Liebe gegen jede Regel. Andrew Grey
Geoff warf die Schlüssel auf den Küchentresen und schaute sehnsüchtig in Richtung Badezimmer. Er musste dringend den Geruch von Suff, Schweiß und Sperma loswerden.
Geoff bewegte sich direkt in Richtung Schlafzimmer, das mit Bett und Kleiderschrank ähnlich spärlich wie der Rest der Wohnung eingerichtet war. Eilig entledigte er sich seiner Kleidung und betrat das Badezimmer, wo er prompt den Fehler machte, das Licht einzuschalten und in den Spiegel zu schauen.
»Scheiße.« Die tiefen, dunklen Ringe unter seinen Augen wurden durch den wächsernen Ton seiner Haut nur noch unterstrichen.
Rasch griff Geoff nach der Zahnbürste und rasierte sich anschließend, bevor er die Dusche aufdrehte und sich unter den Strahl stellte. Das Wasser fühlte sich gut an – reinigend, erfrischend. Er schrubbte sich gründlich und konnte dabei fast fühlen, wie die Überreste der letzten Nacht in den Abfluss gespült wurden.
Das Telefon klingelte, als er aus der Dusche trat. Hastig wickelte er sich ein Handtuch um die Hüften und rannte ins Wohnzimmer.
»Hi, Geoff, Raine hier. Wie geht's dem Kater?«
Geoff wusste, dass Raine mit Absicht überlaut sprach.
»Arschloch.« Gelächter schallte ihm aus dem Telefon entgegen. »Ist gar nicht so schlimm... jedenfalls nicht so schlimm wie's sein könnte. Bei dir?«
Mehr Lachen von der anderen Seite der Leitung. »Hast du vergessen, dass ich nie 'nen Kater bekomme?«
Das war definitiv eine der Ungerechtigkeiten des Lebens. Raine konnte wie ein Fass ohne Boden saufen und schien am nächsten Morgen nie etwas davon zu merken.
»Lust auf Kaffee?«
»Sicher, gib mir fünfzehn Minuten. Ich treff' dich an der Ecke.« Geoff legte auf, trocknete sich ab und zog sich an, bevor er sich beschwingt in Richtung der nächsten Straßenecke aufmachte.
Der Coffeeshop war gerammelt voll, aber er entdeckte Raines schwarzen Lockenkopf an einem der Tische und steuerte dorthin.
»Ich hab' noch nicht bestellt. Wenn ich aufstehe, ist der Tisch weg«, begrüßte ihn Raine.
»Kein Problem, ich mach' schon. Ein großer Latte?«
Raine nickte.
Geoff brauchte eine Weile, bis er mit Kaffee und zwei großen, klebrigen Gebäckstücken zum Tisch zurück kam. Zucker. Er brauchte Zucker.
»Danke.« Raine nahm seine Tasse entgegen und Geoff setzte sich. »Du siehst scheiße aus.« Raine nippte an seinem Kaffee.
»Herzlichen Dank auch! Sei bloß nicht zu nett.«
Raine lachte. »Na ist doch wahr.« Was musste der Kerl auch immer so direkt sein. Wenigstens wusste man bei ihm immer, woran man war. »Du hast ein wenig Raubbau mit deinem Körper getrieben in letzter Zeit.«
»Ich weiß.« Geoff konnte das nicht leugnen. Seit er vor sechs Monaten hierher gezogen war ‒ frisch vom College mit einem Abschluss in Buchhaltung und einer Amok laufenden Libido ‒, hatte er es fast zu einer Art Mission gemacht, so viele Männer wie möglich abzuschleppen, aber mittlerweile laugte es ihn aus.
Raine trank weiter seinen Kaffee in kleinen Schlückchen. »Du musst ein wenig kürzer treten, ein bisschen entspannen. Du kannst dich nicht auf deinen Weg zur Glückseligkeit ficken.« Darauf hatte er nur gewartet – wieder einer von Raines Sprüchen. Der Mann hatte für jede Situation einen parat.
»Nein, aber man kann eine Menge Spaß haben, während man es versucht«, sagten beide gleichzeitig. Sie mussten lachen und holten Geoff damit aus seiner sinkenden Stimmung. Raine war gut für ihn. Egal wie schlecht die Dinge standen, er konnte immer darauf zählen, dass Raines lockere Art und sorgloser Humor ihn wieder hoch zogen.
»Im Ernst, Geoff, du übertreibst es mit dem Männerverschleiß.«
»Ich weiß.«
Sie beendeten ihr Frühstück.
»Lass uns ins Kino gehen und ein wenig Spaß haben«, schlug Raine vor. »Ich glaub', das brauchst du grade.«
Geoff überprüfte im Kopf seinen imaginären Kalender. »Naja, weißt du, ich hab' heute eigentlich so viel vor, muss die Wohnung putzen und Wäsche waschen. Ich weiß nicht, wie Kino da in meinen Zeitplan passen soll.«
»Sarkasmus steht dir nicht.« Sie lachten erneut und brachten das Geschirr zurück, bevor sie den Coffeeshop verließen.
Geoff und Raine verbrachten den Rest des Tages zusammen, gingen tatsächlich ins Kino und ein wenig bummeln. Da sie beide ziemlich pleite waren, schauten sie sich mehr um, als dass sie etwas kauften, und landeten schließlich in Raines Wohnung, wo sie den Abend damit verbrachten, Filme zu schauen, bis Geoff den Heimweg antrat, wo er völlig erledigt ins Bett fiel.
***
Am Montagmorgen musste Geoff um acht im Büro sein und beinahe kam er zu spät. Anders als in den vergangenen paar Wochen, hatte er gut geschlafen und nicht die Nacht mit Männerjagd verbracht. Gerade noch rechtzeitig schaffte er es, seinen PC zu starten.
Er hatte den Job als Buchhalter einer Einzelhandelskette sofort nach seinem Abschluss bekommen. Geoff mochte die Arbeit und kam mit den Leuten aus seinem Team gut zurecht, aber die meisten von ihnen waren älter und es fiel ihm schwer, nähere Bekanntschaften zu schließen. Die einzige Ausnahme war Raine gewesen. Geoff hat ihn am ersten Arbeitstag getroffen und sie hatten sich schnell angefreundet. Natürlich hatte er auch Bekannte und Leute, mit denen er ausging, aber sein einziger, wirklicher Freund war Raine. Nicht selten fühlte er sich schlicht einsam.
Geoff versuchte gerade, eine Abweichung im Lieferantenbuch zu finden, als ihn ein leises Räuspern aufschreckte.
»Geoff, Kenny würde dich gerne in seinem Büro sehen.«
Kenny war der Chef der Buchhaltung und wenn er nach jemandem rief, hatte man zu springen. Er war ein netter Kerl, aber er verlangte Pünktlichkeit von all seinen Mitarbeitern. Zuspätkommen wurde als Zeichen der Respektlosigkeit gewertet.
Eine Stunde kehrte Geoff mit mehr Aufgaben zurück, die es zu lösen galt. Das war etwas, was er liebte, wirklich liebte. Nummern sprachen mit ihm und er hatte ein Talent dafür, sich daran festzubeißen und die Fehler und Ungereimtheiten zu finden, egal wie klein sie sein mochten. Innerhalb kürzester Zeit hatte er den Ruf, kleine Fehler finden zu können, bevor sie zu großen werden konnten.
Das einzige, was Geoff an seinem Job nicht mochte, war die Tatsache, dass er dabei ziemlich vereinsamte. Er verbrachte die meiste Zeit des Tages mit Zahlen und arbeitete nur sehr wenig mit Menschen. Am liebsten würde er beides machen.
Am Nachmittag kam Raine zu seiner Arbeitsnische und sie verbrachten die kurze Mittagspause zusammen, ehe sie ins Fitnesscenter der Firma gingen, um ein wenig was von den Ausschweifungen des Wochenendes abzuarbeiten.
Nachdem sie sich umgezogen hatten, traten beide auf ein Laufband und setzten sich langsam in Bewegung. Wie üblich war der Raum mit Ausnahme von ihnen leer.
»Ich denke darüber nach, mir einen neuen Job zu suchen«, bemerkte Raine wie nebenbei.
»Warum?« Der Gedanke sandte Geoff einen Schauer den Rücken hinab – was sollte er machen, wenn er sich nicht mehr jeden Tag mit Raine zum Mittag oder zum Sport treffen konnte?
»Ich komme hier nicht weiter. Kenny mag mich nicht wirklich, also wird sich nie irgendwas für mich ergeben.« Raine war schon ein Jahr länger hier als Geoff, aber es schien, als würde Geoff die interessanteren Aufgaben bekommen und mehr Anerkennung. Geoff wusste nicht, was er sagen sollte, also lief er weiter, die Geschwindigkeit seines Gerätes erhöhend.
Raine musste den besorgten Ausdruck in Geoffs Gesicht gesehen haben. »Keine Sorge, wir werden trotzdem Freunde bleiben.«
»Ich weiß... es ist nur, dass es hier ziemlich öde ohne dich sein wird.«
»Kenny wird das zwar nicht so sehen, aber du könntest schon recht haben.« Bescheidenheit war keins von Raines Charaktermerkmalen. »Gehst