Leni Behrendt Staffel 6 – Liebesroman. Leni Behrendt
Geschäftes viel unterwegs war. Und kam er nach Hause, hatte er kaum Zeit für Weib und Kind. Sie spielten in seinem Leben eine Nebenrolle, zuerst kam für ihn sein Unternehmen. Dafür hetzte und jagte er, gönnte sich kaum eine Stunde Ruhe, bis dann kam, was bei so einem gehetzten Leben kommen mußte: Der noch nicht Fünfzigjährige erlag einem Herzschlag.
Dieser plötzliche Tod berührte die Gattin nicht allzusehr. Denn erstens hatte sie ihren Mann, der zwanzig Jahre mehr zählte als sie, nicht aus Liebe geheiratet – und dann war er ihr durch seine fast dauernde Abwesenheit beinahe fremd geworden.
In den ersten Jahren ihrer Ehe hatte sie sehr darunter gelitten, doch langsam resignierte sie. Ihr ganzes Glück war ihr Kind, die bildhübsche, sonnige Silje.
Bis Frau Rena zwei Jahre nach dem Tod des Gatten den Geiger Thomas Brecht kennenlernte – da gab es noch ein anderes Glück für sie. Der leichtentflammte Künstler verliebte sich sozusagen Hals über Kopf in die Witwe, war von ihrer Madonnenschönheit wie berauscht. Und da auch ihr Herz dem Mann gleich beim ersten Sehen zuflog, wurde schon wenige Wochen später aus beiden ein seliges Paar.
Und nun begann für Frau Rena ein glückvolles Leben. Alles, was sie in ihrer ersten Ehe so schmerzlich vermißt hatte, wurde ihr in der zweiten in verschwenderischem Maß zuteil. Stets begleitete sie den Gatten auf seinen Konzertreisen, und daß Silje, die damals elf Jahre zählte auch mitkam, war eine Selbstverständlichkeit. Denn der Stiefvater liebte die Kleine zärtlich, und auch sie hing sehr an ihrem Paps.
Die Schulbildung des Kindes machte den Eltern keinen Kummer. Es bekam eine Hauslehrerin, und damit gut! Ein Glück, daß Silje leicht begriff, sonst hätte sie bei dem unruhigen Leben von Stadt zu Stadt, von Land zu Land nicht viel gelernt. So jedoch bewältigte sie das vorgeschriebene Pensum spielend und erlernte die verschiedenen Sprachen überall im Lande selbst.
So ging es drei Jahre, dann war die Zeit des Ruhmes für den Geiger vorbei. So steil sein Anstieg erfolgt war, so rapide ging es jetzt bergab. Er war eben zu sorglos gewesen. Hatte geglaubt, daß er immer der beliebte und umschwärmte Künstler bleiben müßte, ohne daß er sein Können vervollständigte.
Zuerst ärgerte und empörte ihn sein Abstieg, doch dann wurde er gleichgültig. Ach was, mochten andere dem Ruhm nachjagen! Ihn ekelte das plötzlich an. Geld hatte er ja genug, also was konnte ihm schon passieren?
Allein, bei dem verschwenderischen Leben, das er mit seiner kleinen Familie nach wie vor führte, schmolz sein Reichtum rasch dahin. Und als er eines Tages gewissermaßen pleite war, tröstete seine Frau ihn damit, daß ja auch sie über einen ganz netten Batzen verfügte. Sie hatte nach dem Tod ihres ersten Mannes das Geschäft verkauft und war auch sonst noch vermögend. Bedingungslos gab sie dem leichtsinnigen Gatten das Geld in die Hände, das er dann auch in gar nicht langer Zeit durchbrachte, wie er seine hohen Gagen und sein Erbe, das ihm der Vater schon längst auszahlte, bereits durchgebracht hatte. Es kam schließlich so weit, daß er nur noch einige tausend Mark besaß.
Und da griff Silje ein, die mittlerweile sechzehn Jahre alt geworden war. Sie bewog die ratlosen Eltern dazu, in ihre Heimatstadt zurückzukehren, was dann auch geschah. Dort verkaufte man die Villa und bezog eine kleine Wohnung, die man behaglich ausstattete. Alles andere aus der reichen Einrichtung des komfortablen Hauses wurde mit verkauft.
Nun hatte man Geld und konnte wieder einmal herrlich und in Freuden leben. Die Warnung Siljes, die trotz ihrer Jugend und Verwöhnung viel vernünftiger war als die Eltern, doch mit dem Geld hauszuhalten, wurde lachend in den Wind geschlagen. Ach was, eine Weile konnte man von dem Geld schon leben. Außerdem würde der Geiger Stunden geben und damit schon den Lebensunterhalt für sich und die Seinen verdienen.
Darauf jedoch wollte die skeptische Silje sich denn doch nicht hundertprozentig verlassen. Also setzte sie bei den Eltern durch, daß sie eine Handelsschule besuchen durfte. Und kaum daß sie diese absolviert hatte, stand man in der kleinen komfortablen Wohnung vor dem Nichts – und diesmal endgültig.
Denn Thomas Brecht hatte nach einer bösen Blutvergiftung, die fast das Leben kostete, zwei Finger seiner linken Hand eingebüßt – als gar noch bald darauf die heißgeliebte Gattin nach einer schweren Operation starb, war der Lebensmut des einst so strahlenden Mannes gebrochen. Er vegetierte nur noch dahin. Ließ sich von seiner Stieftochter, die eine Stellung gefunden hatte, von dem kleinen Gehalt mit unterhalten. Lebte nur noch auf, wenn Silje auf seiner kostbaren Geige, die sie wie ein Heiligtum hütete, musizierte. Dann gab er sich dem Wahn hin, daß seine sehr begabte Schülerin den Ruhm erlangen könnte, der einst ihm beschieden war.
Aber dafür reichte das Können Siljes doch nicht aus. Zumal ihr die Zeit dazu fehlte, genügend zu üben und sich vollständig auf die Musik zu konzentrieren.
Denn sie mußte ja tagsüber im Büro arbeiten, und wenn sie nach Haus kam, noch den kleinen Haushalt versehen. Hinterher war sie so müde, daß ihr wahrlich die Lust fehlte, noch stundenlang auf der Geige zu üben.
So kam ihr Spiel zwar erheblich über den Dilettantismus heraus, genügte aber dennoch nicht, um von Kunstexperten anerkannt zu werden.
Und da das Schicksal es nun einmal darauf abgesehen hatte, die kleine Familie, die einst vom Glück so sehr begünstigt war, niederzuzwingen, verlor Silje auch noch ihren Posten als Stenotypistin in der Fabrik.
Nicht durch Unfähigkeit oder Pflichtverletzung, sondern weil der Juniorchef und Abteilungsleiter sich eine handgreifliche Abfuhr bei der empörten Angestellten holte, als er sie mit einer Liebesbezeugung belästigte.
Denn Silje Berledes war das, was man ein bildschönes Mädchen nennt, dazu voll Grazie und Charme. Es ging etwas ungemein Stolzes, strahlend Reines von ihr aus – und das reizte den skrupellosen Verführer unbeschreiblich. Doch nachdem er die Ohrfeige weg hatte – und zwar in Gegenwart der anderen Stenotypistinnen im Saal –, kannte seine Wut keine Grenzen.
Und wie sagt ein volkstümliches Sprichwort: Wenn man den Hund schlagen will, findet sich auch der Stock.
Nun, der Stock fand sich – und die Stenotypistin Silje Berledes wurde fristlos entlassen.
Jetzt hieß es für sie, mit der kargen Arbeitslosenunterstützung nicht nur sich, sondern auch ihren Stiefvater durchzubringen. Das tapfere Mädchen tat’s – und war schier verzweifelt, als er ernstlich zu kränkeln begann. Da zählte sie nicht mehr die Pfennige ab, machte Schulden, um ihren geliebten Kranken nur ja päppeln zu können. Und als er dann doch einer schweren Lungenentzündung, die plötzlich hinzukam, erlag, wußte die verzweifelte Silje nicht, wie sie dem Toten ein würdiges Begräbnis geben sollte.
Also verkaufte sie kurzentschlossen die kleine Wohnung an ein junges Ehepaar, begrub den Stiefvater, bezahlte die Schulden und bezog dann das erste beste möblierte Zimmer, das sich ihr bot. Zwar war es erbärmlich, kostete aber dafür auch nicht viel – und das war für Silje ausschlaggebend. Denn sie mußte mit dem wenigen Geld, das ihr noch geblieben war, haushalten auf lange Sicht.
Eine Woche später brach sie dann zusammen und kam ins Krankenhaus.
*
Erschrocken fuhr Silje aus tiefem Schlaf auf und starrte verständnislos um sich. Was war geschehen – wie kam sie hierher – auf den Sitz dieses komfortablen Autos?
»Nun, Kleine, starr mich nicht so entsetzt an!« hörte sie nun eine lachende Männerstimme. »Wir sind angelangt.«
»Wo angelangt?«
»Zu Hause.«
»Zu Hause –?« lauschte sie den Worten nach. »Ach, sowas gibt’s ja gar nicht mehr für mich. Lassen Sie mich doch schlafen – ich bin ja so müde…«
Damit legte sie sich mit einem tiefen Seufzer zurück und ließ den lieben Gott einen guten Mann sein, wie man so sagt. Doch gleich darauf schreckte sie wieder auf, denn ein starker Arm hob sie aus dem Wagen und stellte sie behutsam auf die Füße.
»Na, nun mal hoppla!« sprach dieselbe Stimme jetzt ermunternd, und da war Silje endlich wach.
»Entschuldige, Onkel Philipp«, sagte sie hastig. »Ich war wirklich noch schlaftrunken…«
»Hab