Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер

Gesammelte Werke von Gottfried Keller - Готфрид Келлер


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Glas, erwiderte ungesäumt und etwas gesalzen die Späße, die man an mich richtete, bis ich in eine Stube kam, wo an einem großen runden Tische noch vier von den barmherzigen Brüdern saßen. Zwei waren schon abgefallen und verschwunden; die hier saßen, hatten bereits ihren dritten Rausch hinter sich und befanden sich nun in jenem lässigen Zustande, in welchem erfahrene Zechbrüder einen lustigen Tag austönen lassen, wohlgeschliffene Witze machen und ihren Wein so trinken, als ob sie nicht mehr viel darum gäben, sich aber wohl hüten, schließlich einen Tropfen stehenzulassen. Etwas entfernt von ihnen saß am gleichen Tische die Judith, welcher die Brüder der Sitte gemäß ein Glas geboten. Sie schien sich ganz allein bei dem Feste umgesehen zu haben und sich nun am besten zu gefallen, die Witze und Verfänglichkeiten dieser Herren schlagfertig zurückzugeben und sie in Respekt zu halten, wozu es keiner geringen Gewandtheit und Kraft bedurfte. Sie saß ebenso lässig da, zurückgelehnt und halb abgewandt, und warf ihre Erwiderungen gleichmütig hin. Die Mönche hatten ihre Flachsbärte abgelegt und die gefärbten Nasen gewaschen; nur der älteste, welcher einen angehenden Kahlkopf und eine natürliche Feuernase besaß, prangte noch mit dem hohen Rot derselben. Dies war der Unnützeste und rief mir zu, als ich vorübergehen wollte »Heda, Grünspecht! wo hinaus?« Ich stand still und erwiderte »Guter Freund! Ihr habt vergessen, den Zinnober von Eurer Nase zu wischen, wie die anderen Herren doch getan! Ich mache Euch hiemit aufmerksam, damit Ihr nicht etwa Euer Kopfkissen rot macht.«

      Das Gelächter der übrigen nahm mich sogleich in den holden Bund auf; ich mußte mich setzen und ein Glas annehmen, worauf sie sagten »Und dennoch, könnt Ihr glauben, daß dieser Kerl es noch für nötig befunden hat, heut seine Nase zu schminken?« – »Das war freilich«, erwiderte ich, »ebenso töricht, als wenn man eine Rose schminken wollte!«

      »Und dazu viel gefährlicher«, versetzte ein anderer, »denn eine Rose schminken heißt ein Werk Gottes verbessern wollen, und der liebe Gott verzeiht! Aber eine rote Nase schminken heißt den Teufel verhöhnen, und der verzeiht nicht!«

      So ging es fort; sie verhandelten nun seinen Kahlkopf, wobei ich aber bald weit zurückblieb, indem sie über diesen Gegenstand allein wohl zwanzig verschiedene Witze machten, welche in der Phantasie die lächerlichsten Vorstellungen erregten und von denen einer den andern an Neuheit und Kühnheit der Bilder überbot. Judith lachte, als die Taugenichtse über sich selbst herfuhren, und als der Angegriffene dies sah, suchte er sich aus dem Feuer zu retten, indem er sich gegen sie wendete. Sie saß da in einem schlichten braunen Kleide, die Brust mit einem weißen Halstuche bedeckt, welches ein wenig ihren prächtigen Hals sehen ließ; um diesen lag eine feine Goldkette und verlor sich im Halstuche, sonst trug sie keinen Putz als ihr schönes braunes Haar. Der Kahlkopf blinzelte mit den Augen und sang:

      »Mein Schatz, um deinen weißen Hals

      Geht eine Schnur von Katzengold,

      Die führt an deinem Busam

      Teuf in dein falsches Herz!«

      Judith erwiderte schnell: »Damit Ihr meinen weißen Hals einmal vergeßt, will ich Euch auch ein Lied von etwas Weißem berichten!« und sie sang nicht, sondern sagte einfach wohlklingend:

      »Es ist eine üble Zeit!

      Luna, die weiland keusche Maid,

      Liebäugelt auf den Köpfen alter Sünder

      Am hellen Tag und höhnt uns arme Kinder.

      Schäm dich, Mondschein!

      Ich tat das Fenster auf

      In dunkler Nacht und suchte Lunas Lauf;

      Da glänzt’ sie frech an meines Hauses Schwelle,

      Wild goß ich Wasser auf die weiße Stelle.

      Schäm dich, Mondschein!«

      Ihre Mutter war gestorben, auch hatte sie seither in einer ausländischen Lotterie mehrere tausend Gulden gewonnen, da sie aus langer Weile sich mit dergleichen Dingen befaßte. So schien sie nun mehr als je für schwere und leichte Schnapphähne ein guter Fang, und der Kahle glaubte sie, nachdem er verschiedene Anleihen bei ihr gemacht, welche sie ihm lachend gewährte, im Sturme nehmen zu können, ward aber ebenso lachend abgewiesen. Das obige Liedchen aber schien sogar auf ein schlimmes Abenteuer zu deuten, welches er auf seiner Freite bestanden. Denn mit einer ganz heillosen Diskretion sahen sich die drei übrigen an, mit funkelnden Augen und mühsam verhaltenem Munde, indem sie anfingen, halblaut zu summen:

      »Hm! hm! – hm! hm! hm!

      hm! hm! hm! – hm! hm! hm!«

      Der Rhythmus dieses Gesummes war so verführerisch, daß ich mit einstimmte und eine stolze Glückseligkeit empfand, mit den Spöttern singen zu dürfen hm hm hm! hm hm hm! – es war still und feierlich in der nur noch schwach erleuchteten Stube, und mit feierlicher Behaglichkeit setzten wir die seltsamen Takte fort. Judith lachte hell auf und rief »O ihr Kindsköpfe!« Da brachen wir laut aus »Ha ha ha! – ha ha ha!« Der Gehöhnte aber spähte umher, zog unversehens dem lautesten Spötter ein hervorguckendes Blatt aus der Kutte und las dessen Überschrift »Christliche Wochenbötin, ein konservatives Volksblättlein«. Der Spott entlud sich nun auf den Überraschten, dessen schwache Seite sein Konservatismus war, den er weder genugsam zu erklären noch zu verteidigen vermochte. Diese Benennung war erst seit einiger Zeit im Umlauf und fing einige Leute, welche vorher im Nebelhaften geschwebt. Der Kahle forderte den Konservativen auf, er solle einmal sagen, was er sich eigentlich darunter denke, wenn er behaupte, konservativ zu sein. Dieser wollte tun, als ob er hierüber keinen Spaß verstehe, und wünschte mit wichtigem Gesicht, nicht zu politisieren! Doch ein anderer rief »Die Erklärung ist schon im Paradies zu suchen! Als Adam den Tieren ihren Namen gab, war eines darunter, das wedelte gar bedächtig mit den Ohren und sagte, es sei konservativ; es konnte aber keinen Grund hiefür angeben, und Adam sagt: ›Du sollst Esel heißen!‹« Erbost rückte dieser nun mit seinem innersten und eigentlichen Grunde, der seine fixe Idee war, heraus und warf dem Radikalismus vor, daß er den Wein versäuert und verteuert hätte. Wenn man noch ein süßes und billiges Glas trinken wolle, so sei dieses einzig in den abgelegenen altväterischen Wirtschaften zu finden, wo die alten Zöpfe hinkröchen, sich vor der Welt zu verbergen. »Sauft«, schrie er, »den radikalen Rachenputzer eurer berühmten politischen Wirte! Ich halt es mit den Zöpfen!« Da allerdings etwas Wahres in diesem Vorwurfe lag, so entbrannten die drei übrigen ihrerseits im Zorne, schalten den Konservativen einen Verleumder und suchten ihm zu beweisen, daß er ohne den Radikalismus gar keinen Wein zu riechen bekäme, weder guten noch schlechten, daß er selbst als konservativer Parteibedienter völlig überflüssig wäre und von seinen Zöpfen den Schuh unter den Rücken erhielte statt des stärkenden Weinchens der Proselytenbelohnung. Dies führte zu einem hitzigen Gefechte, worin die Herren gegenseitig ihre Grundsätze, Tatsachen und Parteichefs heruntermachten, und das in Ausdrücken, Vergleichungen und Wendungen, Schlag auf Schlag, wie sie kein dramatischer Dichter für seine Volksszenen treffender und eigentümlicher erfinden könnte; nicht einmal nachzuschreiben wären sie, so leicht und blitzähnlich entsprangen die Witze aus den Voraussetzungen, welche bald scharf zutreffend, bald böslich ersonnen, doch immer sich auf die Verhältnisse und Personen gründeten und zu immer neuen Gruppen verschlangen. Ein Leitartikel oder eine Rede wäre zwar aus diesem Turnier nicht zu schöpfen gewesen; doch konnte man sehen, welch eine ganz vertrackte Kritik das Volk auf seine Weise führt und wie sehr sich derjenige trügt, welcher, von der Tribüne herunter zu zweifelhaften Zwecken das »biedere, gute Volk« anrufend, irgendein wohlwollendes und naives Pathos voraussetzt. Selbst Äußerlichkeiten, Angewöhnungen und körperliche Gebrechen, wurden in einen solchen Zusammenhang mit den Worten und Handlungen hervorragender Männer gebracht, daß die letzten nur eine notwendige Folge der ersten zu sein schienen und man glaubte, in den ungelehrten, aber phantasiereichen Volksherren die doktrinärsten Physiognomisten vor sich zu sehen. Mancher angesehene Mann ward hier zu einem lächerlichen oder unheimlichen Popanz umgeschaffen, daß er leibhaft zu sehen war, und selbst die Verteidigung desselben hätte etwas Demütigendes für ihn gehabt, wenn er sie gehört hätte. Wie in einer ganz anderen Welt war ich hier als bei dem Schulmeister; und doch fühlte ich mich gleich zu Hause und schlürfte die starken und rücksichtslosen Redensarten, die spöttischen und wilden Einfälle ebenso andächtig ein wie die


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