirat, »Eure Angelegenheit hat sich zum besten gewandt. Wir wollen unsererseits den achttägigen Arrest als eine genügende Strafe Eures unbesonnenen Verhaltens, Eures ungebührlichen Betragens ansehen, andererseits ist auch auf Bitten des Herrn von Poppen die Sache niedergeschlagen, und – Sie sind frei, Robert Wolf. Hier soll ich Ihnen eine Banknote geben, welche von der ebenerwähnten Seite kommt. Nehmen Sie und verwenden Sie das Geld – «

      »Von ihm, von ihr meine Freiheit? Von ihm, von ihr dieses Geld?« schrie Robert Wolf, und es wurde wieder einmal deutlich, daß Maler und Bildhauer, um Charakterköpfe zu studieren, sich häufiger auf dem Polizeibureau einfinden sollten. »Herr, Herr«, rief der Knabe aus dem Walde, »o Herr, lassen Sie mich wieder in das Loch sperren! O die Schlechte, die Schändliche!«

      Die Stimme versagte dem Jüngling, erstickt durch Grimm und Tränen; so sank er auf die Bank, auf welcher vorhin Konrad von Faber gesessen hatte. Der Schreiber flüsterte dem Rat etwas ins Ohr, dieser sah ihn höchst verwundert an, nickte dann mit dem Kopfe und trat von seinem Schreibtische gegen die Armesünderbank heran, die Banknote des Barons von Poppen in der Hand:

      »Herr Robert Wolf –«

      Mit geballter Faust sprang der Angeredete drohend wieder in die Höhe.

      »Was treibt Sie, junger Mann?« fragte der Beamte würdevoll, aber doch einen Schritt zurückweichend. »Halten Sie sich ruhig. Es steht in Ihrem Belieben, dieses Geld zu nehmen oder es von sich zu weisen.«

      »Auch meine Freiheit will ich nicht haben durch ihre Gunst und Gnade!« rief Robert Wolf. »Wenn es Gerechtigkeit ist, daß ich ins Gefängnis komme für das, was ich tat, so will ich eingesperrt sein, so wie es im Gesetzbuch steht, bis an meinen Tod. Denen aber will ich nichts verdanken – nichts, nichts!«

      Der Hauptmann von Faber murmelte vor sich hin: »Eine Doppelbüchse, ein Roß und die Prärie«; der Schreiber Friedrich Fiebiger aus Poppenhagen gab seinem Vorgesetzten abermals ein Zeichen, und letzterer sagte darauf ganz kurz zu dem Jüngling:

      »Treten Sie noch einmal ab, Wolf! Ich werde Sie sogleich wieder rufen lassen.«

      Jetzt steigt Fiebiger von seinem hohen Dreifuß, nach der Entfernung Robert Wolfs, herab und tritt – mehr in die Mitte dieser Geschichte, wenn auch grade nicht ganz in den Mittelpunkt, den eine Geschichte in dieser Zeit des breiten Lebens selten mathematisch genau haben kann.

      Da stand der Schreiber Friedrich Fiebiger aus Poppenhagen im Winzelwald, hager und, wie es schien, etwas hungrig, sehr ältlich, gelblich und blutleer, gekleidet in abgetragenes Schwarz. Da stand er und ließ die kleinen glänzenden Augen von einem der beiden anwesenden Herren zum andern gleiten. Ich suche nach einem Gleichnis, welches die Erscheinung des Mannes klarer vor die Einbildungskraft führe, und nichts fällt mir ein als ein auch dem Einfall nahes, hohes, altes, schmales Haus in der Altstadt, ein Haus, zur Seite geneigt, gestützt und vernachlässigt, ein Haus, in dessen zweifenstrigem Erker, den Wolken so nahe als möglich, ein Freund von mir wohnte, ein Narr, der seine Gedichte nicht niederschreiben konnte, weil er niemals einen Reim finden konnte, ein armer Teufel, der mit der Welt spielte wie Zeus, der Vater der Götter, und am Nervenfieber starb. Wie oft bin ich in spätester Nachtstunde durch das Schleichgäßchen geschlichen, aufblickend zu diesen beiden hellen Fenstern! Alles war dunkel und schmutzig dann. Nur die beiden Fenster leuchteten in die Nacht, und diesen beiden Fenstern vergleiche ich den spaßhaften Glanz in den Augen des Polizeischreibers Friedrich Fiebiger, wie ich seinen übrigen Leib leider dem wackligen Hause Nummer vierundachtzig im Schleichgäßchen vergleichen kann.

      Da stand der Mann, rieb die magern Hände aneinander und sagte:

      »Ich muß um Verzeihung bitten, Herr Rat, wenn ich mich bei dem, was ich zu sagen habe, nicht so kurz fassen kann, wie ich wohl möchte.«

      Der Polizeirat und der Hauptmann sahen in demselben Tempo beide nach der Uhr.

      »Manches Jahr habe ich«, fuhr der Schreiber fort, »an diesem Pulte verschrieben. Wie ich hoffe, zur Zufriedenheit meiner Vorgesetzten.«

      Der Polizeirat, welcher allmählich anfing, sich nach seinem Whisttisch zu sehnen, nickte energisch, was ebenso gut heißen konnte: ›Jawohl, Sie schreiben die leserlichste Hand, die mir jemals vorgekommen ist!‹ als auch: ›Ich bitte Sie inständig, fassen Sie sich so kurz als möglich.‹

      »Wie der Herr Rat weiß«, sprach Fiebiger, »hat man an dieser Stelle mehr mit der Schattenseite als mit der Lichtseite des Daseins zu tun. Man atmet aber in einer Atmosphäre, die den Menschen alt werden läßt, weil sie ihm die Seele gerbt – ‘s ist ein fortwährendes Stahlbad, höchst gesund, zu gesund.«

      Seufzend gab der Polizeirat seinem Protokollführer recht, und der Hauptmann strich eifriger seinen Bart.

      »Ich kann’s mir nicht verbergen«, fuhr der Schreiber fort, »ich bin alt geworden; die allzu gesunde Atmosphäre fängt an, meine Nerven anzugreifen. Ich hätte es nimmer für möglich gehalten. Die Gespenster, welche ich in diese Register eingeschlossen habe, fangen an, sich zu rächen; sie bekommen ein kurioses Leben, kriechen hervor aus ihren Foliobänden, schlüpfen durch das Schlüsselloch und kommen nächtlicherweile vor mein Bett, ihren Spaß mit mir zu treiben. Es ist ein grimmiger Spaß, und ich bin ein alter, einsamer Mensch. Als ich jung war, habe ich wohl mit Händen und Füßen um mich schlagen und treten können; da hatte das Gesindel noch Respekt. Jetzt kann ich nur die Bettdecke über den Kopf ziehen; aber die Gespenster sind schlau, sie wissen mich doch darunter zu finden. Sie machen Stimmen nach, Stimmen, welche ich seit vierzig Jahren in diesem Hause gehört habe. Sie weinen und wimmern wie Kinder, sie kreischen wie Weiber, sie fluchen auch wohl ein wenig. Dann kommt dazwischen ein Lachen, und das fürchte ich am meisten, es ist das echte, das wirkliche und wahre Sich-zu-Tode-Lachen. Zum Exempel, das junge Weib, welches wir neulich hier vernahmen und welches am folgenden Tage im Krankenhaus starb, lachte so. Was soll man dagegen machen?«

      »Sie hätten heiraten sollen, Herr Fiebiger«, meinte der Hauptmann, welcher ein eingefleischter Hagestolz war. Der Polizeirat, welcher zu Haus eine Polizeirätin hatte, seufzte:

      »Vollständig hilft das auch nicht, Faber.«

      Der Schreiber blickte seinen Vorgesetzten wehmütig an:

      »Um sich gegen das Alter zu schützen, muß man sich geistig an der Jugend erwärmen, wie der König David in seinen spätem Jahren sich körperlich daran wärmte. Ähnlich wie der Knabe im Vorzimmer bin ich auch vor langer Zeit aus dem Winzelwalde in dieser Stadt angekommen. Ich könnte darüber auch meine Geschichte erzählen, aber es würde zu nichts führen; ich will nur sagen, daß dieser Robert Wolf und ich Landsleute, daß wir beide Hintersassen der Herren von Poppen sind und daß mir der Junge ungemein gefällt. Er hat mir meine ganze Jugendzeit wieder lebendig gemacht, und seit ihn der Herr Revierleutnant Kirre hierher sandte, sind die oben besprochenen Gespenster in ihre Folianten zurückgekrochen; mit ändern Gedanken habe ich mich umhergetragen. Ich habe den Burschen studiert, wie man ein Buch studiert, und jetzt bin ich zu einem Entschluß gekommen: Ich bitte den Herrn Polizeirat gehorsamst, mir besagten Robert Wolf aus Poppenhagen mit Haut und Haar zur weitern Verfügung zu überlassen.«

      »Sie wollen also wirklich?« fragte der Polizeirat Tröster.

      »Was?!« rief der Hauptmann von Faber.

      »Ich fürchte mich daheim vor diesen Bänden«, sagte der Schreiber, wieder die Hand auf die Registerbände legend. »Ich habe ein zu gutes Gedächtnis für das, was ich hier eintragen muß. Ich kann nicht mehr allein sitzen in meiner Stube. Ich will die Seele dieses Knaben retten, und er soll mir das Licht der Jugend vorantragen auf dem dunkeln Weg ins Grab.«

      »Fleck getroffen! Bravo!« rief Konrad von Faber, der Polizeirat jedoch meinte kopfschüttelnd:

      »Haben Sie sich das wohl recht überlegt, Fiebiger? Sie bei Ihrem jämmerlichen Einkommen wollen sich eine solche Last, eine solche


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