Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер
und das wenige, was er mit gutem Willen und gutmütigen Gebärden gab, war so viel, als wenn jene reichen Bilderhändler erkleckliche Summen für eine Laune oder Spekulation ihres ebenso unsicheren Geschmackes hingaben.
Aber noch in Heinrichs Anwesenheit befestigte der alte Kauz die unglücklichen Blätter an seinem Fenster, und Heinrich machte errötend, daß er fortkam. Auf der Straße warf er einen flüchtigen Blick auf das Fenster und sah die liebsten Erinnerungen an Heimat und Jugendarbeit de- und wehmütig an diesem Pranger der Armut und Verkommenheit hangen.
Aber nichtsdestominder schlich er in zwei Tagen abermals mit einem Blatte zu dem Mann, welcher ihn ganz aufgeweckt und freundschaftlich empfing; denn er hatte die ersten Sachen schon verkauft, während er sonst gewohnt war, seine Erwerbungen jahrelang in seiner Obhut zu hegen und an seinen Türpfosten hängen zu sehen. Sie wurden bald des Handels einig; Heinrich machte eine vergebliche kurze Anstrengung, einen barmherzigern Preis zu erhalten; ungewohnt zu feilschen und fürchtend, den Handel abgebrochen zu sehen, da er nach der bestimmten Äußerung, mehr haben zu wollen, ja nicht mehr hätte nachgeben dürfen oder gar zum zweiten Male wieder kommen, war er bald froh, daß der Alte nur noch kauflustig blieb, und dieser munterte ihn auf, nur zu bringen, wenn er etwas fertig hätte (denn er bildete sich ein, der arme junge Künstler mache diese Sachen vorweg), sich ferner zu bescheiden und hübsch fleißig und sparsam zu sein, und die Zeit würde gewiß kommen, wo aus diesem kleinen Anfang etwas Tüchtiges würde; dabei klopfte er ihm vertraulich auf die Achsel und forderte ihn auf, nicht so traurig und einsilbig zu sein.
Heinrichs ganzes künstlerisches Besitztum wanderte nun nach und nach in den dunklen Winkel des immer kauflustigen Hökers; wenn es auch manchmal Monate dauerte, bis dieser wieder etwas verkaufte davon, so blieb er sich doch gleich, und hierin war es nun nicht zu verkennen, daß der Alte, so knapp er Heinrich hielt, denselben doch nicht wollte im Stiche lassen und auch bei der Befürchtung, die ganze Bescherung auf dem Halse zu behalten, denselben nicht abweisen wollte. Das war die Treue, die Gemütsehre der Armut und Einfalt. Mit diesem Wesen schmeichelte er förmlich den armen Heinrich in eine große Demut und Vertraulichkeit hinein; denn nicht nur erzwang er von ihm eine gute Miene zum bösen Spiel, sondern, wenn diese endlich erfolgte und Heinrich sich plaudernd und lachend ein Stündchen bei ihm aufhielt, dann aber weggehen wollte, forderte er ihn auf, nicht ins Wirtshaus zu laufen und sein Geldchen zu vertun, sondern mit ihm etwas Geschmortes oder Gebratenes zu essen. Der allein lebende katholische alte Gesell hatte nämlich bei aller Knauserei stets ein gutes Gericht in dem Ofen seines dunklen Gewölbes stehen und war ein vortrefflicher Koch. Bald war es eine Gans, bald ein Hase, welche er sich auf den Feiertag zubereitete, bald kochte er meisterhaft ein gutes Gemüse, welches er durch die Verbindung mit kräftigem Rind- oder Schweinsfleisch, je nach seinem Charakter, zum trefflichsten Gerichte zu machen wußte. Besonders verstand er sich auf die Fastenspeisen, welche er mehr aus Schleckerei als aus Frömmigkeit nie umging, und jeden Freitag gab es bei ihm entweder köstliche Fische, das heißt ziemlich bescheidene und wohlfeile Wassertiere, die er aber durch seine vielseitige Kunst zum höchsten Rang erhob, oder es duftete eine Makkaronipastete in seinem Laden, zwischen welche er kleine Bratwürstchen und Schinken hackte, welche unerlaubte Fragmente er spaßhaft Sünder nannte und, indem er seinem Gast vorlegte, eifrig aussuchte und zuschob.
Hiebei blieb er aber nicht stehen, sondern eines Tages, als er den armen jungen Heiden besonders kirre gemacht, wickelte er eine fette Ganskeule nebst einem Stück Brot in ein Papier und suchte es ihm schmunzelnd in die Tasche zu stecken. Heinrich wehrte sich, ganz rot werdend, heftig dagegen; wie aber der Alte den Finger aufhob und leise sagte »Na, was ist denn das? Es braucht’s ja kein Mensch zu wissen!« da ergab er sich demütig in den Willen des seltsamen Mannes, der ein unerklärliches Vergnügen zu empfinden schien, den ihm fremden Menschen auf diese Weise gemütlich zu tyrannisieren. Das seltsamste war, daß er sich nicht um dessen Herkunft und Schicksal bekümmerte, nicht einmal fragte, wo er wohne, und am wenigsten den Gründen seiner jetzigen Armut nachforschte. Das schien sich alles von selbst zu verstehen.
Heinrich trug dazumal die Ganskeule wirklich nach Hause. Auf der Schwelle sah er ein Bettelweib sitzen, welches ihn in so erbärmlichen Tönen um Barmherzigkeit anflehte, als ob es am Spieße stäke, und Heinrich fuhr mit der Hand in die Tasche, um hier auf die beste Weise das Nahrungsmittel anzubringen und zugleich dem Alten einen Streich zu spielen. Wie er aber die elende und hinfällige alte Frau näher ansah, da verging ihm endlich der letzte Stolz, und statt des Fleisches gab er ihr eines der Geldstücke, die er eben von seinem Gönner erhalten, ging auf seine Stube und aß die Ganskeule aus der einen Hand, aus der anderen das Brot, nicht um sich gütlich zu tun, sondern zu Ehren und zu Liebe der Menschlichkeit und der Armut, welche die Mutter der Menschlichkeit ist, und diese einsame Mahlzeit war gewissermaßen seine nachgeholte und verbesserte Abendmahlsfeier.
So erhielt er sich ein gutes halbes Jahr, und so wenig der Alte ihm für seine mannigfaltigen Studienblätter, Skizzen und Zeichnungen gab, so waren dieselben doch so zahlreich, daß sie kein Ende zu nehmen schienen. Nie sagte ihm der Wunderliche, wer eigentlich die Sachen kaufe und was er daran gewinne, und Heinrich fragte nicht mehr darnach. Er war im Gegenteil froh, wie er nun gestimmt war, alles hinzugeben und das kärgliche Brot, welches die Welt ihm gewährte, verschwenderisch zu bezahlen, was nun freilich wieder nicht sehr demütig war; aber der Mensch lebt vom Widerspruch! Indessen war das wenige, was er erhielt, das erste, was er seinen eigenen Händen verdankte, und desnahen lernte er davon, sich einzurichten und sich mit wenigem zu begnügen. Unter seinen vielen Zechgesellen und Studiengenossen war es längst bemerkt worden, daß er gänzlich verarmt sei; niemand fragte ihn aber darum, und da er das tonangebende Wesen wieder verloren hatte oder, wenn es unerwartet sich geltend machte, in Heftigkeit und Leidenschaft ausbrach, so lösten sich alle diese munteren Verhältnisse, und Heinrich zog sich zurück und fand sich bald ganz allein, oder wenn ihm dies unerträglich wurde, trieb er sich mit allerlei zufälligen Gesellen, wie sie die Ähnlichkeit des Schicksales vorübergehend herbeiführte, herum.
Gleichzeitig nahm aber sein ernährender Jugendvorrat ein Ende, nachdem er schon sorgfältig die letzten Fetzen und Fragmente zusammengesucht und für den Alten zugestutzt hatte. Endlich bot er ihm seine großen Bilder und Kartons an, und der Alte sagte, er solle sie nur einmal herbringen. Heinrich erwiderte, das ginge nicht wohl an, und bat ihn um so viel Geld, daß er sie könne hertragen lassen. »Warum nicht gar, hertragen lassen! Sie Sapperloter! Gleich gehen Sie hin und holen ein Stück her! Fürchten Sie denn, man werde Ihnen den Kopf abbeißen?« Und er schmeichelte und schalt so lange, bis Heinrich sich entschloß und nach Hause ging und das Bild holte, welches er einst so unglücklich ausgestellt hatte. Es war sehr schwer, und der weite Weg ermüdete seine Arme auf ungewohnte Weise. Der Alte aber lächelte und schmunzelte und rief »Ei, ei! sieh, sieh! das ist ja ein ganzes Gemälde! Verstehe nicht den Teufel davon! Aber hochtragisch sieht’s aus (er wollte sagen hochtragend oder hochstelzig), habe in meinem Leben nichts so im Laden gehabt! Wissen Sie was, Freundchen, jetzt holen Sie hübsch noch die anderen Sachen, damit wir alles beisammen haben. Nachher wollen wir schauen, ob sich ein Handel machen läßt. Gehen Sie, gehen Sie, Bewegung ist immer gesund!«
Heinrich ging abermals nach seiner Wohnung und ergriff den größten Karton, einen mit Papier bespannten Blendrahmen von acht Fuß Breite und entsprechender Höhe. Dies Ungetüm war leicht von Gewicht, aber ungefüg zu tragen wegen seiner Größe, und als der unmutige Träger damit auf die Straße gelangte, blies sofort ein lustiger Ostwind darein, daß es Heinrich kaum zu halten vermochte. Überdies mußte er, da die große Fahne nur auf der Rückseite an der Kreuzleiste zu halten war, die bemalte Seite nach außen kehren, und so begann er, sich dahinter bestmöglich verbergend, mit seiner Oriflamme durch die belebten Straßen zu ziehen. Alsobald zog eine Schar Knaben und Mädchen vor der wandelnden Landschaft her, und jeder Erwachsene ging ebenfalls ein Dutzend Schritte daneben hin und stolperte, während er die offenbaren und preisgegebenen Erfindungen Heinrichs zu enträtseln suchte, über die Steine. Zwei wohlhabende und angesehene Künstler gingen vorüber und betrachteten vornehm und verwundert den beschämten Träger, der ihnen bekannt vorkam; er fuhr mit seiner spanischen Wand gegen einen Wagen, den er nicht sehen konnte, so daß die Pferde scheu wurden, der Fuhrmann fluchte, und zugleich brachten starke Windstöße das ganze Wesen ins Schwanken, und dieses stieß Heinrichs Hut herunter, so daß er nun nicht wußte, sollte er den im Kote dahinrollenden oder sein behextes Werk fahrenlassen.