GRIMWEAVE – Das Monster der grünen Hölle. Tim Curran
dir nicht so ins Hemd, Cherry. Die kommen nicht. Solange niemand ein Signal gibt, wird hier keiner kommen. Sie werden uns frühestens morgen holen, und dann warten wir auf sie.«
»Oh Mann, Gunny, ich brauch ein kaltes Bier.«
»Fick dich, dein kaltes Bier und die heilige Maria.«
Spiers rieb sich die Augen. Er brauchte das jetzt, sowie Titten und einen Ritt. Das roch ja förmlich nach KIA (gefallen im Krieg) / WIA (verwundet im Krieg) oder noch schlimmer POW (Kriegsgefangener). Er wusste, dass so was passieren könnte. Carmody war verrückt nach diesen Schlitzaugen. Ein furchtloser Bluthund. Gewöhnlich waren sie ein Totschläger-Team, bestehend aus fünf Mann. Carmody, Spiers, zwei Infanteristen und ein Funker. Doch wenn es nur sie beide waren, dann benahm sich Carmody wie auf einem Vater-Sohn-Camping-Trip. Ein verdammter Pfadfinder auf Wanderschaft zum Camp Pokatwatta. Es war zwecklos, zu streiten. Carmody war der Ranghöhere.
»Okay, Gunny, wie du willst. Da kann ich nicht widersprechen. Ich mach, was ich soll, wie ein braver kleiner Soldat.«
»Das wollte ich hören, Cherry.«
»Ha, das glaub ich dir. Du bist nicht gerade bekannt für leben und leben lassen.«
Carmody blitze ihn an. »Glaub ja nicht, ich wüsste nicht, was du hier machst. Ich sehe dich doch diese kommunistische Propaganda-Scheiße lesen. Glaub ja nicht, ich hätte das nicht bemerkt.«
»Welche Propaganda?«
Carmody spuckte auf eine Eidechse. »Diese chinesische Scheiße. Diese Chi-Com-Gehirnwäsche und all so was. Demnächst trägst du so ein verficktes Parteiabzeichen und lutschst Onkels Ho‘s Schwanz.«
Spiers musste fast laut lachen. Das Buch, auf das Carmody anspielte, war Sun Tzu’s »Die Kunst des Krieges«, ein klassischer Text über die Kriegsführung der Han-Dynastie, geschrieben vor weit über zweitausend Jahren. Er fand es ziemlich interessant, allerdings nicht so, dass er es gekauft hätte. Hatte er auch nicht, er hatte es sage und schreibe gefangen. Das Buch war ihm von einem Green Beret auf dem Weg ins A-Shau-Tal aus einem Chopper zugeworfen worden. Das war vor sechs Monaten gewesen und Spiers hatte es immer noch. Es war zerknittert und verschmiert und hatte ziemlich viele Eselsohren. Doch er schaute immer wieder rein, obwohl er es schon zweimal von vorn bis hinten durchgelesen hatte. Es war zu ihm wie Manna aus dem Himmel gekommen und er sah es als eine Art Talisman.
»Da ist nichts Kommunistisches dran, Gunny.«
»Eine Scheiße.«
Carmody würde es niemals glauben, und Spiers wusste das. Bücher waren nichts für Carmody. Er las die Sportseite der Zeitung, die gerade die Runde machte, und weigerte sich sogar die Schlagzeilen der sogenannten Linken Presse zu lesen. Etwas, das Spiers ziemlich amüsant fand. »Das mag ich so an dir, Gunny. Du bist so verdammt engstirnig. Das Pentagon erzählt dir irgendeine Scheiße, und du benimmst dich, als wäre es das normalste der Welt.«
Carmody kam dicht an ihn ran: »Hör mal zu, Cherry. Ich bin kein verdammter Fahnenschwinger. Ich kam nach Vietnam, um zu töten. Du magst denken, es sei für Vaterland und Ehre, aber das zeigt nur, wie verdammt beeinflusst DU bist. Ich töte Kommunisten, weil ich sie hasse, und es macht mir Spaß, die kleinen Ficker zu töten. Ich trete auf sie wie andere auf Fliegen. Es macht mir eine unbändige Freude diese kleinen Ungeziefer zu zertreten und zu zerquetschen, weil ich eine fiese und herzlose Motherfucking-Killermaschine bin. Ich bin die Scheiße in ihren Reistöpfen, und jedes Mal, wenn Charlie drauf kaut, wird er sich vor meinem Geschmack ekeln.«
»Gunny, bei allem Respekt, langsam glaub‘ ich, du bist ein erstklassiger Psychopath.«
»So ist es, mein Junge, ich nehme Leben, trinke Blut und ficke Leichen. Ich lasse Ärsche erzittern und Eier schrumpfen. Ich bin der Albtraum jeder Mutter und ein feuchter Traum für jeden Oberbefehlshaber.« Er grinste sadistisch und zwinkerte Spiers zu. »So, nachdem das geklärt ist, tüten wir jetzt den Offizier ein.«
Spiers zuckte mit den Schultern. Er hatte eh nichts zu sagen und wusste das auch. So viel dazu, zur Basis zurückzukehren für ein paar kalte Bier und eine ordentliche Mütze Schlaf. Heute würden sie »FSB Deep Cut« jedenfalls nicht mehr sehen. Vielleicht morgen … obwohl … wohl kaum.
Carmody prüfte seine Ausrüstung mit dem Eifer eines Jungen, der vor seiner ersten Novemberjagd von seinen ersten Hirschgeweihen und Trophäen träumte. Der Glanz in seinen Augen war jedenfalls der Gleiche.
»Ich geh nochmal pissen, bevor es losgeht«, verkündete Spiers.
Carmody knurrte. »Oh Mann, du hast die Blase einer Zwölfjährigen. Dann lüfte deinen Schlitz und mach deinen Rock nicht nass. Herrgott nochmal.«
Spiers verschwand hinter einem Baum. Warum auch immer. Schließlich lebte er schon seit Monaten in enger Gemeinschaft mit kampferprobten Marines – rau, derb und anzüglich – und da gab es so was wie Privatsphäre nicht. Doch wenn man sie bekommen konnte, dann nahm man sie sich. Unabhängig der Geschichten über die armen Bastarde, die von Charlies kaltgemacht worden sein sollen, wenn sie pinkeln waren.
Als er zurückkam, starrte Carmody auf die mit Fliegen übersäten Körper, die in der Hitze schmorten. »Wir sind bald wieder zurück. Stellt schon mal eine Kerze ins Fenster.«
»Komm schon«, sagte Spiers.
Carmody grinste, kein sehr schöner Anblick. Seine Zähne waren wie gelbe Grabsteine in seinem vernarbten und bemalten Gesicht.
»Schnapp dir dein Zeug. Wir krallen uns einen Chuck und treten ein wenig in Scheiße.«
Spiers hatte das Gefühl, dass sie in noch viel größere Scheiße geraten würden. In etwas, das er nicht benennen konnte.
Kapitel 2
Sie bewegten sich leise, kontrolliert und raubtierhaft, wie Katzen. Carmody führte sie durch Bäume mit dichtem Blätterwerk und ein Gewirr aus Farnen, knorrigem Teakholz, Ranken und durch schweres klumpiges Unterholz. Der Boden war schlammig und uneben, ein Hindernislauf über faules Holz, heruntergefallene Zweige und belaubten Lehmboden, in dem ihre Stiefel tief versanken. Der Regenwald verschluckte das meiste Sonnenlicht und kreierte Wechselspiele aus Schatten und Nebelschwaden. Wann immer sie rauskamen aus dem Dickicht, an die heiße Sonne, waren es Wiesen aus rasiermesserscharfem hohen Gras, das in die bloße Haut schnitt. Dann verschwanden sie wieder im Dschungel, um sich durch ein Dickicht aus verflochtenem Gestrüpp, verknoteten Schlingpflanzen und schlammigen Erdwällen zu kämpfen, immer begleitet von Moskitoschwärmen, die sie ständig belästigten. Das einzig Gute daran war, dadurch, dass es so ein einfaches Land war – urzeitlich, ging es Spiers durch den Kopf – und so beengt, gab es keine Möglichkeit für eine wirklich große Einheit, da hindurch zu kommen. Außer kleinen VC-Gruppen hatten sie wohl nicht viel zu befürchten, abgesehen von der örtlichen Tierwelt wie giftigen Schlangen, Spinnen und anderen ekelhaften Kreaturen, die in diesem riesigen Höllenschlund lebten.
Obwohl Carmody doppelt so alt war, bewegte er sich durch den Dschungel wie ein Eingeborener, so ein verdammter Nun-Kit-Carson-Kundschafter. Er war schnell, vorsichtig, leise und geschmeidig. Es schien fast schon nicht mehr menschlich. Er war halb Affe, halb Schlange, halb Maulwurf. Kein Mensch konnte sich so bewegen. Das war schon unnatürlich, und Spiers hatte schwer damit zu kämpfen, hinterherzukommen.
»Mach schon, Marine«, flüsterte Carmody und hielt ein paar Farne zu Seite. »Du bewegst dich so, wie meine jungfräuliche Tante fickt.«
Der verdammte Hurensohn führt uns direkt in eine VC Falle und in sechs Monaten finden irgendwelche ARVN-Typen unsere Knochen und wundern sich, wer wir waren, dachte Spiers.
Die Landschaft war eine Ansammlung aus dichter Vegetation und es gab einfach zu viele Stellen für den Feind, sich zu verstecken. Und dieser Offizier … nun der konnte hier überall irgendwo gestorben sein. Sie hätten über ihn stolpern können und ihn trotzdem nicht bemerken. Das war doch Scheiße. So wie es aussah, würde es dunkel sein, bevor sie zur Landezone zurückkämen. Sie überquerten ein weitläufiges Moorgebiet aus smaragdgrünem Wasser, überzogen