Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер
singender, essender und trinkender Gäste aus der Stadt zu. Man bewegte sich um so leichter, als man den Reifrock und die Perücke weislich da liegenließ, wohin sie die Revolution geworfen hatte, und das griechische Kostüm der Kaiserzeit, wenn auch in diesen Gegenden etwas nachträglich, angetan hatte. Die Bauern sahen mit Verwunderung die weißumflorten Göttergestalten ihrer vornehmen Mitbürgerinnen, ihre sonderbaren Hüte und noch merkwürdigeren Taillen, welche dicht unter den Armen gegürtet waren. Die Herrlichkeit des aristokratischen Regimentes entfaltete sich am höchsten im Pfarrhause. Die reformierten Landgeistlichen der Schweiz waren keine armen, demütigen Schlucker wie ihre Amtsbrüder im protestantischen Norden. Da alle Pfründen im Lande fast ausschließlich den Bürgern der herrschenden Städte offenstanden, so bildeten sie zu den weltlichen Ehrenstellen eine Ergänzung im Systeme der Herrschaft, und die Pfarrer, deren Brüder das Schwert und die Waage handhabten, nahmen teil an der Glorie, wirkten und regierten auf ihre Weise im Sinne des Ganzen kräftig mit oder überließen sich einem sorgenfreien, vergnüglichen Dasein. Sehr oft waren sie von Haus reich, und die ländlichen Pfarrhäuser glichen eher den Landsitzen großer Herren; auch gab es eine Menge adeliger Seelenhirten, welche die Bauern Junker Pfarrer nennen mußten. Ein solcher war nun zwar der Pfarrer meines Heimatdorfes nicht, auch nichts weniger als ein reicher Mann; doch sonst einer alten Stadtfamilie angehörend, vereinigte er in seiner Person und in seinem Hauswesen allen Stolz, Kastengeist und Lustbarkeit eines warmgesessenen Städtetumes. Er tat sich etwas darauf zu gut, ein Aristokrat zu heißen, und vermischte seine geistliche Würde ungezwungen mit einem derben, militärisch-junkerhaften Anstriche; denn man wußte dazumal noch nichts weder von dem Namen noch von dem Wesen des modernen Traktätlein-Konservatismus. Es ging in seinem Hause geräuschvoll und lustig her; die Pfarrkinder steuerten reichlich, was Feld und Stall abwarf, die Gäste holten sich selbst aus dem Forste Hasen, Schnepfen und Rebhühner, und da Treibjagden doch nicht landesüblich waren, so wurden die Bauern dafür zu großen Fischzügen freundschaftlich angehalten, was jedesmal ein Fest gab, und so war das Pfarrhaus nie ohne Freude und Lärm. Man durchzog das Land ringsumher, stattete Besuche ab in Masse und empfing solche, schlug Zelte auf und tanzte darunter oder spannte sie über die lauteren Bäche, und die Griechinnen badeten darunter; man überfiel in hellen Haufen eine einsame kühle Mühle oder fuhr in vollgepfropften Nachen auf Seen und Flüssen, der Pfarrer immer voran mit einer Entenflinte über dem Rücken oder ein mächtiges spanisches Rohr in der Hand.
Geistige Bedürfnisse waren in diesen Kreisen nicht viele vorhanden; die weltliche Bibliothek des Pfarrers bestand, wie ich sie noch gesehen habe, aus einigen altfranzösischen Schäferromanen, Geßners Idyllen, Gellerts Lustspielen und einem stark zerlesenen Exemplar des Münchhausen. Zwei oder drei einzelne Bände von Wieland schienen aus der Stadt geblieben und nicht mehr zurückgeschickt worden zu sein. Man sang Höltys Lieder, und nur die Jugend führte etwa einen Matthisson mit sich. Der Pfarrer selbst, wenn einmal von dergleichen Dingen die Rede war, pflegte seit dreißig Jahren regelmäßig zu fragen: »Haben Sie Klopstocks Messias gelesen?« und wenn das, wie natürlich bejaht wurde, schwieg er vorsichtig. Im übrigen gehörten die Gäste nicht zu jenen feinsten Kreisen, welche die Kultur der herrschenden Interessen durch erhöhte Geistestätigkeit pflegen und durch eine edle Bildung zu befestigen suchen, sondern zu der gemütlichen Klasse, welche sich darauf beschränkt, die Früchte jener Bemühungen zu genießen und sich ohne weiteres Kopfzerbrechen lustig zu machen, solange es Kirchweih ist.
Aber diese ganze Herrlichkeit barg bereits den Keim ihres Zerfalles in sich selbst. Der Pfarrer hatte einen Sohn und eine Tochter, welche beide in ihren Neigungen von denjenigen ihrer Umgebung abwichen. Während der Sohn, ebenfalls ein Geistlicher und dazu bestimmt, seinem Vater im Amte zu folgen, vielfache Verbindungen mit jungen Bauern anknüpfte, mit ihnen ganze Tage auf dem Felde lag oder auf Viehmärkte fuhr und mit Kennerblicke die jungen Kühe betastete, hing die Tochter, sooft sie nur immer konnte, die griechischen Gewänder an den Nagel und zog sich in Küche und Garten zurück, dafür sorgend, daß die unruhige Gesellschaft etwas Ordentliches zu beißen fand, wenn sie von ihren Fahrten zurückkehrte. Auch war diese Küche nicht der schwächste Anziehungspunkt für die genäschigen Städtebewohner, und der große gutbebaute Garten zeugte für einen ausdauernden Fleiß und treffliche Ordnungsliebe.
Der Sohn endigte sein Treiben damit, daß er eine begüterte rüstige Bauerntochter heiratete, in ihr Haus zog und alle sechs Werktage hindurch ihre Äcker und ihr Vieh bestellte. In Anwartschaft seines höheren Amtes übte er sich, als Säemann den göttlichen Samen in wohlberechneten Würfen auszustreuen und das Böse in Gestalt von wirklichem Unkraut auszujäten. Der Schrecken und der Zorn hierüber waren groß im Pfarrhause, zumal wenn man bedachte, daß die junge Bäuerin einst als Hausfrau dort einziehen und herrschen sollte, sie, welche weder mit der gehörigen Anmut im Grase zu liegen noch einen Hasen standesgemäß zu braten und aufzutragen wußte. Deshalb war es der allgemeine Wunsch, daß die Tochter, welche allmählich schon über ihre erste Jugend hinausgeblüht hatte, entweder einen standesgetreuen jungen Geistlichen ins Haus locken oder sonst noch lange die zusammenhaltende Kraft desselben bleiben möchte. Aber auch diese Hoffnungen schlugen fehl.
Zweites Kapitel.
Vater und Mutter
Denn eines Tages geschah es, daß das ganze Dorf in große Bewegung gesetzt wurde durch die Ankunft eines schönen, schlanken Mannes, der einen feinen grünen Frack trug nach dem neuesten Schnitte, enganliegende weiße Beinkleider und glänzende Suwarowstiefeln mit gelben Stulpen. Wenn es regnerisch aussah, so führte er einen rotseidenen Schirm mit sich, und eine große goldene Uhr von feiner Arbeit gab ihm in den Augen der Bauern einen ungemein vornehmen Anstrich. Dieser Mann bewegte sich mit einem edlen Anstande in den Gassen des Dorfes umher und trat freundlich und leutselig in die niederen Türen, verschiedene alte Mütterchen und Gevattern aufsuchend, und war niemand anders als der weitgereiste Steinmetzgeselle Lee, welcher seine lange Wanderschaft ruhmvoll beendigt hatte. Man kann wohl sagen ruhmvoll, wenn man bedenkt, daß er vor zwölf Jahren, als ein vierzehnjähriger Knabe, arm und bloß aus dem Dorfe gewandert war, hierauf bei seinem Meister die Lehrzeit durch lange Arbeit abverdienen mußte, mit einem dürftigen Felleisen und wenig Geld in die Fremde zog und nun solchergestalt als ein förmlicher Herr, wie ihn die Landleute nannten, zurückkehrte. Denn unter dem niedern Dache seiner Verwandten standen zwei mächtige Kisten, von denen die eine ganz mit Kleidern und feiner Wäsche, die andere mit Modellen, Zeichnungen und Büchern angefüllt war. Es gab etwas Schwungvolles in dem ganzen Wesen des etwa sechsundzwanzig Jahre alten Mannes; seine Augen glühten wie von einem anhaltenden Glanze innerer Wärme und Begeisterung, er sprach immer hochdeutsch und suchte das Unbedeutendste von seiner schönsten und besten Seite zu fassen. Er hatte ganz Deutschland vom Süden bis zum Norden durchreist und in allen großen Städten gearbeitet; die Zeit der Befreiungskriege in ihrem ganzen Umfange fiel mit seinen Wanderjahren zusammen, und er hatte die Bildung und den Ton jener Tage in sich aufgenommen, insofern sie ihm verständlich und zugänglich waren; vorzüglich teilte er das offene und treuherzige Hoffen der guten Mittelklassen auf eine bessere, schönere Zeit der Wirklichkeit, ohne von den geistigen Überfeinerungen und Wunderseligkeiten etwas zu wissen, die in manchen Elementen dazumal durch die höhere Gesellschaft wucherten.
Es waren nur wenige gleichgesinnte Arbeitsgenossen, welche die ersten, seltenen und verborgenen Keime bildeten zu der Selbstveredlung und Aufklärung, so den wandernden Handwerkerstand zwanzig Jahre später durchdrangen, und welche einen Stolz darauf setzten, die besten und gesuchtesten Arbeiter zu sein, und dadurch, verbunden mit Fleiß und Mäßigkeit, die Mittel erlangten, auch ihren Geist zu bilden und äußerlich wie innerlich schon in ihren Wanderjahren als achtungswerte, tüchtige Männer dazustehen. Überdies war dem Steinhauer in den großen Werken altdeutscher Baukunst ein Licht aufgegangen, welches seinen Pfad noch mehr erleuchtete, indem es ihn mit heitern Künstlerahnungen erfüllte und den dunklen Trieb jetzt erst zu rechtfertigen schien, welcher ihm von der grünen Weide hinweg dem gestaltenden Leben der Städte zugeführt hatte. Er lernte zeichnen mit eisernem Fleiße, brachte ganze Nächte und Feiertage damit zu, Werke und Muster aller Art durchzupausen, und nachdem er den Meißel zu den kunstreichsten Gebilden und Verzierungen führen gelernt und ein vollkommener Handarbeiter geworden war, ruhte er nicht, sondern studierte