Die wichtigsten Novellen, Romane & Erzählungen von Wilhelm Raabe. Wilhelm Raabe
Stuhl herunter gekommen ist, weiß ich nicht: herunter war er, und – fertig war er auch! Gundermann rief mit wackliger Stimme Bravo! – Der Unsinn ergriff und schüttelte mich wie im Fieber, auch ich fing an, in Zungen zu reden – der Himmel möge es mir verzeihen! – – –
»Ich trank mit den Genossen meiner Jugend! Wild waren unsere Gesänge, und die Becher schäumten über: Krieg den Göttern und der Liebe! – Die heiligen Gefäße und Opferschalen aus dem Tempel der Menschheit zertrümmerten wir an den Wänden, und Weitenweber sagte gähnend: Recht so, mein Sohn, du machst deinem Erzieher Ehre! – Mit der Glut der Leidenschaft des Augenblicks füllte ich den Becher meines tollen Herzens! – Fluch der Liebe! –
Fluch der Liebe! Der Liebe Fluch! tobten die Genossen, und Weitenweber lachte, aber die Nacht verschlang den Schall der Lästerung. Stille ward’s! wir hörten unsere Pulse klopfen, und Mitternacht verkündete die Domuhr. Die Lichter brannten rötlich trübe – schwer und beängstigend senkte sich der Zigarrendampf herab auf uns – und die Gesichter der Freunde wurden bleich; nur Weitenweber sah gelb aus wie gewöhnlich. – – –
Fluch der Liebe! rief ich noch einmal im Wahnsinn; aber meine Stimme war wie die des lebendig Begrabenen! – – –
Sieh – sieh – und sieh! an der Wand erschien es! – Eine Hand, eine kleine, weiße Hand – zog mit zartem, rosigen Finger wundersame Zeichen –
Weh, mein armes, armes Herz!
Weh, mein armes, armes Herz!
Was half’s, daß die Magier kamen? Aus Halle Tholuck und Leo und Müller; Stahl und Krummacher und Hengstenberg aus Berlin! Sie verstanden die kleine, weiße Hand ja doch nicht – sie vermochten ja doch nicht zu lösen die süß-schaurigen Züge!
Was half mir die Lehre von der Sünde? Was half mir die evangelische Kirchenzeitung und die Zeitschrift für die unierte Kirche?
Cäcilie! O Cäcilie, Cäcilie!«
Alexander Mietze erhob sich gleich einem Geiste und blickte mir, mit offenem Munde, so fest als möglich ins Gesicht.
»Wa – wa – was? Bösenberg?! … Du liebst – die Cäcilie? Du machst keine Ansprüche auf Sidonie?!«
»Nein – nein – nein! Du sollst sie haben, Freund meiner Jugend!« rief ich, und alles drehte sich um mich her.
»Komm an meinen Busen!« schluchzte der Schauspieler – »ewige Freundschaft und Brüderschaft« –
Wir fielen uns über der Punschbowle, den Gläsern und Flaschen, in die Arme.
»Alle – Ml – nute – ein – Wein – glas voll!« wimmerte Gundermann, der seit einer Viertelstunde den Kopf auf den Tisch gelegt hatte. Jetzt richtete er sich wieder auf und sah unserer Umarmung mit etwas gläsernen Augen zu – mühsam erhob er sich und schlang ebenfalls seine biedern Arme um uns.
Wie ich nach Haus gekommen bin, weiß ich nicht; nur habe ich eine, ziemlich undeutliche Erinnerung, daß ich quer über den Marktplatz von Finkenrode wankte, begleitet vom Caliban, zwei Calibans, hundert Calibans, die alle vor mir und neben mir her Rad schlugen und Hunderte von Laternen mit sich führten.
11
Als ich aus einem ziemlich unerquicklichen Schlaf gegen Mittag des nächsten Tages erwachte, saß der Schauspieler und Spiritusfabrikant Alexander Mietze, etwas bleich und übernächtig, neben meinem Lager. Alle meine Sünden traten mir bei seinem Anblick in die Erinnerung zurück. – »Meine Schuld war es nicht, Max!« sagte der Schauspieler.
»Meine Schuld war es auch nicht, Alexander! Der Punsch war jedenfalls zu stark.«
»Ja, er war zu stark!« sagte der Schauspieler mit einem tiefen Seufzer.
»Ich glaube, wir haben in vergangener Nacht tolles Zeug geschwatzt?!«
»Ich glaube es auch, Max!«
»Ah – ob wohl der Doktor noch etwas davon im Gedächtnis behalten hat, Alexander? Es wäre wahrhaftig teuflisch von ihm!«
Der Schauspieler lächelte schwach. »Ich hoffe, er hat seiner Frau sehr unklare Vorstellungen heimgebracht. Er war gottlob wacker über Bord!«
»Der liebe Sundermann!«
»Max, ich glaube, wir haben uns gestern abend mancherlei gesagt, was – was« –
»Was wir uns bei klareren Sinnen nicht gesagt hätten; – du magst recht haben!«
Ich zog die Bettdecke so hoch als möglich über die Ohren, um meinen Mißmut, meinen Ärger, meine Reue den Augen des Schauspielers zu entziehen. Dieser schritt im Zimmer auf und ab, wie es schien, ebenfalls sehr mit sich selbst beschäftigt.
Endlich streckte ich den Kopf wieder hervor:
Was haben wir – für Wetter, Mietze?«
»Grau! Grau! Grau! Was für ein schöner Nagel dort an der Tür, um sich daran aufzuhängen!«
Ein zischender Ton ließ sich jetzt vernehmen, und Jakob der Rabe schritt aus dem Zimmer durch die halbgeöffnete Tür in die Kammer. Langsam und gravitätisch schritt er einher mit heiserem Gekrächz, von Zeit zu Zeit die gestutzten Flügel schüttelnd, als freue er sich ungemein, uns so – wohl zu sehen.
»Greuliche Bestie!« sagte der Schauspieler, vorsichtig vor dem Tiere zurückweichend. »Fort, Phantom! Was verfolgst du mich?«
»Gedenke zu lieben! Gedenke zu lieben!« sagte der Rabe lateinisch, sprang auf den Bettrand und bohrte den Schnabel in die Kissen.
»Geh ab, Jakob! Geh zur Renate und bestelle mir eine Tasse schwarzen Kaffees, und für den Herrn dort ebenfalls eine.«
»Ich danke dir, Bösenberg! Ich muß wieder in die frische Luft. Also Cäcilie« –
Blitzschnell saß ich aufrecht im Bett: »Mach, daß du zum Teufel kommst, Verräter! Fliege ihm ins Gesicht, Jakob!«
»Sei gegrüßt, Agathe!« krächzte der Rabe auf griechisch.
»Vortrefflicher Punsch!« lachte dumpf der Schauspieler. »Ich meinte, das Ideal suchtest du in Finkenrode nicht?! He, Bösenberg?«
Er war aus der Tür, ehe der Nebel, der sich vor meine Augen gelegt hatte, verflogen war.
»Ich wollte, ich säße im Bureau des Kamäleons!« seufzte ich. »Ich wollte – der Oheim Albrecht träte wieder in jene Tür dort und machte mir die Mitteilung, sie hätten ihn in der ewigen Seligkeit nicht gewollt, ich möge mich also gefälligst aus seinem Hause packen! Ich wollte – – – o Weitenweber! Weitenweber!«
Schwer sank mein Haupt wieder herab. – – – –
Horch, ein Wiegenlied aus dem Schatten blühender Obstbäume! Blütenschnee rieselt herab auf eine Wiege und auf ein darin schlummerndes Kind; – Bienen und Käfer und Schmetterlinge summen und flattern im Sonnenschein – fleißig, glücklich, müßig-selig!
Wie sanft und süß die Stimme der singenden Mutter ist! Leise schaukelt ihr Fuß die Wiege, und ihr Herz schaukelt sich mit im stillen Glück. Am Himmel und auf Erden ist kein störender, schwarzer Punkt, und alles gehört zueinander! Das offene Händchen des Kindes und die frühe Rosenknospe auf der weißen Decke! Die kleine, hübsche, bunte Spinne, welche an ihrem Faden in der ruhigen Luft schwebt, und das Knarren der Gartentür, die eben durch einen Mann geöffnet wird, welcher langsam, ein blaues Aktenheft unter dem Arm, über den reinlichen Weg an den Beeten hinschreitet!
Das Wiegenlied der Mutter bricht ab – lächelnd streckt sie dem Manne die rechte Hand entgegen und legt den Zeigefinger der linken an den Mund, daß er die kleine Schläferin nicht wecke. Welch einen vorsichtig-bewundernden Blick der Vater auf den schlummernden Liebling wirft! Er küßt die Frau, die ihn neben sich