Gesammelte Werke: Kriminalromane + Detektivgeschichten + Historische Romane. Arthur Conan Doyle

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gleichfalls,« murmelte er endlich – »der Fall wird verwickelter.«

      »Und war schon verwickelt genug,« sagte Lestrade und nahm mißmutig am Tische Platz. »Hier wurde wohl Kriegsrat gehalten?«

      »Ist denn – was Sie sagen – aber auch ganz gewiß wahr?« stammelte Gregson.

      »Eben komme ich vom Schauplatz der That,« lautete seines Kollegen Antwort. »Ich war der Erste, welcher entdeckte, was sich zugetragen hatte.«

      Holmes sah ihn erwartungsvoll an. »Wir haben soeben Gregsons Ansicht über den Fall gehört,« äußerte er, »vielleicht wären Sie geneigt, uns nun auch Ihre Erlebnisse und Thaten zu berichten?« »Warum nicht?« versetzte Lestrade; »ich gestehe offen, daß ich der Meinung war, Stangerson müsse bei Drebbers Ermordung die Hand im Spiele gehabt haben – ein Irrtum, von dem ich durch das jüngste Ereignis gründlich zurückgekommen bin. Vor allem wollte ich ermitteln, was aus dem Sekretär geworden sei. Man hatte die beiden noch abends um halb neun zusammen auf dem Eustoner Bahnhof gesehen. Um zwei Uhr morgens war Drebbers Leiche in der Brixtonstraße aufgefunden worden. Wo hatte sich Stangerson in der Zeit zwischen 8 Uhr 30 und der Stunde des Verbrechens aufgehalten? – das war die Frage. Ich telegraphierte eine Personalbeschreibung des Mannes nach Liverpool, damit er sich nicht heimlich auf einem amerikanischen Dampfer einschiffen könne. Dann erkundigte ich mich nach ihm in allen Hotels und Privatpensionen in der Nähe des Bahnhofs. Es schien mir wahrscheinlich, daß, wenn die Reisegefährten sich aus irgend einem Grunde getrennt hätten, Stangerson zur Nacht im nächsten Hotel einkehren und am andern Morgen Drebber sicherlich wieder am Bahnhof erwarten würde.«

      »Sie werden wohl vorher verabredet haben, an welchem Orte sie sich treffen wollten,« warf Holmes ein.

      »Wohl möglich,« meinte Lestrade. »Nun also, den ganzen gestrigen Abend brachte ich mit fruchtlosen Erkundigungen zu. Heute früh setzte ich meine Nachforschungen beizeiten fort und kam gegen acht Uhr nach Hallidays Privathotel in der kleinen Georgstraße. Auf meine Frage, ob ein Herr Stangerson dort abgestiegen sei, erhielt ich sofort eine bejahende Antwort. ›Vermutlich sind Sie der Herr, auf den er schon seit zwei Tagen wartet,‹ meinte der Portier.

      »›Wo ist er jetzt?‹ fragte ich.

      »›Oben in seinem Schlafzimmer; er wollte um neun Uhr geweckt sein.‹

      »›Ich möchte ihn sofort aufsuchen.‹

      »Mit der Absicht, ihn ganz unvermutet zu überraschen, ließ ich mir von dem Hausknecht das Zimmer zeigen. Es lag im zweiten Stock am Ende eines engen Korridors. Nun stellen Sie sich aber mein Entsetzen vor, als ich bei der Thür angekommen, bemerkte, daß ein dünner, roter Strom über die Schwelle rieselte und auf der andern Seite des Ganges eine kleine Blutlache gebildet hatte. Der Hausknecht, der schon an der Treppe war, kam auf meinen Schreckensruf zurückgestürzt, er wäre bei dem Anblick fast umgesunken. Die Thür war von innen verschlossen, doch gelang es unsern vereinten Kräften, sie aufzusprengen. Drinnen stand ein Fenster offen, und dicht daneben lag zusammengesunken ein Mann im Nachtgewande. Er mußte schon seit mehreren Stunden tot sein, denn seine Glieder waren steif und kalt. Ein Dolchstich war ihm mitten durchs Herz gedrungen. Nun hören Sie aber noch das Seltsamste von der ganzen Begebenheit: An der Wand neben der Leiche stand geschrieben – was glauben Sie wohl? –«

      »Das Wort ›Rache‹ in Blutbuchstaben,« sagte Sherlock Holmes, ohne sich zu besinnen. Mir erstarrte das Blut in den Adern vor Entsetzen.

      »Das war es,« flüsterte Lestrade, und seine Stimme bebte. Eine Weile sprach keiner von uns ein Wort. Die methodische, und doch völlig unbegreifliche Weise, auf die der unbekannte Mörder bei seinen Missethaten verfuhr, erhöhte noch ihren schauerlichen Eindruck. Unter den Greueln des Schlachtfeldes war ich kaltblütig geblieben, jetzt zuckte mir jeder Nerv vor Erregung.

      »Der Verbrecher ist nicht unbemerkt entkommen,« fuhr Lestrade fort. »Ein Milchjunge, der vom Kuhstall nach der Hotelküche ging, sah, daß an einem offenen Fenster des zweiten Stocks eine Leiter lehnte. Als er sich verwundert noch einmal umblickte, kam gerade ein Mann die Leiter herabgestiegen und zwar so ruhig und ohne jede verdächtige Hast, daß der Junge glaubte, es müsse ein Arbeiter sein, der im Hotel etwas auszubessern habe. Nach seiner Beschreibung war der Mann groß, rot im Gesicht und mit einem langen Rock von bräunlicher Farbe bekleidet. Er hat das Zimmer nicht unmittelbar nach der That verlassen, sondern sich erst noch im Becken das Blut von den Händen gewaschen und sein Dolchmesser sorgfältig an den Betttüchern abgewischt.«

      Das Aeußere des Mannes war genau so, wie Holmes es früher beschrieben hatte, doch war keine Spur von Triumph oder Genugthuung in den Zügen meines Gefährten zu entdecken. »Haben Sie in dem Zimmer nichts gefunden, was auf die Spur des Verbrechers leiten könnte?« fragte er begierig.

      »Nicht das geringste. Stangerson trug Drebbers Börse in der Tasche, doch war das nicht auffällig, da er die Reiseausgaben zu bezahlen pflegte. Sie enthielt etwa achtzig Pfund, die unberührt geblieben waren. Auf eine Beraubung hatte man es offenbar nicht abgesehen. In den Taschen des Ermordeten fanden sich weder Papiere noch Notizen, nur ein Telegramm, das vor etwa einem Monat in Cleveland aufgegeben worden war und lautete: ›J. H. ist in Europa‹. Der Name des Absenders stand nicht dabei.«

      »Und das war alles?«

      »Alles Wichtige. Ein Roman, mit dem sich der Mann in den Schlaf gelesen, lag auf dem Bett und seine Tabakspfeife daneben auf dem Stuhl. Auf dem Tisch stand ein Glas Wasser und auf dem Fensterbrett ein hölzernes Salbenschächtelchen, das mehrere Pillen enthielt.«

      Mit einem Ausruf des Entzückens sprang Sherlock Holmes in die Höhe.

      »Das fehlende Glied,« rief er. »Nun ist der letzte Zweifel gelöst.«

      Die beiden Polizisten sahen einander sprachlos vor Erstaunen an.

      »Ich halte nunmehr alle scheinbar noch so verwirrten Fäden in meinen Händen,« sagte mein Gefährte zuversichtlich. »Einzelheiten sind natürlich noch unerledigt, aber über die Hauptsache bin ich völlig im klaren. Von der Zeit an, als Drebber sich von Stangerson trennte, bis zum Augenblick, da des letzteren Leiche entdeckt wurde, weiß ich alles, als hätte ich es mit eigenen Augen gesehen. Sie sollen sogleich einen Beweis davon haben. Könnten Sie wohl die fraglichen Pillen herbeischaffen?«

      »Ich habe sie hier,« versetzte Lestrade, ein Schächtelchen hervorziehend, »ich nahm sie an mich, zugleich mit der Börse und dem Telegramm, um sie der Polizei zu übergeben. Daß ich die Pillen nicht stehen ließ, war der reinste Zufall, denn ich muß sagen, ich legte ihnen keine Wichtigkeit bei.«

      »Wissen Sie, Doktor,« wandte sich Holmes zu mir, »ob das gewöhnliche Pillen sind?«

      Sie waren von perlgrauer Farbe, klein, rund und fast durchsichtig, wenn man sie gegen das Licht hielt. »Nach ihrer Beschaffenheit sollte ich meinen, daß sie sich in Wasser auflösen würden,« bemerkte ich.

      »Das glaube ich auch,« sagte Holmes erfreut. »Bitte,« fuhr er fort, »schaffen Sie doch einmal den kleinen kranken Dachshund herbei, der schon lange in einem so traurigen Zustand ist, daß die Wirtin Sie noch gestern bat, ihn von seinen Qualen zu erlösen.«

      Ich brachte das altersschwache Tier in meinen Armen herauf und legte es auf ein Fußkissen nieder, es atmete schwer und schien bereits in den letzten Zügen.

      »Jetzt schneide ich eine dieser Pillen entzwei,« sagte Holmes, sein Taschenmesser herausziehend; »eine Hälfte bleibt zu späterer Verwendung in der Schachtel, die andere thue ich mit einem Theelöffel voll Wasser in dieses Weinglas. Sie sehen, der Doktor hat recht, sie löst sich schon auf.«

      »Das mag sehr interessant sein,« ließ sich Lestrade in spöttischem Ton vernehmen, »nur begreife ich nicht, was es mit Stangersons Tode zu thun haben soll.«

      »Geduld, mein Freund, Geduld; Sie werden es bald erfahren. Jetzt gieße ich noch etwas Milch dazu, um es schmackhaft zu machen.«

      Er hatte den Inhalt des Weinglases in einen Napf ausgeleert und der Hund leckte die Flüssigkeit bereitwillig auf. Wir saßen schweigend im Kreise und erwarteten eine überraschende


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