Eine Mutter. Gerstäcker Friedrich
länger getragen werden wollte, an die rechte Hand genommen, und die Kleine trippelte munter nebenher und zeigte mit dem freien Händchen, fortwährend jubelnd, bald da-, bald dorthin, wo sie etwas Neues und Auffallendes entdeckte.
»Bitte um Entschuldigung,« sagte in diesem Augenblick, dicht an Graf Rottack's Seite, eine Stimme, und als er den Kopf danach umdrehte, bemerkte er zu seinem Erstaunen den komischen kleinen Fremden, der wieder mit entblößtem Kopf neben ihm stand, oder vielmehr neben ihm herging und, zu ihm aufsehend, fortfuhr: »Ich habe doch das Vergnügen, den Herrn Grafen Rottack zu begrüßen?«
»Mein Name ist Rottack,« sagte Felix erstaunt, »aber ich weiß nicht...«
»Und kennen Sie mich nicht mehr? Und die Frau Gräfin auch nicht? Und das?« rief er, indem er seinen Hut wieder aufstülpte, die Füße auseinander spreizte und beide Hände auf die eingebogenen Kniee drückte – »Hurrjeh, das ist schon die kleine Familie?«
»Jeremias!« rief in dem Augenblick erstaunt Helene aus.
»Jeremias, bei Allem, was lebt!« lachte jetzt Rottack gerade hinaus, indem er dem kleinen, noch vor den Kindern kauernden Mann die Hand entgegenstreckte. »Mensch, wo kommen Sie auf einmal hergeschneit?«
»Direct von Brumsilien, Herr Graf,« sagte der kleine Mann mit dem ernsthaftesten Gesicht, indem er sich wieder aufrichtete, die dargebotene Hand derb und herzlich schüttelte und dann eben so ungenirt Helenens freundlich gebotene Rechte nahm – »direct von Santa Clara, aus dem alten Nest, und wahrhaftig, keinem Menschen auf der Welt hätte ich lieber begegnen mögen, als Ihnen Beiden! Der Anblick thut kranken Augen wohl. Und das ist die kleine Familie? Jemine, meine Güte, was für ein paar Puppen; und so geschwinde!«
Ein Zug von Schmerz war über Helenens Antlitz gezuckt, als der Anblick des Fremden aus der fernen Colonie ihr rasch wieder schon fast vergessene trübe Bilder vor die Seele rief; aber wie eine leichte Wolke strich es darüber hin, und bald lag wieder lichter Sonnenschein auf dem holden Angesicht.
Sie hatte auch Jeremias immer gern gehabt und wohl gefühlt, daß dem komischen, hastigen Wesen des Mannes ein guter Kern zu Grunde lag, der es treu und ehrlich meinte. Rottack selber war aber hoch erfreut, dem kleinen Manne wieder begegnet zu sein, der ihm Nachricht von vielen Menschen bringen konnte. Übrigens sah er recht gut, daß sich Jeremias, wenn er auch sonst vielleicht noch der Alte geblieben, in seinen Verhältnissen und seinem ganzen Leben sehr gebessert haben mußte.
Er war nicht allein sehr anständig gekleidet, sondern sah auch adrett und sauber aus. Er trug keinen Goldschmuck irgend welcher Art an sich, aber seine Kleider vom besten Tuch, und schneeweiße Wäsche. Nur in die Glacé-Handschuhe hatten sich die arbeitsharten Hände nicht gewöhnen können, möglich auch, daß vielleicht keine passende Größe aufzufinden gewesen, denn im Innern der Hand waren schon beide aufgeplatzt. Aber seine Bewegungen blieben frei und unbefangen, wie immer.
»Nun sagen Sie mir aber vor allen Dingen, Jeremias,« rief Rottack endlich, nachdem er sich von seinem ersten Erstaunen über dieses plötzliche Begegnen erholt, »wie kommen Sie gerade nach Haßburg? Stammen Sie aus dieser Gegend, oder hat Sie nur der Zufall hierher geführt?«
»Keins von Beiden,« erwiderte der kleine Mann, der aber sonderbarer Weise wie etwas verlegen bei der Frage wurde; »das ist übrigens eine lange Geschichte, Herr Graf, die sich nicht so auf der Straße erzählen läßt.«
»Dann kommen Sie mit uns, Jeremias,« rief der Graf rasch, »und essen Sie mit uns – wir gehen gerade zum Diner!«
»Aber, Herr Graf!« rief Jeremias, ordentlich verblüfft.
»Machen Sie keine Umstände,« lachte Felix, der seelenfroh war, gerade jetzt etwas zu finden, das Helene zerstreuen und ihr die frohe Laune wiedergeben konnte; »wir sind ganz unter uns und können da nach Herzenslust plaudern. Ich habe eine ordentliche Sehnsucht danach, wieder einmal etwas von Brasilien zu hören.«
»Na, wenn Sie es denn nicht anders haben wollen,« lachte Jeremias, dem man es aber ansah, wie schmeichelhaft ihm die Auszeichnung war – »mir kann's recht sein. Jemine, es geht aber doch eigentlich nirgends curioser zu, als in der Welt!«
»Also Sie kommen mit?« lächelte Helene, die selber schon zu lange in den transatlantischen Colonien gelebt hatte, um darin etwas Außerordentliches zu finden, daß ein Mann, der früher sogar in einem dienenden Verhältnis zu ihnen gestanden, jetzt auch einmal ihr Gast sein sollte, ja, es drängte sie selber, Neues aus dem alten Leben zu hören, mit dem sie jetzt freilich vollkommen abgeschlossen.
»Ob ich mitkomme,« lachte aber Jeremias, »mit dem größtmöglichsten Vergnügen, und die kleine Erbprinzessin werde ich mir indessen ausbitten,« und damit wollte er das kleine Helenchen von der Erde und auf den Arm nehmen. Das aber war für Helenchen zu viel Vertraulichkeit auf einmal – den fremden Mann kannte sie ja noch gar nicht, und mit einem: »Du, das darfst Du nicht!« fuhr sie zurück und wehrte ihn mit ihren kleinen Händchen von sich ab.
»Steckt im Blute,« lächelte Jeremias, während er, den Kopf seitwärts gehalten, nach ihr hinabsah – »bin der kleinen Comtesse noch nicht vorgestellt worden; aber ich weiß, wie man's macht – bitte, warten Sie nur einen Augenblick!« und ehe Graf Rottack und Helene nur etwas entgegnen konnten, drehte er sich ab und schoß mit langen Schritten auf eine gerade dort gelegene große Conditorei los, in die er eintauchte und wenige Minuten später wieder mit einer riesigen, goldpapiernen Zuckerdüte zum Vorschein kam.
»Na, und jetzt, mein gnädiges Fräulein,« rief er, indem er dem lachenden Kinde die Düte offen hinhielt, »was sagen wir nun? Zugegriffen, versteht sich – Kinder sind sich doch alle gleich, allgemeine Menschennatur. Und jetzt wollen wir zum Essen gehen, wenn die Frau Gräfin nichts dagegen haben.«
Damit nahm er die Kleine, die es sich, eifrig mit der Düte beschäftigt, jetzt auch ruhig gefallen ließ, ohne Weiteres auf den Arm und unterhielt sich, während Felix mit der Gattin voran und ihrem Hause zuschritt, unterwegs mit der ihm erst erstaunt und dann lachend zuhörenden Bonne.
3.
Das Rendezvous.
Mild und erwärmend lag die Nachmittagssonne auf dem schönen Land und warf einen ordentlich magischen Schein über die rothblinkenden Stämme eines Tannenwaldes, der, dunkel und dicht gedrängt, die nächste Hügelkette deckte, und über das breite, wohlgepflegte Wiesenthal, das sich am Fuße desselben hinzog. Ein kleiner, schmaler Fluß schlängelte sich hindurch, helle Weidenbäume mit ihrem graugrünen Laube faßten ihn ein, während einzelne hochstämmige Erlen mit den knotigen, oft behackten Stämmen dazwischen standen und malerische Gruppen bildeten. Der Fluß aber sprang murmelnd und rasch zwischen ihnen hin und warf die Sonnenstrahlen wie spielend in blitzenden Lichtern zurück.
Seitwärts aber erhob sich ein kleiner, sorgfältig mit Blüthenbüschen bepflanzter Hügel, aus dessen Strauch- und Baumwerk, von einzelnen schlanken italienischen Pappeln überragt, die Mauern eines stattlichen Schlosses oder Herrenhauses hervorleuchteten, während rechts durch einen tiefen Einschnitt der Hügelkette die Ziegeldächer von Haßburg und der eine Thurm des Domes sichtbar wurden.
In dem Wiesenthale selber, bald dicht am Ufer des kleinen Flusses, bald mitten darin, lagen zerstreute Gruppen von Birken, knorrigen Eichen, Linden und Blutbuchen, als ob sie der Zufall dort hätte keimen lassen. In der That aber waren sie künstlich angelegt und gepflegt, und dienten auch nur dazu, um der ganzen Gegend etwas Parkähnliches zu geben, ohne ihr jedoch den Charakter ihrer ursprünglichen Natürlichkeit zu nehmen.
Der ganze District war auch in der That nur ein erweiterter Theil des unmittelbar an das Schloß stoßenden Gartens, und ein schmaler, aber gut gehaltener und mit Kies überstreuter Fahr- und Reitweg lief, den Windungen des Wassers folgend, auf das Schloß zu. Das Ganze wurde durch einen leichten, grün angestrichenen Drahtzaun eingeschlossen, der aber von Weitem gar nicht sichtbar war und dadurch dem Parke nur noch mehr das Ansehen einer freien Landschaft ließ.