Die Vampirschwestern 2 - Ein bissfestes Abenteuer. Franziska Gehm
Tepes hatte ihr Handy gefunden. „Meinst du nicht, wir sollten mal kurz zu Hause anrufen?“
„Und unseren Töchtern Bescheid sagen, dass uns die ersten drei Akte gefallen haben?“
„Nein, einfach nur Hallo sagen und mal sehen, was sie so machen.“
Herr Tepes schüttelte den Kopf. „Was sollen sie schon machen? Wahrscheinlich gucken sie Fernsehen, lesen oder essen den Kühlschrank leer. Womöglich sind sie schon im Bett und du weckst sie nur auf.“
„Meinst du nicht, dass sie sich nachts allein zu Hause fürchten?“
„Gumox! Sie haben mein Blut in den Adern. So schnell fürchten sie sich nicht. Und schon gar nicht in der Nacht.“
„Und du meinst auch nicht, dass sie vielleicht irgendwelche Dummheiten anstellen?“
Herr Tepes zog die Augenbrauen zusammen. Das hielt er zwar schon eher für möglich – genau genommen hielt er es für wahrscheinlich –, aber er wollte seine Frau nicht beunruhigen. Es war ihr Theaterabend. Sie sollte ihn genießen. „Daka und Silvania sind aus dem Alter raus, wo sie Dummheiten machen. Vertrau mir, die liegen jetzt in ihren Betten und träumen von der transsilvanischen Heimat.“
Frau Tepes sah ihren Mann ungläubig an. Doch dann ließ sie das Handy langsam wieder in die Handtasche gleiten. „Wahrscheinlich hast du recht. Ich mache mir zu viele Sorgen. Ich hatte nur gerade die verrückte Vorstellung, dass unsere Töchter Freunde eingeladen haben und eine Flugshow auf dem Dach veranstalten oder Ähnliches.“ Frau Tepes lachte und schüttelte den Kopf über diese Idee.
Elvira Tepes hatte hellseherische Fähigkeiten. Leider wusste sie nichts davon. Hätte sie es gewusst, hätte sie den Prosecco ausgetrunken, ihren Mann geschnappt und wäre nach Hause gefahren. Die Ratten hätten in den letzten beiden Akten auf ihre Anwesenheit verzichten müssen.
Flugshow
In der Reihenhaussiedlung herrschte sternenklare Nacht. Weit und breit war kein Bewohner mehr zu sehen. Die meisten Nachbarn hatten die Jalousien heruntergelassen oder das Licht bereits ausgeschaltet. Es war mucksmäuschenstill. Nur ein gescheckter Hund jaulte hin und wieder aus der Hundehütte, in die er sich verkrochen hatte, sobald drei dunkle Gestalten auf einem der Dächer aufgetaucht waren. Er war kein Wachhund und wollte in der Nacht seine Ruhe haben.
Silvania und Helene standen auf dem Dach des Reihenhauses Nummer 23 und sahen Daka zu, die mit ausgebreiteten Armen vor ihnen Runden flog. Wie ein Spielzeugauto auf einer Modellrennbahn. Helene stand der Mund offen und sie ließ Daka keine Sekunde aus den Augen. Silvania zupfte gelangweilt am Lederriemen ihrer Fliegerhaube.
„Und jetzt passt auf!“, rief Daka. Sie flog ein Stück aufs Feld hinaus und blieb in der Luft stehen, als würde sie Anlauf nehmen. Dann senkte sie den Kopf, drückte das Kinn auf die Brust und flog mit doppelter Geschwindigkeit auf Silvania und Helene zu.
Helene griff unwillkürlich nach Silvanias Arm. Silvania tätschelte Helenes Hand. Sie wusste, was gleich kommen würde.
Nur ein paar Meter vor ihnen verschwand Dakas Kopf nach unten. Ihr Körper schlängelte sich blitzschnell wie ein Ringelwurm hinterher. Dann tauchte Dakas Kopf wieder auf. Bevor Helene richtig begriff, was eben geschehen war, stand Daka vor ihnen.
„Tatatataaa! Mein Looping“, sagte sie und verbeugte sich.
Helene klatschte. „Cool! Das ist der absolut abgefahrenste Wahnsinn, den ich jemals gesehen habe.“
Silvania unterdrückte ein Seufzen. Helene übertrieb. Und Daka war eine olle Angeberin. Zumindest manchmal. Allerdings war ihr Looping wirklich klasse.
„Was ist mit dir?“, fragte Helene Silvania. „Kannst du auch so was?“
„Ich … ich bin sozusagen eine Sonntagsfliegerin. Du weißt schon, eher zum Genuss als für den Kick.“
Daka, die von der Flugangst ihrer Schwester wusste, fügte hinzu: „Silvania fliegt lieber langsam, dafür aber schön.“
„Also eine Kunstfliegerin“, sagte Helene und sah Silvania begeistert an.
„Genau.“ Silvania hoffte, dass Helene jetzt keinen Kunstflug sehen wollte. „So“, sagte sie schnell und rieb sich die Hände. „Dann können wir ja auch wieder runtergehen, nicht wahr?“
„Warte!“, sagte Helene. „Ich …“ Sie blickte angespannt von Silvania zu Daka. „Ich will auch fliegen.“
Silvania verschlug es die Sprache.
Daka lachte. „Du? Fliegen? Wie soll denn das gehen? Du fliegst höchstens auf den Pops. Du bist doch ein ganz normaler Mensch, oder nicht?“
„Schon. Aber ich dachte, mit euch beiden zusammen …“ Helene kratzte sich am Arm, auf den sie mit Kugelschreiber ein fettes, warziges Monster gemalt hatte. „Ihr könnt mich doch in die Mitte nehmen. Oder huckepack. Irgendwie geht es bestimmt. Bitte, ich will es nur mal versuchen.“
Daka und Silvania sahen sich ratlos an. Ein Mensch wollte fliegen. Mit zwei Halbvampiren. Freiwillig. So etwas hatten sie noch nie gehört.
„Bist du dir sicher?“, fragte Silvania, die sich nicht vorstellen konnte, warum jemand überhaupt fliegen wollte.
Helene nickte kräftig. „Es muss ja nicht so hoch und nicht so weit sein. Nur ein Stückchen über das Feld. Es ist bestimmt toll, in der Luft zu schweben. Ich will nur mal sehen, wie das ist.“
Silvania könnte ihr erzählen, wie es ist, ständig in Panik vor Tauben mit müden Armen durch die Luft zu eiern und dabei immer die Augen nach Bäumen, Windrädern oder Strommasten offenzuhalten, die sich einem plötzlich in den Weg stellten.
Daka tippte sich mit dem Zeigefinger mehrmals an die Lippe und starrte auf einen unbestimmten Punkt in der Luft. „Wir könnten eine von Mamas Klobrillen zwischen uns festbinden und Helene setzt sich drauf“, sagte sie schließlich.
„WAS? Nie im Leben!“ Silvania fuhr sich vor Entsetzen durch die rotbraunen Haare.
„Natürlich müsste Helene sich anschnallen und einen Helm tragen“, fügte Daka hinzu.
„Dadurch wird es auch nicht besser“, fand Silvania. „Das ist die absolut blödeste Idee, die ich jemals gehört habe.“
„Also, ich finde die Idee gut“, schaltete sich Helene ein.
„Aber … aber das ist total gefährlich“, wandte Silvania ein. „Und außerdem … wenn uns jemand sieht und wenn Helene nicht schwindelfrei ist oder wir abstü…“
Helene unterbrach sie. „Wer ist für den Klobrillenflug?“, fragte sie und hob die Hand.
Eine Sekunde später schoss Dakas Hand in die Höhe.
Silvania seufzte. Jetzt war sie schon zum zweiten Mal überstimmt worden. Entweder sie brauchte noch eine Freundin oder sie musste die Demokratie in der Freundschaft abschaffen.
Drei kleine Engelein
Herr Tepes schaltete in den dritten Gang und der Motor heulte auf. „Ruhig, Grüner, immer schön ruhig“, sagte er und streichelte das Armaturenbrett des Dacias.
Elvira sah versonnen in den Nachthimmel. „Das war wirklich ein toller Abend.“
„Hm“, brummte ihr Mann. Auch in Akt vier und fünf waren keine echten Ratten aufgetaucht. Der Titel des Stücks war einfach irreführend.
Als sie in den Lindenweg bogen, fuhr Elvira mit einer Hand unter die halblangen Haare ihres Mannes und kraulte ihn im Nacken.
Mihai Tepes brummte. Er parkte quer auf dem Rasen vor dem Reihenhaus Nummer 23 ein, flopste sich zur Beifahrertür und öffnete sie galant.
Elvira stieg aus und atmete die kühle Nachtluft ein. „Was für ein wunderschöner Sternenhimmel!“
„Wie wäre es mit einem Mondscheinspaziergang?“ Herr Tepes lächelte, und unter seinem Lakritzschnauzer