Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский


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keine Beleidigung, als ich zu ihm sagte, ich möchte ihn recht schnell liebgewinnen?«

      »Nein … was soll das für eine Beleidigung sein?«

      »Und … es war auch nicht dumm gesagt? Es lag ja doch darin der Gedanke, daß ich ihn jetzt noch nicht liebhätte.« »Im Gegenteil, es war sehr schön gesagt, naiv und impulsiv. Du warst so schön in diesem Augenblick! Er ist dumm, wenn er in den Manieren der vornehmen Welt so befangen ist, daß er dafür kein Verständnis hat!«

      »Du scheinst über ihn aufgebracht zu sein, Wanja? Aber wie schlecht, argwöhnisch und eitel bin ich doch! Lache nicht; ich verheimliche dir ja nichts. Ach, Wanja, mein teurer Freund! Wenn ich wieder unglücklich sein werde, wenn das Leid wieder heranrückt, dann wirst du gewiß bei mir sein und mir zur Seite stehen; du wirst vielleicht mein einziger Helfer sein! Wie soll ich dir das alles vergelten? Fluche mir niemals, Wanja!«

      Als ich nach Hause zurückgekehrt war, zog ich mich sogleich aus und legte mich schlafen. In meinem Zimmer war es feucht und dunkel wie in einem Keller. Viele seltsame Gedanken und Gefühle wogten in meinem Innern, und lange Zeit konnte ich nicht einschlafen.

      Aber wie mochte in diesem Augenblick ein Gewisser lachen, der sich in seinem bequemen Bett anschickte einzuschlafen; – wenn er uns überhaupt eines Lächelns würdigte! Wahrscheinlich jedoch würdigte er uns dessen nicht.

      Drittes Kapitel

      Als ich am andern Morgen um zehn Uhr im Begriff war, meine Wohnung zu verlassen, um nach der Wassili-Insel zu Ichmenews zu eilen und von ihnen mich möglichst schnell zu Natascha zu begeben, stieß ich plötzlich in der Tür mit meiner gestrigen Besucherin, der Enkelin des alten Smith, zusammen. Sie wollte zu mir kommen. Ich erinnere mich, daß ich mich über ihr Kommen sehr freute, ohne recht einen Grund für diese Freude zu wissen. War sie mir schon am Abend des vorhergehenden Tages merkwürdig erschienen, wo ich sie nicht genauer hatte betrachten können, so setzte sie mich jetzt bei Tage noch mehr in Erstaunen. Es wäre auch wirklich schwer gewesen, ein seltsameres, originelleres Wesen zu finden, wenigstens was das Äußere anlangt. Von kleiner Statur, mit blitzenden, schwarzen, nicht-russischen Augen, mit dichtem, schwarzem, wirrem Haar und mit einem rätselhaften, stummen, hartnäckigen Blick war sie geeignet, sogar die Aufmerksamkeit eines jeden Passanten auf der Straße zu erregen. Besonders frappierte ihr Blick: in diesem leuchtete ein guter Verstand; zugleich aber lag in ihm eine Art von fragendem Mißtrauen, ja sogar eine gewisse argwöhnische Furcht. Ihr abgetragenes, schmutziges Kleidchen hatte bei Tageslicht noch mehr Ähnlichkeit mit Lumpen als am vorhergehenden Abend. Es schien mir, als ob sie an einer schleichenden, hartnäckigen, chronischen Krankheit leide, die allmählich, aber unerbittlich ihren Organismus zerstöre. Ihr blasses, mageres Gesicht hatte eine unnatürliche, bräunlichgelbe, gallige Färbung. Im ganzen aber konnte man sie trotz aller Verunstaltung durch Armut und Krankheit sogar hübsch nennen. Ihre Augenbrauen waren scharf gezeichnet, fein und edel; besonders schön waren auch ihre breite, etwas niedrige Stirn und die Lippen, die einen stolzen, mutigen Zug aufwiesen, aber blaß und nur ganz schwach gerötet waren.

      »Ach, da bist du ja wieder!« rief ich. »Nun, das hatte ich mir schon gedacht, daß du kommen würdest. Komm doch herein!«

      Langsam, wie gestern, trat sie über die Schwelle, kam herein und blickte sich mißtrauisch um. Aufmerksam musterte sie das Zimmer, in dem ihr Großvater gewohnt hatte, wie wenn sie feststellen wollte, was sich bei dem neuen Mieter darin geändert habe. ›Na, die Enkelin ist geradeso wie der Großvater›, dachte ich. ›Ob sie wohl bei vollem Verstand ist?‹ Sie schwieg immer noch; ich wartete.

      »Ich wollte die Bücher holen!« flüsterte sie endlich mit niedergeschlagenen Augen.

      »Ach ja, deine Bücher; da sind sie, nimm! Ich habe sie absichtlich für dich aufgehoben.«

      Sie blickte mich neugierig an und zog den Mund in einer eigentümlichen Weise schief, wie wenn sie mißtrauisch lächeln wollte. Aber der Ansatz zu diesem Lächeln ging vorüber, und der frühere finstere, rätselhafte Ausdruck trat sogleich wieder an seine Stelle.

      »Hat vielleicht der Großvater zu Ihnen von mir gesprochen?« fragte sie, mich vom Kopf bis zu den Füßen ironisch ansehend.

      »Nein, von dir hat er nicht gesprochen; aber er…«

      »Aber woher haben Sie dann gewußt, daß ich kommen würde? Wer hat es Ihnen gesagt?« fragte sie, mich schnell unterbrechend.

      »Ich dachte, dein Großvater könne doch nicht so ganz allein, so von allen Menschen verlassen hier gelebt haben. Er war so alt und schwach; da meinte ich, es sei manchmal jemand zu ihm gekommen. Nimm; da sind deine Bücher. Du lernst wohl daraus?«

      »Nein.«

      »Wozu brauchst du sie dann?«

      »Der Großvater hat mich daraus unterrichtet, in der Zeit, als ich noch zu ihm kam.«

      »Bist du denn nachher nicht mehr zu ihm gekommen?« »Nein, nachher nicht mehr… ich war krank geworden«, fügte sie wie zu ihrer Entschuldigung hinzu.

      »Hast du Angehörige, eine Mutter, einen Vater?«

      Sie zog plötzlich die Brauen finster zusammen und sah mich sogar ordentlich ängstlich an. Dann schlug sie die Augen nieder, wandte sich schweigend ab und ging, ohne mich einer Antwort zu würdigen, leise aus dem Zimmer, ganz wie am vorhergehenden Tag. Erstaunt folgte ich ihr mit den Augen. Aber auf der Schwelle blieb sie stehen.

      »Woran ist er gestorben?« fragte sie kurz, fast ohne sich nach mir umzuwenden, mit ganz derselben Haltung und Bewegung wie tags zuvor, als sie ebenfalls beim Hinausgehen, das Gesicht der Tür zugewandt, stehenblieb und nach Asorka fragte.

      Ich trat zu ihr und begann, ihr in kurzen Worten den Hergang zu erzählen. Mir den Rücken zuwendend, hörte sie mit gesenktem Kopf schweigend und aufmerksam zu. Ich erzählte ihr auch, daß der alte Mann im Sterben von der Sechsten Linie gesprochen habe.

      »Ich dachte mir«, fügte ich hinzu, »daß dort gewiß einer von seinen Angehörigen wohne, und daher erwartete ich auch, daß jemand kommen und sich nach ihm erkundigen werde. Gewiß hat er dich liebgehabt, da er sich in seinem letzten Augenblick deiner erinnerte.«

      »Nein«, flüsterte sie wie unwillkürlich, »er hat mich nicht liebgehabt.«

      Sie befand sich in starker Aufregung. Beim Erzählen hatte ich mich zu ihr hinabgebeugt und ihr ins Gesicht gesehen. Ich hatte bemerkt, daß sie große Anstrengungen machte, um ihre Aufregung zu unterdrücken, anscheinend aus Stolz mir gegenüber. Sie wurde immer blasser und blasser und biß sich stark auf die Unterlippe. Aber namentlich fiel mir der sonderbare Schlag ihres Herzens auf. Dieses schlug immer stärker und stärker, so daß man es zuletzt zwei, drei Schritte weit hören konnte, wie bei einem Aneurysma. Ich glaubte, sie würde auf einmal in Tränen ausbrechen wie am vorhergehenden Tag; aber sie bezwang sich.

      »Wo ist der Zaun?«

      »Was für ein Zaun?«

      »An dem er gestorben ist.«

      »Ich werde ihn dir zeigen, wenn wir hinauskommen. Sag mal, wie heißt du denn?«

      »Es hat keinen Zweck.«

      »Was hat keinen Zweck?«

      »Es hat keinen Zweck; es ist gleichgültig… ich habe keinen Namen«, stieß sie, anscheinend ärgerlich, heraus und machte eine Bewegung, um fortzugehen. Ich hielt sie zurück.

      »Warte doch, du wunderliches Kind! Ich meine es ja gut mit dir; du tust mir leid, seit gestern, als du da im Winkel auf der Treppe weintest. Ich kann gar nicht ohne Schmerz daran denken … Außerdem ist dein Großvater unter meinen Händen gestorben, und gewiß hat er an dich gedacht, als er von der Sechsten Linie sprach; es war, als wolle er dich meinem Schutz empfehlen. Ich habe sogar von ihm geträumt… Und auch die Bücher da habe ich für dich aufgehoben; aber du bist so scheu, als ob du dich vor mir fürchtetest. Du bist gewiß sehr arm und eine Waise und wohnst vielleicht bei fremden Leuten; ist es so?«

      Ich hatte herzlich auf sie eingesprochen und weiß selbst nicht, wodurch sie für mich eine solche Anziehungskraft hatte. Es lag in meinem Gefühl noch etwas anderes als bloßes Mitleid. War es nun das Geheimnisvolle der ganzen Sache


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