Dr. Norden Staffel 3 – Arztroman. Patricia Vandenberg
herrschte gute Laune. Ein richtiger Charmeur, wie er im Buche steht.« Sie hielt inne, und ihre Augen die bis jetzt an Daniel vorbei gesehen hatten, nahmen ihn ins Visier. »Er war …,er war wie Sie!«
Das Geheimnis war gelüftet und überrascht schnappte Daniel nach Luft.
»Wie ich?«
Franziska nickte erschöpft. Jetzt, da ihr Widerstand gebrochen war, wirkte sie kleiner, verletzlicher als bisher. Wie ein kleines, hilfloses Mädchen stand sie mit hängenden Schultern vor ihrem Arzt.
»Ja, diese Ähnlichkeit ist unglaublich«, gestand sie heiser. »Als Sie in der Golfhalle auftauchten … das war wie ein Wunder für mich. Einen Augenblick dachte ich, dass Richard zurückgekehrt sei. Es war so …« Franziska suchte nach dem richtigen Wort. »Zuerst war es so tröstlich. Aber dann habe ich es nicht mehr ertragen.«
Obwohl sie es mit keiner Silbe erwähnt hatte, wusste Daniel, dass Richard Weiß nicht mehr am Leben war. Mitfühlend streckte er die Hand aus und legte sie tröstend auf ihren Arm. Franziska wehrte sich nicht und ließ es einfach geschehen.
»Was ist passiert?«, fragte er behutsam.
»Ein Unfall«, presste Frau Weiß durch die blutleeren Lippen. »Wir hatten Streit. Wie so oft ist Richard einfach weggefahren.« Ihr Stimme stockte, und Tränen rannen über ihre Wangen. »Doch dieses Mal ist er nicht wiedergekommen. Wahrscheinlich war er so wütend auf mich, dass er den LKW übersehen hat. Er ist frontal in ihn reingefahren. Der andere Fahrer hatte keine Chance auszuweichen. Richard war sofort tot. Und auch ich habe in diesem Moment aufgehört zu leben.« Sie hatte noch nicht ganz ausgesprochen, als sich ihre geröteten Augen auf einmal weiteten. Franziska öffnete den Mund, als wollte sie fortfahren. Doch bevor sie noch etwas sagen konnte, stöhnte sie leise auf, verdrehte die Augen und stürzte direkt in die Arme ihres Arztes.
*
»Das ist ja schön, dass wir dich heute auch noch in den heiligen Hallen begrüßen dürfen«, erklärte Danny Norden mit leisem Sarkasmus, als Daniel gegen Mittag endlich in die Praxis kam. »Hast du am Ende doch noch Sehnsucht nach uns bekommen?« Nachdem er an diesem Vormittag nicht nur seine, sondern auch noch die Patienten seines Vaters behandelt hatte, hatte er sich eine Pause redlich verdient. Entspannt lehnte er am Tresen, in der einen Hand eines von Frau Bärwalds unwiderstehlichen Schoko-Vanille-Hörnchen und in der anderen eine Tasse Kaffee, und sah seinen Vater erwartungsvoll an. Daniels hungriger Blick hingegen hing an dem Hörnchen, das Stück für Stück im Mund seines Sohnes verschwand.
»Nach dir vielleicht nicht gerade. Aber die Sehnsucht nach so einem Hörnchen kann ich nicht leugnen.« Die Tüte der Bäckerei, in der Dannys Freundin Tatjana neben ihrem Studium jobbte, lag neben dem Juniorarzt auf dem Tresen. Schon wollte Daniel danach greifen, als sich Dannys Hand besitzergreifend darauf legte. Dabei ließ er seinen Vater nicht aus den Augen.
»Moment. So einfach ist das nicht!«
»Seit wann kümmerst du dich nur um dein Wohlergehen?«, fragte Daniel konsterniert zurück.
»Oh, das tue ich gar nicht. Wendy und Janine haben schon was abbekommen«, erwiderte der Sohn schlagfertig, und die Assistentinnen nickten bestätigend. »Wir drei haben im Gegensatz zu dir heute schon fleißig gearbeitet. Aber ich will mal nicht so sein«, erklärte er mit gönnerhafter Miene. »Wenn du mir verrätst, wo du warst, bekommst du auch ein Hörnchen.« Das freche Blitzen in Dannys Augen verriet, dass er diese Forderung nicht ganz ernst meinte.
Nach der anstrengenden Nacht und dem aufregenden Vormittag war Daniel Norden jedoch alles andere als zum Scherzen zumute.
»Das ist Erpressung«, setzte er sich erschöpft zur Wehr. »Ich komme gerade aus der Klinik, in die Frau Weiß heute früh eingeliefert wurde.«
Mit dieser Nachricht hatte Danny nicht gerechnet. Vor Überraschung blieb ihm der Mund offen stehen. Diese Gelegenheit nutzte der Senior und sicherte sich ein leckeres Gebäckstück.
»Was ist passiert?«, fragte Danny, als er sich wieder gefasst hatte. Von dem anapyhlaktischen Schock seiner Schwester hatte er inzwischen gehört und sich ausführlich berichten lassen. Aber dass auch Frau Weiß in der Klinik war, war ihm völlig neu.
»Mir hat die Sache einfach keine Ruhe gelassen«, gestand Daniel und wischte sich den Puderzucker von den Lippen. »Deshalb bin ich auf dem Weg in die Praxis heute Morgen bei Franziska Weiß vorbei gefahren. Ich wollte einfach nur mit ihr reden, sie zur Vernunft bringen. Aber während des Gesprächs ist sie bewusstlos zusammengebrochen.«
»Hab ich’s doch gewusst, dass Gefahr in Verzug ist«, entfuhr es Danny.
Doch zu seinem Erstaunen schüttelte sein Vater den Kopf. Nicht der Hauch eines Triumphs lag in seinem Gesicht.
»Du irrst. Auch Jenny konnte keinen physischen Grund für die Ohnmacht feststellen. Frau Weiß wurde inzwischen gründlich untersucht. Ihr Herz ist zwar von den ständigen Stresssituationen angeschlagen, aber nicht akut infarktgefährdet.«
»Und jetzt?« Danny steckte das letzte Stück Hörnchen in den Mund und trank seinen Kaffee aus. Dabei sah er seinen Vater erwartungsvoll an. »Was hast du jetzt vor?«
»Jetzt werde ich das Versäumte nachholen und mich heute Nachmittag aufopfernd um meine Patienten kümmern«, erklärte Daniel und nahm dankbar die Tasse Kaffee entgegen, die Janine ihm aus der kleinen Küche geholt hatte. »Und nach der Sprechstunde fahre ich noch einmal in die Klinik und unterhalte mich mit unserem Sorgenkind.«
»Das wollen Sie sich wirklich antun?«, platzte Janine besorgt heraus. Sie stand vor ihrem Chef und sah ihn forschend an. »Sie machen jetzt schon den Eindruck, als könnten sie Erholung brauchen.«
Nur mit Mühe gelang es Daniel, ein Gähnen zu unterdrücken.
»Das stimmt«, räumte er bereitwillig ein. Während er Janine nachdenklich betrachtete, kam ihm allerdings ein anderer Gedanke in den Sinn. »Ich habe gehört, dass Sie der Kollege Holzapfel zum Essen eingeladen hat«, sagte er ihr auf den Kopf zu.
Das Blut, das Janine augenblicklich in die Wangen schoss und sie zum Leuchten brachte, war Antwort genug.
»Das ist richtig. Warum fragen Sie?«
Daniel bemerkte das Beben in ihrer Stimme und lächelte beschwichtigend.
»Ich bin nur um Ihr Wohlergehen besorgt und möchte nicht, dass Ihnen jemand Herzschmerzen bereitet«, machte er keinen Hehl aus seinen Sorgen. »Auch oder gerade dann nicht, wenn dieser Jemand ein guter Freund ist.«
Die Sorge ihres Chefs rührte an Janines weiches Herz. Glücklicherweise konnte sie Daniel beruhigen.
»Keine Angst!«, zwinkerte sie ihm zu. »Roland … ich meine Herr Holzapfel … ist zwar ein sehr netter Mann. Aber ehrlich gesagt ist er vom Alter her doch eher was für unsere liebe Wendy.« Lächelnd drehte sie sich zu ihrer Kollegin um, die das muntere Gespräch am Schreibtisch sitzend verfolgte.
»Ein Glück, dass mein Bedarf an Männerbekanntschaften im Augenblick gedeckt ist«, schmunzelte sie über die nicht ganz ernst gemeinte Anspielung ihrer Freundin und Kollegin.
Und auch Daniel war sichtlich erleichtert. Bei Janines Anblick war ihm Rolands Bemerkung wieder in den Sinn gekommen und er freute sich, dass seine Sorgen unbegründet waren. So konnte er sich trotz seiner Erschöpfung halbwegs gestärkt und mit neuem Elan an die Nachmittagssprechstunde machen.
*
Als Dr. Daniel Norden an diesem Abend ins Zimmer seiner Patientin Franziska Weiß trat, sah sie ihm schon erwartungsvoll entgegen. Vor Aufregung tanzten hektische rote Flecken auf ihren Wangen. Es war ihr anzusehen, wie sehr sie auf diesen angekündigten Besuch gewartet hatte.
»Wie geht es Ihnen, Frau Weiß?«, erkundigte sich der Arzt, nachdem er sie begrüßt hatte. Er setzte sich auf die Bettkante und griff routinemäßig nach ihrem Handgelenk, um den Puls zu zählen.
Franziska ließ es sich bereitwillig gefallen.
»Ich stehe tief in Ihrer Schuld«, sagte sie leise. »Wenn Sie nicht dagewesen