Butler Parker 122 – Kriminalroman. Günter Dönges

Butler Parker 122 – Kriminalroman - Günter Dönges


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majestätisch wirkend, erinnerte sie an eine Bühnenheroine längst vergangener Tage. Ihre Bewegungen waren wirksam und besonders ausdrucksvoll. Eine Frau wie Lady Agatha konnte man nicht übersehen. Ihre Stimme trug übrigens dazu bei. Sie war baritonal gefärbt, mitunter erinnerte sie sogar an das Grollen eines tiefen Basses.

      Agatha Simpson trug mit Vorliebe bequeme und ausgebeulte Tweed-Kostüme, große Schuhe, die an kleine Flußkähne erinnerten, und dazu Hüte, die ihre Stilverwandtschaft zu Südwestern der Seefahrt nicht verleugnen könnten.

      Die Lady, mit dem Blut- und Geldadel der Insel eng verschwistert und verschwägert, war seit vielen Jahren Witwe, immens reich und konnte sich jede Exaltiertheit leisten, was sie auch ausgiebig tat. Vor kurzem hatte sie beschlossen, sechzig Jahre alt zu bleiben. Sie war erstaunlich rüstig und dynamisch, betätigte sich noch sportlich und jagte seit Jahren große und kleine Gangster. Sie war Amateurdetektivin aus Leidenschaft und gab sich diesem Hobby schrankenlos hin.

      Agatha Simpson saß an diesem Morgen am Steuer eines ihrer Wagen und hatte London längst hinter sich gelassen. Sie befand sich auf dem Weg nach Cambridge. Aus einer Laune heraus wollte sie dort eine Freundin besuchen, die sie seit langer Zeit nicht mehr gesehen hatte.

      Kathy Porter, die neben ihr saß, glaubte der älteren Dame kein Wort. Kathy war die Sekretärin und Gesellschafterin Lady Simpsons, wurde von ihr aber wie ein Kind behandelt. Sie wußte, daß dieser Ausflug nur ein Vorwand war, um in Parkers Nähe zu gelangen. Lady Agatha hielt die Untätigkeit in ihrer Londoner Stadtwohnung nicht aus. Sie wollte sich vorsichtig an ihren Butler heranpirschen und hoffte wahrscheinlich auf einen neuen Fall.

      »Sie sind so schweigsam, Kindchen?« wunderte sich die Detektivin.

      »Ich ... ich genieße die Fahrt, Mylady«, behauptete Kathy und suchte nach zusätzlichem Halt im Wagen. Agatha Simpsons Fahrstil war nämlich mehr als ungewöhnlich und eigenwillig. Er war beinahe kriminell zu nennen. Die resolute Dame schien sämtliche Verkehrsregeln vergessen zu haben. Sie provozierte die Verkehrsteilnehmer am laufenden Band, nahm das aber überhaupt nicht wahr. Zudem fuhr Lady Simpson nicht gerade langsam. Es war ihr sportlicher Ehrgeiz, Cambridge so schnell wie möglich zu erreichen.

      »Wenn diese Burschen doch nur fahren könnten«, seufzte Lady Simpson und betätigte nachdrücklich die Hupe. »Sehen Sie sich diesen Weihnachtsmann mal an, Kindchen! Das ist doch ein Skandal! Dieser Mann hat seinen Führerschein wohl über den Versandhandel bezogen!«

      »Do ... do .... dort hinten kommt eine Kurve, Mylady«, stotterte Kathy Porter. Hastig vergewisserte sie sich, daß der Sicherheitsgurt auch besonders fest saß.

      »Kurventechnik ist alles«, stellte Agatha Simpson fest und überholte den Morris. Sie jagte derart dicht an dem Fahrzeug vorbei, daß sich die Bleche fast berührten. Der Fahrer des Morris’ zuckte zusammen und riß seinen Wagen noch weiter zur Seite. Bruchteile von Sekunden später zerpfügte er das Fahrbahnbankett und trat dann entnervt auf die Bremse. Er stierte dem Rover nach, wischte sich den Angstschweiß von der Stirn und war noch nicht mal in der Lage, auch nur einen Fluch oder eine Verwünschung auszustoßen. Er legte seine Stirn auf das Lenkrad und heulte wie ein hungriger Wolf.

      Lady Agatha schaute in den Rückspiegel, obwohl ein Blick auf die Kurve vielleicht angebrachter gewesen wäre.

      »Haben Sie das gesehen?« erkundigte sie sich bei Kathy Porter und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. »Dieser Anfänger kann sich noch nicht mal auf der Straße halten. Solchen Leuten sollte man den Führerschein abnehmen. Finden Sie nicht auch, Kindchen?«

      »Die Kurve«, stieß Kathy Porter angstvoll hervor.

      »Nun werde ich Ihnen mal zeigen, wie schwingend und elegant man sich durch Kurven tragen lassen muß«, erklärte die Dame am Steuer. »Man muß vor allen Dingen das Gas stehen lassen, verstehen Sie?«

      Und sie ließ es stehen!

      Der Rover fegte in die Kurve hinein, die von Agatha Simpson schamlos geschnitten wurde. Das Heck brach ein wenig aus, doch das scherte die Fahrerin nicht. Sie schlingerte in den Kurvenmittelpunkt, riß den schweren Wagen weiter herum und rasierte einen Begrenzungspfahl ab. Dann sah sie sich einem entgegenkommenden Fahrzeug gegenüber.

      Es handelte sich um einen Traktor.

      Der Fahrer verlor sofort die Nerven und verzichtete auf jede Konfrontation. Dank seiner direkten Lenkung brachte er den Traktor blitzschnell von der Straße, durchfuhr den erfreulicherweise nicht tiefen Graben und erklomm anschließend die steile Böschung.

      Agatha Simpson winkte dem Mann fröhlich zu und demonstrierte weiterhin ihre erstaunliche und einzigartige Kurventechnik.

      Ein Radfahrer stieg sicherheitshalber ab, das heißt, er hechtete aus dem Sattel und landete im Gras der Böschung, ein Fußgänger reagierte geistesgegenwärtig und stellte sich hinter einen dicken Baum, und ein junger Motorradfahrer benutzte einen Waldweg, den er gar nicht befahren wollte.

      Dieser junge Motorradfahrer war nicht allein.

      Er bildete die Spitze eines Rudels von jungen Leuten, die an Rocker erinnerten. Sie folgten ihm blindlings und preschten mit donnernden Motoren ins Unterholz. Da einige von ihnen auf Geländefahrten nicht spezialisiert waren, rutschten sie auf dem weichen und feuchten Waldboden aus und suchten anschließend nach Pilzen. So sah es wenigstens aus.

      »Schwingen, Kindchen«, sagte Lady Simpson zufrieden, als die Kurve geschafft war. »Schwingen, Kathy. Das ist das ganze Geheimnis!«

      »Na ... natürlich«, keuchte die Gesellschafterin, und war einer Ohnmacht nahe. »Kö ... könnte man nicht eine kleine Pause einlegen, Mylady? Dort hinter der Scheune?«

      Kathy Porter war Realistin.

      Sie konnte sich lebhaft vorstellen, daß zumindest die Motorradfahrer die Verfolgung aufnehmen würden. Da war es vielleicht angebracht, erst mal von der Straße zu verschwinden und in Deckung zu gehen.

      *

      Es waren sechs Motorradfahrer, die heranbrausten.

      Es handelte sich um die ungewollten Pilzsucher, die nach dem Rover Ausschau hielten. Die Fahrer, in Leder gekleidet und mit schweren Jethelmen auf dem Kopf, erschienen als Rudel und waren sicher nicht besonders guter Laune.

      Kathy Porter war heilfroh, daß sie zusammen mit Lady Agatha hinter der Scheune stand. So waren sie von der Straße aus nicht zu sehen und kamen vielleicht noch mal ohne Ärger davon.

      »Mir kommt da gerade eine Idee«, ließ die ältere Dame sich vernehmen. »Müssen wir unbedingt diese belanglose Freundin besuchen, Kindchen?«

      »Sie wollen zurück nach London, Mylady?« Kathy ahnte, wohin der Hase laufen sollte.

      »Papperlapapp«, fuhr ihre Gesprächspartnerin sie an. »Was sollen wir in London, Kindchen? Nein, nein, wir sollten weiter nach Norwich fahren.«

      »Beginnen dort nicht die Norfolk Broads, Mylady«, erkundigte sich Kathy gespielt harmlos.

      »Gut nachgedacht.« Agatha Simpson nickte. »Stellen Sie sich mal Mister Parkers Überraschung vor, wenn wir plötzlich auftauchen.«

      »Mister Parker ist mit einem Hausboot unterwegs, Mylady.«

      »So ein Kahn wird sich ja schließlich finden lassen«, lautete die entschlossene Antwort. »Ich bin mit Ihrem Vorschlag einverstanden, Kindchen. Überraschen wir also Mister Parker!«

      »Ich habe diesen Vorschlag aber nicht gemacht, Mylady«, protestierte Kathy Porter.

      »Klammern Sie sich gefälligst nicht an Kleinigkeiten«, tadelte die Detektivin. »Wir werden ihm nur einen kurzen Besuch abstatten und dann zurückfahren. Kommen Sie!«

      Lady Agatha zitterte wieder mal vor Aktivität. Sie marschierte auf den Rover zu.

      »Soll ich Sie jetzt nicht ablösen, Mylady?« fragte Kathy schüchtern.

      »Besser nicht«, lautete die Antwort. »Sie sind immer noch etwas unsicher am Steuer, Kindchen. Ihnen fehlt meine Erfahrung. Ich werde mich schon melden, wenn ich tauschen möchte.«

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