Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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zusammengeborgt war; aber alles war zur bestimmten Stunde auf seinem Platze, und Amalia Iwanowna, die sich bewußt war, ihre Sache sehr gut gemacht zu haben, begrüßte die Heimkehrenden sogar mit einem gewissen Stolze. Sie hatte sich sehr fein gemacht: sie trug eine Haube mit neuen Trauerbändern und ein schwarzes Kleid. Aber dieser Stolz, so wohlberechtigt er war, erregte doch Katerina Iwanownas Mißfallen: »Wahrhaftig, gerade als ob wir ohne Amalia Iwanowna nicht einmal verstanden hätten, den Tisch zu decken!« Auch die Haube mit den neuen Bändern mißfiel ihr: »Dieses dumme deutsche Frauenzimmer ist wohl am Ende gar noch stolz darauf, daß sie die Wirtin ist und sich aus Gnade und Barmherzigkeit herbeigelassen hat, ihren armen Mietern zu helfen? Aus Gnade und Barmherzigkeit! Na, da muß ich doch bitten! Bei meinem Papa, der im Range eines Obersten stand und beinahe Gouverneur war, wurde manchmal für vierzig Personen gedeckt, und so ein Weibsbild wie Amalia Iwanowna oder, richtiger gesagt, Ludwigowna hätte man da nicht einmal in die Küche hineingelassen.‹ Indes nahm sich Katerina Iwanowna vor, ihre Gefühle nicht vor der Zeit zum Ausdruck zu bringen, wiewohl sie im Herzen fest entschlossen war, dieser Amalia Iwanowna unbedingt heute noch gehörig die Meinung zu sagen und ihr ihre Stellung zum Bewußtsein zu bringen, damit sie sich nicht womöglich noch Gott weiß was einbildete; vorläufig beschränkte sie sich darauf, sie kühl zu behandeln. Auch eine andre Unannehmlichkeit hatte mit dazu beigetragen, Katerina Iwanowna in eine gereizte Stimmung zu versetzen: zu dem Totenamt war von den dazu eingeladenen Hausgenossen niemand erschienen außer dem kleinen Polen, der es sogar nicht unterlassen hatte, auch nach dem Grabe mit hinzutraben; und zu dem Gedächtnismahle hatten sich von ihnen nur die unbedeutendsten und ärmsten eingestellt, manche davon nicht einmal in nüchternem Zustande, nur so Plebs. Die vornehmeren, besseren Hausgenossen dagegen hielten sich sämtlich wie auf Verabredung fern. Pjotr Petrowitsch Lushin zum Beispiel, wohl der bestsituierte von allen Mietern, war nicht erschienen; und doch hatte noch gestern abend Katerina Iwanowna allen Leuten, das heißt Amalia Iwanowna, Polenjka, Sonja und dem kleinen Polen, erzählt, dieser sehr vornehme, hochherzige Mann, der ganz vorzügliche Verbindungen und ein großes Vermögen besitze, sei ein Freund ihres ersten Mannes gewesen, habe im Hause ihres Vaters verkehrt und habe ihr jetzt versprochen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um ihr eine ansehnliche Pension zu erwirken. Es sei hier bemerkt, daß, wenn Katerina Iwanowna mit jemandes Verbindungen und Vermögen prahlte, sie das ohne jedes egoistische Interesse, ohne irgendwelche persönliche Spekulation tat, ganz uneigennützig, sozusagen aus überquellender Herzensgüte, nur weil es ihr Freude machte, den Gelobten noch mehr zu verherrlichen und noch großartiger erscheinen zu lassen. Als zweiter nach Lushin, und wahrscheinlich dessen Beispiele folgend, war auch »dieser abscheuliche Schurke Lebesjatnikow« nicht erschienen. Was sich dieser Mensch nur einbildete? Er war doch nur aus Gnade und Barmherzigkeit eingeladen worden, weil er mit Pjotr Petrowitsch in einem Zimmer wohnte und mit ihm bekannt war, so daß es nicht wohl anging, ihn zu übergehen. Nicht erschienen waren auch eine feine Dame und deren Tochter, ein überreifes Mädchen; sie wohnten zwar erst vierzehn Tage bei Amalia Iwanowna, hatten sich aber bereits mehrmals über den Lärm und das Geschrei beklagt, das aus der Marmeladowschen Stube zu ihnen herübertönte, besonders, wenn der Verstorbene betrunken nach Hause gekommen war. Von diesen Beschwerden hatte Katerina Iwanowna natürlich bereits durch Amalia Iwanowna Kenntnis erhalten, als diese sich mit ihr gezankt und gedroht hatte, die ganze Familie hinauszuwerfen, und aus vollem Halse geschrien hatte, sie belästigten ihr die vornehmen Mieter, denen sie nicht wert seien die Schuhe zu putzen. Katerina Iwanowna hatte sich jetzt absichtlich dafür entschieden, diese Dame und ihre Tochter, ›denen sie nicht wert war die Schuhe zu putzen‹, einzuladen, um so mehr, da dieselben bisher bei zufälligen Begegnungen sich hochmütig von ihr abgewandt hatten – nun gerade, damit sie zu der Erkenntnis kämen, daß ›man hier edler denke und fühle und sie einlade, ohne der erlittenen Kränkungen zu gedenken‹, und auch damit sie sähen, daß Katerina Iwanowna in ganz anderen Verhältnissen zu leben gewohnt sei. Dies wollte sie ihnen unter allen Umständen bei Tische auseinandersetzen, ebenso auch, daß ihr seliger Papa fast das Amt eines Gouverneurs bekleidet habe; und gleichzeitig wollte sie ihnen andeutungsweise zu verstehen geben, daß kein Anlaß vorliege, sich bei Begegnungen wegzuwenden, und daß ein solches Benehmen überaus dumm sei. Auch der dicke Oberstleutnant, in Wirklichkeit Hauptmann a. D., war nicht gekommen; aber bei ihm war es zweifellose Tatsache, daß er noch vom Vormittag des vorhergehenden Tages völlig betrunken war. Kurz, erschienen waren nur: der kleine Pole; dann ein häßlicher, schweigsamer, übelriechender Kanzlist, mit einem von Pusteln übersäten Gesichte, in fettglänzendem Frack; ferner noch ein tauber und fast blinder alter Mann, der einmal irgendwo bei der Post gedient hatte und den jemand seit undenklichen Zeiten und aus unbekanntem Grunde bei Amalia Iwanowna in Wohnung und Kost unterhielt. Auch hatte sich noch ein betrunkener Leutnant a. D., in Wirklichkeit ein Proviantbeamter, eingestellt; er kam mit sehr unpassendem, lautem Lachen herein und (›denken Sie sich!‹) ohne Weste! Ein anderer Gast setzte sich ohne weiteres an den Tisch, ohne Katerina Iwanowna auch nur zu begrüßen; und schließlich erschien noch ein Individuum, das in Ermangelung andrer Kleider einen Schlafrock anhatte; aber das war nun doch derart unanständig, daß dieser Mensch durch die vereinten Bemühungen Amalia Iwanownas und des Polen schleunigst wieder hinausbefördert wurde. Der Pole hatte übrigens noch zwei andre Polen mitgebracht, die niemals bei Amalia Iwanowna gewohnt hatten und die niemand bisher in der Wohnung jemals gesehen hatte. Alles dies hatte Katerina Iwanowna in eine höchst unangenehme, gereizte Stimmung versetzt. Für wen waren denn schließlich alle diese Vorbereitungen getroffen? Um Platz zu gewinnen, hatte man schon die Kinder nicht an den Tisch genommen, der auch ohnedies schon das Zimmer ausfüllte; sondern es war für sie hinten in einer Ecke auf einem Kasten gedeckt worden, wobei die beiden kleinen auf einem Bänkchen saßen, Polenjka aber als die größte auf sie achtgeben, sie füttern und ihnen ›als Kindern aus guter Familie‹ die Näschen putzen sollte. Kurz, Katerina Iwanowna mußte wohl beim Empfange unwillkürlich eine erhöhte Würde und sogar einen gewissen Hochmut an den Tag legen. Manche musterte sie besonders streng und ersuchte sie dann sehr von oben herab, am Tische Platz zu nehmen. Da sie aber, Gott weiß warum, meinte, an dem Ausbleiben der Nichterschienenen trage Amalia Iwanowna die Schuld, so fing sie auf einmal an, diese äußerst geringschätzig zu behandeln; die letztere bemerkte das sofort und fühlte sich darüber im höchsten Grade pikiert. Ein solcher Anfang ließ kein gutes Ende erwarten. Endlich saß alles am Tische.

      Raskolnikow war fast in demselben Augenblicke eingetreten, als sie vom Kirchhofe zurückkehrten. Katerina Iwanowna hatte sich über seine Ankunft ganz außerordentlich gefreut, erstens weil er der einzige »Gebildete« unter allen Gästen war und »bekanntlich in zwei Jahren an der hiesigen Universität eine Professorenstelle erhalten werde«, und zweitens weil er sich sofort in respektvoller Weise bei ihr entschuldigte, daß er trotz seines aufrichtigen Wunsches nicht habe an der Beerdigung teilnehmen können. Sie hatte ihn ordentlich mit Beschlag belegt, ihm am Tische den Platz zu ihrer Linken angewiesen (rechts von ihr saß Amalia Iwanowna), und trotz der steten Unruhe und Sorge, daß die Gerichte nur auch ja richtig herumgingen und alle Gäste hinreichend damit versehen würden, trotz des quälenden Hustens, der sie alle Augenblicke unterbrach und sie zu ersticken drohte und gerade in den letzten zwei Tagen besonders zugenommen zu haben schien, wandte sie sich nun fortwährend an Raskolnikow und schüttete alles, was sich an unangenehmen Empfindungen bei ihr angesammelt hatte, und all ihre gerechte Entrüstung über dieses mißglückte Gedächtnismahl vor ihm aus, wobei die Entrüstung oft von einem sehr heiteren, sehr ungenierten Lachen über die versammelten Gäste, namentlich aber über die Wirtin selbst, abgelöst wurde.

      »An allem ist diese Eule schuld. Sie verstehen wohl, wen ich meine: die da, die da!« Dabei wies Katerina Iwanowna durch eine Kopfbewegung nach der Wirtin hin. »Sehen Sie sie nur mal an: sie reißt die Augen auf; sie merkt, daß wir von ihr reden, kann aber nicht verstehen und sperrt nun die Augen weit auf. Pfui, so eine Eule, ha-ha-ha! … Kche-kche-kche! Und was bezweckt sie denn eigentlich mit ihrer Haube? Kche-kche-kche! Haben Sie wohl bemerkt, sie möchte gern alle glauben machen, daß sie hier die hohe Gönnerin sei und mir durch ihre Anwesenheit eine Ehre erweise. Ich hatte sie, in der Meinung, es mit einer anständigen Dame zu tun zu haben, gebeten, mir zu dieser Feier Leute besseren Standes und namentlich die Bekannten des Verstorbenen einzuladen; und nun sehen Sie nur, wen sie mir hergebracht hat: wahre Hansnarren! Mistfinken! Sehen Sie nur den da mit dem unreinen Teint; so ein Rotzkerl! Und diese Polacken … ha-ha-ha! Kche-kche-kche! Kein Mensch hat sie je vorher hier zu sehen bekommen; auch ich habe sie noch nie


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