Moderne Geister: Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert. Georg Brandes

Moderne Geister: Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert - Georg Brandes


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Beschauer wird sich der Feinheit und des Humors in der Vignettenreihe, wo Amor die 12 Herkules-Arbeiten ausführt, freuen und die vollendete Schönheit und Pracht bewundern, wie am Schlusse Venus vor den Göttern auf dem Olymp tanzt. Die grossen Bilder und Figuren stehen durchgehends dahinter zurück. Klinger ist noch kein Meister in der eigentlichen Zeichnung, und es ist zweifelhaft, ob er es jemals wird. Denn obschon in manchem Punkt das, was er hervorbringt, nicht besser gemacht werden kann, so muss man in andern Punkten fürchten, dass er unverbesserlich ist. Er gehört nicht zu denen, die schrittweise lernen; er geht im Sprung voran oder er behält seine Fehler. Jedoch die kleinen Bilder sind unvergleichlich anmuthig. Eines ist darunter, das Psyche einsam in Amor's Palast darstellt, wie sie von der Musik der Geister getröstet wird; es ist hingehaucht und ideal schön wie ein Gedicht von Shelley.

       Inhaltsverzeichnis

      Ja, Klinger ist Dichter, ein naturanbetender, unberechenbar phantastischer Poet, der mit der Radirnadel und dem Pinsel dichtet. Er malt z. B. eine südliche Landschaft mit heiterer Luft, im Hintergrunde das Meer; ein Strauch voll rother Rosen zur Linken; eine junge, nackte weibliche Gestalt mit einem Rosenkranz um die Stirn liegt ausgestreckt auf dem feinen, weissen Sand und stützt sich auf den Ellbogen. Von rechts nähern sich mit steifer Gravität zuerst ein feuerrother Flamingo, dann in einiger Entfernung zwei grosse, barocke, breitschnäblige Vögel, die der Schönheit ihre Huldigung darzubringen scheinen. Das ebenso vorzüglich erfundene wie schlecht gemalte Bild trägt die Aufschrift: „Deputation“. Oder er zeichnet einen Mephistopheles, der, in Faust's Mantel gehüllt, auf den Besuch des Studenten wartet. Nicht eine Spur von dem traditionellen Mephisto-Typus ist zurückgeblieben. Aber wie ist dies schöne, kluge Gesicht unter dem Barett überlegen, raffinirt, in jeder Fiber von Hohn durchzuckt; eine vampyrische Wollust ist in diesen Zügen. Der grosse Spötter schlägt den warmen Pelzmantel um sich, als ob er friere. Es ist der blutlose Vampyr, der erfahrene Weltmann, der auf die vollblütige Unbedeutendheit, die unheilige Einfalt von der Schule wie auf seine sichere Beute wartet.

      Die letzte Reihe von Radirungen, die Klinger herausgegeben, scheinen mir den Höhepunkt dessen zu bezeichnen, was er erreicht hat; sie haben nur ein einziges misslungenes Blatt aufzuweisen und übertreffen an Reife alles frühere. Der Titel ist „Eva und die Zukunft“. Es sind 6 Blätter. Eva erwacht neugeschaffen in einem Paradiesgarten, der durch die Ueppigkeit seiner Vegetation an den Garten in Zola's „La faute de l'abbé Mouret“ erinnert. Das nächste Blatt „Die Zukunft“ zeigt einen schmalen Bergpfad zwischen zwei nackten, senkrechten Klippenwänden, der emporführt; und zu oberst, wo wir Evasöhne und Evatöchter alle vorbei müssen, wenn wir überhaupt vorbei kommen, — hockt, auf die Vordertatzen gestützt, mit granitener Ruhe ein Riesentieger und wartet, wartet wie das unvermeidliche Entsetzen, das Jedem vorbehalten ist. Das nächste Blatt „Die Schlange“ stellt Eva nackt dar, wie sie sich brüstet und auf den Zehen erhebt, um ihr Gesicht besser im Spiegel sehen zu können, den die Schlange vom Baume der Erkenntniss ihr entgegenhält. Dies Blatt gefällt mir am wenigsten; aber „Die Zukunft“, die das Seitenstück zu „Die Schlange“ bildet, ist um so viel interessanter. Es wirkt durch etwas unaussprechlich Stimmungsvolles: ein Dämon, der Dämon aller Versuchungen, fliesst mit einer Harpune in der Hand, seltsam lächelnd, auf dem Rücken eines Delphins an dem Beschauer vorüber. Die beiden letzten Blätter sind in hohem Grade fesselnd. Das eine stellt die Vertreibung Adam's und Eva's aus dem Paradiese vor und ist betitelt „Adam“; im Hintergrund des Gartens reiche Laubbäume und der durch ein primitives Portal von hohen, unbehauenen Steinen, doch ohne Thorbogen, bezeichnete Ausgang. Im Vordergrund Adam, der Eva auf seinen Armen hinausträgt in die Welt der steinernen Wirklichkeit. Man braucht nur angesichts dieser Radirung einen Namen zu nennen wie Gustave Doré, um die ursprüngliche Frische Klinger's recht augenfällig zu machen; er ist ebenso echt und ursprünglich, wie der Franzose allmälig conventionell und theatralisch geworden ist. „Die Zukunft“, die das Gegenstück zu diesem Blatte bildet, wird Niemand, der sie sah, so leicht vergessen! Jean Paul gebraucht irgendwo von dem Tod den Ausdruck „der Pflasterer“. Dieser Ausdruck gab Klinger, die Idee zu einem Bilde in mittelalterlichem Geist, auf dem man den Knochenmann erblickt, ein Gewimmel von schreckgelähmten Häuptern, die aus der Erde ragen, unter sich; und während sich die sonderbaren Klauen seiner Füsse in die Haare einiger Köpfe verwickeln und er ein Geheul des Entzückens anstimmt, schwingt er seine kräftige Pflasterersjungfrau hoch in seinen Armen und lässt sie mit Wonne auf die Hirnschalen hinabfallen.

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      Es ist wahrscheinlich, dass ein Künstler, der bis zu seinem 24. Jahre schon so viel hervorbrachte, im Laufe der Zeit einen weitverbreiteten Ruf erlangen wird. Ich glaube nicht, dass es ihm gelingt, sich eine ebenso grosse Herrschaft über die Mittel der Malerkunst zu erwerben, wie über die der Radirkunst. Seine verschiedenartigen Versuche bisher waren versprechend, doch nicht entscheidend. Als das, was er vorläufig ist, d. h. als Maler-Radirer, ist er ein grosser Componist und ein wahrer Dichter in seiner Kunst. Er scheint mir besonders darum interessant, weil er, zu dessen Glaubensbekenntniss es gehört, kein Nationalgefühl zu haben, er, der von dem Spanier Goya und dem Deutschen Böcklin fast gleich tief beeinflusst ist, der mit Ausnahme von Gussow und Menzel nur französische Malerkunst schätzt und selten ein modernes deutsches Buch zur Hand nimmt, sondern entweder den Simplicissimus oder moderne französische Schriftsteller wie Zola oder noch lieber die Brüder Goncourt liest, — dass er trotz alledem so tief national ist. Es steckt etwas Urdeutsches in ihm, etwas von der metaphysischen Phantastik Jean Paul's und E. Th. A. Hoffmann's (von welch' Ersterem er ein grosser Bewunderer ist), etwas von der Innigkeit und dem tiefen Schönheitssinn Franz Schubert's, den er spielt und liebt; und dabei hat er doch sein eignes, weit mehr modernes Element, neue Formen für eine neue Innigkeit, neue Ausdrücke für Sehnsucht, Wollust, Humor, Selbstironie und das grosse melancholische Pathos. Wenn jeder Stoff, den er berührt, sich verjüngt, wenn er Amor, den man doch Grund hatte, lediglich als Zopf zu betrachten, von neuem lebendig und möglich machte, so beruht dies auf der persönlichen, nervösen Art, mit der er den Stoff anpackt; und diese Form von Nervosität kommt erst in der letzten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor.

      Klinger ist ein ausgezeichneter Beobachter, der treu nach der Wirklichkeit studirt, der Mann vollendeter Beobachtung. Man sehe z. B., wie er in seinen schlafenden Gestalten den Schlaf studirt hat; man sehe die Haltung und Bewegung seiner Vögel; man sehe die Geberde, mit der Amor's und Psyche's kleiner Sohn dem Jupiter in die Stirnhaare greift. Klinger ist sogar unbarmherzig in seiner Treue gegen die Wirklichkeit; er erspart den Nerven des Betrachters nicht die volle Pein des Eindrucks: oft scheint es, dass er sich gleichsam über die hergebrachte Geziertheit und Zurückhaltung in der Darstellung des Natürlichen lustig mache; so stark fühlt er es, dass der Künstler, wenn er sich den Normen der guten Gesellschaft anbequemt, sowohl komischer als ernst wirkender Effecte verlustig geht, dass ganze Stösse von seinen Zeichnungen — darunter verschiedene, welche die Nationalgallerie in Berlin gekauft hat — der Oeffentlichkeit nicht vorgelegt werden können. Man muss zu Huysmanns und Guy de Maupassant gehen, um literarische Seitenstücke zu finden. Insofern ist er Naturalist bis in die Fingerspitzen.

      Aber im Herzen ist er Pantheist. Seine Phantasie bohrt sich gleichsam in den Mittelpunkt, von dem die schwellende Fülle des Lebens ausgeht, schafft mit, schafft um, bildet neue Organismen, neue Fabelthiere, neue Ausdrücke für Gefühle, neue oder erneute Sinnbilder für Glückseligkeit, Entbehren, Schrecken und Vernichtung. Er wäre der Mann, der durch geistvolle Illustrationen Gustave Flaubert's „Versuchung des heiligen Antonius“ zu einem anziehenden Werk machen könnte. Er hat an der Quelle gestanden, welcher die ältesten Phantasien über die Natur entströmten, und er hat von dieser Quelle getrunken.

      


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