Rosa Luxemburg: Gesammelte Schriften über die russische Revolution. Rosa Luxemburg

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Reaktion bietet. Die Reaktion in Rußland kann nicht füglich ärger werden, und sie bemüht sich auch nicht darum, nach Anlässen zu suchen, weil sie eine ständige Einrichtung, weil sie die Norm im Zarenteiche ist. Aber der Terrorismus kann unseres Erachtens leicht die Massen verwirren und von der Bahn des langsamen alltäglichen politischen Kamp-Fes auf die leichtere Bahn der raschen gewaltsamen Einzelkämpfe drängen. Während ferner der Terrorismus naturgemäß den unmittelbaren Kampf in die Hände einer kleinen geschlossenen Gesellschaft von „Auserwählten" zu spielen bestrebt ist, ist es jetzt gerade eine Lebensfrage für die russische Revolution, der breiten Volksmasse klarzumachen, daß nur sie selbst, daß sie einzig und allein den Absolutismus zu besiegen imstande ist. Schließlich arbeitet der systematische Terrorismus auch darin dem organisatorischen Werk unter der Arbeiterklasse entgegen, daß er auch den Absolutismus durch Furcht vor einem geheimnisvollen, unsichtbaren und doch allmächtigen „Komitee“ zu Zugeständnissen zu zwingen sucht, während es gilt, dem Absolutismus, der diese „Komitee“schrecken bereits vor zwei Jahrzehnten glücklich überwunden hat, endlich einmal vor der Volksmasse als einem zielbewußten politischen Feinde Furcht einzuflößen.

      Wir möchten noch die Bemerkung hinzufügen, daß ein an steh nebensächlicher äußerer Umstand uns die oben dargelegte Auffassung zu bestätigen scheint. Es ist dies das Brimborium, womit das russische Terroristenkomitee seine Tätigkeit umgibt, der Tamtam, die bereits fertigen Todesurteile, die den lebendig gebliebenen Verurteilten eingehändigt werden, die Pistolen mit eingravierten schrecklichen Worten, der schleunige detaillierte Bericht der Partei über das Verhalten des so schwer zugänglichen Eingekerkerten, ein Bericht, der den Eindruck erweckt, als ob er einfach auf Grund im voraus mit dem Attentäter verabredeter Erklärungen und Gesten abgefaßt wäre etc. Wir wollen den persönlichen Mut, die Überzeugungstreue, die Opferfreudigkeit des betreffenden russischen Revolutionärs, der das Attentat auf den Fürsten Obolenski versucht hat, deshalb gar nicht geringer einschätzen. Aber dies Drum und Dran des Attentats, besonders die Kommuniques des Terroristenkomitees machen unwillkürlich ein wenig den Eindruck einer terroristischen Spielerei, und die Spielerei gleich im Anfang der terroristischen Praxis wäre ein feines, aber sicheres psychologisches Symptom der Verkehrtheit der Taktik selbst.

      Noch ein wichtiger Nebenumstand macht uns die politische Reife der russischen Terroristengruppe etwas verdächtig. In demselben Dokument in Sachen des Attentats auf Obolenski, das wir in unserer Montagsnummer abgedruckt haben, teilt die genannte Organisation mit, der eingekerkerte Attentäter hätte in seiner schriftlichen Aussage (die offenbar mit dem Komitee verabredet war) erklärt, daß die revoltierenden Bauern von der Terroristenpartei zum Kampfe aufgefordert worden wären. Nun mag es sicher stimmen, daß u. a. auch Flugblätter revolutionären Inhalts unter den Bauern verbreitet waren. Soviel man aber von den jüngsten ländlichen Revolten gehört hat und soviel uns die Verhältnisse dort überhaupt bekannt sind, waren die russischen Bauernaufstände reine Elementarbewegungen, durch äußerste Not und Hunger hervorgerufen, ohne jeden bestimmten politischen Charakter und vollends ohne bestimmten politischen Zweck. Die Sozialisten-Revolutionäre dürften also hier die eigene Rolle etwas übertrieben haben. Sind sie aber tatsächlich für die letzten Bauernrevolten, wenn auch zum kleinen Teil, mitverantwortlich, dann stellen sie sich selbst ein sehr ungünstiges politisches Zeugnis aus. Denn der Zweck so chaotischer und unorganisierter Revolten in einem so wenig vorbereiteten und entsprechenden Moment ist als bewußte politische Taktik einfach unverständlich. Und dieser Umstand muß im Verein mit der Art und Weise, wie der Terrorismus von dieser Gruppe praktiziert wird, ihre ganze Taktik des Leichtsinns verdächtig machen.

      Wir versprechen uns selbstverständlich nicht, durch vorstehende Bemerkungen die Taktik der russischen Sozialisten zu beeinflussen, glauben aber, daß es heilsam wäre, wenn die deutsche Parteipresse, der ja Nachrichten von den russischen Genossen mitgeteilt werden, diesen kritisch gegenüberstehen würde, um sich über die Schicksale der russischen revolutionären Sache, die auch unsere Sache ist, klarzuwerden.

      Zum Schluß möchten wir noch bei dieser Gelegenheit eine interessante Tatsache hervorheben. Während man bei uns daheim bekanntlich den „orthodoxen“ Marxismus der blanquistischen Neigungen verdächtigt und bekanntlich bei Marx selbst den Bazillus des Blanquismus entdeckt hat, sind in dem einzigen Lande, wo die blanquistische Taktik praktische Anwendung finden kann, in Rußland, es nicht „orthodoxe Marxisten“, die ihr das Wort reden. Im Gegenteil, die russische Sozialdemokratie, die von Wera Sassulitsch und anderen vertreten wird, verwirft den systematischen Terrorismus für den gegenwärtigen Augenblick mit aller Entschiedenheit. Ausgeübt und verfochten wird diese jedenfalls stark mit dem Blanquismus verwandte Taktik von derjenigen Gruppe der russischen Sozialisten, die gleich unseren deutschen Revisionisten einen Befreiungskrieg gegen das „marxistische Dogma“ führt.

       Inhaltsverzeichnis

      Zur Frage des Terrorismus in Rußland haben wir in unserem Leitartikel vom 27. August einige Bemerkungen gemacht und die Parteipresse zur kritischen Beurteilung der betreffenden Nachrichten aus Rußland aufgefordert.

      Der Vorwärts vom 30. August bringt nun zu derselben Frage die folgende Notiz:

      „Über ein russisches Terroristenkomitee, auf dessen ‚Auftrag’ hin das Attentat auf den Gouverneur von Charkow unternommen worden sei, wurden in der Presse in den letzten Tagen eingehende Berichte verbreitet. Ein ‚Augenzeuge’ gab z. B. nicht nur eine ganz genaue Schilderung der Vorgänge des Attentates, sondern auch über das Verhör des Verhafteten, das doch sicher unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattgefunden hat, wurden bis ins kleinste detaillierte Angaben gemacht. Wir haben von diesen Berichten keine Notiz genommen, weil sie uns zu deutlich den Stempel der Unwahrscheinlichkeit zu tragen schienen. Wenn ein terroristisches Komitee existiert, in dessen Auftrag politische Attentate in Rußland vollführt werden, so wird dasselbe sorgfältig vermeiden, sich durch Verbreitung derartiger Sensationsberichte in ein äußerst zweifelhaftes Licht zu setzen.“

      Wir fühlen uns verpflichtet, da wir zuerst Bedenken über die gegenwärtige terroristische Taktik der russischen Sozialisten-Revolutionäre geäußert haben, ausdrücklich zu bemerken, daß von der politischen Zweifelhaftigkeit des Terroristenkomitees in Rußland für diejenigen, die mit den Verhältnissen bekannt sind, gar nicht die Rede sein kann. Sowohl die Existenz der terroristischen Kampforganisation der Sozialisten-Revolutionäre wie die makellose politische Ehrenhaftigkeit ihrer Mitglieder wie endlich das tatsächlich in ihrem Auftrag ausgeübte Attentat in Charkow können nicht im geringsten in Zweifel gezogen werden.

      Was einzig und allein zweifelhaft erscheint, ist der Wert, die Zweckmäßigkeit der terroristischen Taktik, und wenn wir auf die etwas kindische Art und Weise hingewiesen haben, wie die russischen Terroristen ihre Tätigkeit zur Schau tragen, so galten uns diese Äußerlichkeiten lediglich als ein Symptom der Verfehltheit der Taktik selbst. Daß diese Äußerlichkeiten tatsächlich kein Zufall, sondern in näherem Zusammenhang mit der Inopportunität des systematischen Terrorismus in der heutigen Lage Rußlands stehn, werden wir vielleicht ein andermal näher darlegen.

      Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie

      (1904)

       Inhaltsverzeichnis

       I

       II

      I

       Inhaltsverzeichnis

      Der russischen Sozialdemokratie ist eine eigenartige, in der Geschichte des Sozialismus beispiellose Aufgabe zuteil geworden: eine sozialdemokratische, auf proletarischen


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