Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann
so sondern, anscheinend bei Verstande, doch immer wahnsinnig geblieben wäre. Daß er die ihm angeschuldigten Mordtaten wirklich begangen, dieser Gedanke habe sich zur fixen Idee umgestaltet. – Der Kriminalrichter, auf dessen Sagazität man sehr baute, sprach, als man ihn um seine Meinung frug: >Der vorgebliche Herr von Krczynski war kein Pole und auch kein Graf, der Graf Viktorin gewiß nicht, aber unschuldig auch keinesweges – der Mönch blieb wahnsinnig und unzurechnungsfähig in jedem Fall, deshalb das Kriminalgericht auch nur auf seine Einsperrung als Sicherheitsmaßregel erkennen konnten – Dieses Urteil durfte der Fürst nicht hören, denn er war es allein, der, tief ergriffen von den Freveln auf dem Schlosse des Barons, jene von dem Kriminalgericht in Vorschlag gebrachte Einsperrung in die Strafe des Schwerts umwandelte. – Wie aber alles in diesem elenden vergänglichen Leben, sei es Begebenheit oder Tat, noch so ungeheuer im ersten Augenblick erscheinend, sehr bald Glanz und Farbe verliert, so geschah es auch, daß das, was in der Residenz und vorzüglich am Hofe Schauer und Entsetzen erregt hatte, herabsank bis zur ärgerlichen Klatscherei. Jene Hypothesee, daß Aureliens entflohener Bräutigam Graf Viktorin gewesen, brachte die Geschichte der Italienerin in frisches Andenken, selbst die früher nicht Unterrichteten wurden von denen, die nun nicht mehr schweigen zu dürfen glaubten, aufgeklärt, und jeder, der den Medardus gesehen, fand es natürlich, daß seine Gesichtszüge vollkommen denen des Grafen Viktorin glichen, da sie Söhne eines Vaters waren. Der Leibarzt war überzeugt, daß die Sache sich so verhalten mußte, und sprach zum Fürsten: “Wir wollen froh sein, gnädigster Herr! daß beide unheimliche Gesellen fort sind, und es bei der ersten vergeblich gebliebenen Verfolgung bewenden lassen.< – Dieser Meinung trat der Fürst aus dem Grunde seines Herzens bei, denn er fühlte wohl, wie der doppelte Medardus ihn von einem Mißgriff zum ändern verleitet hatte. >Die Sache wird geheimnisvoll bleiben<, sagte der Fürst, >wir wollen nicht mehr an dem Schleier zupfen, den ein wunderbares Geschick wohltätig darübergeworfen hat.< – Nur Aurelie …” – “Aurelie”, unterbrach ich den Prior mit Heftigkeit, “um Gott, mein ehrwürdiger Vater, sagt mir, wie ward es mit Aurelien?” – “Ei, Bruder Medardus”, sprach der Prior sanft lächelnd, “noch ist das gefährliche Feuer in deinem Innern nicht verdampft? – Noch lodert die Flamme empor bei leiser Berührung? – So bist du noch nicht frei von den sündlichen Trieben, denen du dich hingabst. – Und ich soll der Wahrheit deiner Buße trauen; ich soll überzeugt sein, daß der Geist der Lüge dich ganz verlassen? – Wisse, Medardus, daß ich deine Reue für wahrhaft nur dann anerkennen würde, wenn du jene Frevel, deren du dich anklagst, wirklich begingst. Denn nur in diesem Fall könnt’ ich glauben, daß jene Untaten so dein Inneres zerrütteten, daß du, meiner Lehren, alles dessen, was ich dir über äußere und innere Buße sagte, uneingedenk, wie der Schiffbrüchige nach dem leichten, unsichern Brett, nach jenen trügerischen Mitteln, dein Verbrechen zu sühnen, haschtest, die dich nicht allein einem verworfenen Papst, sondern jedem wahrhaft frommen Mann als einen eitlen Gaukler erscheinen ließen. – Sage, Medardus! war deine Andacht, deine Erhebung zu der ewigen Macht ganz makellos, wenn du Aurelien gedenken mußtest?” – Ich schlug, Medardus”, fuhr der Prior fort, “dein Schweigen sagt mir alles. – Ich wußte mit der vollsten Überzeugung, daß du es warst, der in der Residenz die Rolle eines polnischen Edelmanns spielte und die Baronesse Aurelie heiraten wollte. Ich hatte den Weg, den du genommen, ziemlich genau verfolgt, ein seltsamer Mensch (er nannte sich den Haarkünstler Belcampo), den du zuletzt in Rom sahst, gab mir Nachrichten; ich war überzeugt, daß du auf verruchte Weise Hermogen und Euphemien mordetest, und um so gräßlicher war es mir, daß du Aurelien so in Teufelsbanden verstricken wolltest. Ich hätte dich verderben können, doch weit entfernt, mich zum Rächeramt erkoren zu glauben, überließ ich dich und dein Schicksal der ewigen Macht des Himmels. Du bist erhalten worden auf wunderbare Weise, und schon dieses überzeugt mich, daß dein irdischer Untergang noch nicht beschlossen war. – Höre, welches besonderen Umstandes halber ich später glauben mußte, daß es in der Tat Graf Viktorin war, der als Kapuziner auf dem Schlosse des Barons von F. erschien! – Nicht gar zu lange ist es her, als Bruder Sebastianus, der Pförtner, durch ein Ächzen und Stöhnen, das den Seufzern eines Sterbenden glich, geweckt wurde. Der Morgen war schon angebrochen, er stand auf, öffnete die Klosterpforte und fand einen Menschen, der dicht vor derselben, halb erstarrt vor Kälte, lag und mühsam die Worte herausbrachte, er sei Medardus, der aus unserm Kloster entflohene Mönch. – Sebastianus meldete mir ganz erschrocken, was sich unten zugetragen; ich stieg mit den Brüdern hinab, wir brachten den ohnmächtigen Mann in das Refektorium. Trotz des bis zum Grausen entstellten Gesichts des Mannes glaubten wir doch deine Züge zu erkennen, und mehrere meinten, daß wohl nur die voränderte Tracht den wohlbekannten Medardus so fremdartig darstelle. Er hatte Bart und Tonsur, dazu aber eine weltliche Kleidung, die zwar ganz verdorben und zerrissen war, der man aber noch die ursprüngliche Zierlichkeit ansah. Er trug seidene Strümpfe, auf einem Schuhe noch eine goldene Schnalle, eine weiße Atlasweste…” – “Einen kastanienbraunen Rock von dem feinsten Tuch”, fiel ich ein, “zierlich genähte Wäsche – einen einfachen goldenen Ring am Finger.” – “Allerdings”, sprach Leonardus erstaunt, “aber wie kannst du…” – “Ach, es war ja der Anzug, wie ich ihn an jenem verhängnisvollen Hochzeittage trug!” – Der Doppelgänger stand mir vor Augen.
Nein, es war nicht der wesenlose, entsetzliche Teufel des Wahnsinns, der hinter mir herrante, der, wie ein mich bis ins Innerste zerfleischendes Untier, aufhockte auf meinen Schultern; es war der entflohene wahnsinnige Mönch, der mich verfolgte, der endlich, als ich in tiefer Ohnmacht dalag, meine Kleider nahm und mir die Kutte überwarf. Er war es, der an der Klosterpforte lag, mich – mich selbst auf schauderhafte Weise darstellend! – Ich bat den Prior, nur fortzufahren in seiner Erzählung, da die Ahnung der Wahrheit, wie es sich mit mir auf die wunderbarste, geheimnisvollste Weise zugetragen, in mir aufdämmere. – “Nicht lange dauerte es”, erzählte der Prior weiter, “als sich bei dem Manne die deutlichsten, unzweifelhaftesten Spuren des unheilbaren Wahnsinns zeigten, und unerachtet, wie gesagt, die Züge seines Gesichts den deinigen auf das genaueste glichen, unerachtet er fortwährend rief: >Ich bin Medardus, der entlaufene Mönch, ich will Buße tun bei euch< – so war doch bald jeder von uns überzeugt, daß es fixe Idee des Fremden sei, sich für dich zu halten. Wir zogen ihm das Kleid der Kapuziner an, wir führten ihn in die Kirche, er mußte die gewöhnlichen Andachtsübungen vornehmen, und wie er dies zu tun sich bemühte, merkten wir bald, daß er niemals in einem Kloster gewesen sein könne. Es mußte mir wohl die Idee kommen: >Wie, wenn dies der aus der Residenz entsprungene Mönch, wie, wenn dieser Mönch Viktorin wäre?< – Die Geschichte, die der Wahnsinnige ehemals dem Förster aufgetischt hatte, war mir bekannt worden, indessen fand ich, daß alle Umstände, das Auffinden und Austrinken des Teufelselixiers, die Vision in dem Kerker, kurz, der ganze Aufenthalt im Kloster, wohl die durch deine auf seltsame psychische Weise einwirkende Individualität erzeugte Ausgeburt des erkrankten Geistes sein könne. Merkwürdig war es in dieser Hinsicht, daß der Mönch in bösen Augenblicken immer geschrieen hatte, er sei Graf und gebietender Herr! – Ich beschloß, den fremden Mann der Irrenanstalt zu St. Getreu zu übergeben, weil ich hoffen durfte, daß, wäre Wiederherstellung möglich, sie gewiß dem Direktor jener Anstalt, einem in jede Abnormität des menschlichen Organismus tief eindringenden, genialen Arzte, gelingen werde. Des Fremden Genesen wenigstens zum Teil enthüllen. – Es kam nicht dazu. In der dritten Nacht weckte mich die Glocke, die, wie du weißt, angezogen wird, sobald jemand im Krankenzimmer meines Beistandes bedarf. Ich trat hinein, man sagte mir, der Fremde habe eifrig nach mir verlangt und es scheine, als habe ihn der Wahnsinn gänzlich verlassen, wahrscheinlich wolle er beichten; denn er sei so schwach, daß er die Nacht wohl nicht überleben werde. >Verzeiht<, fing der Fremde an, als ich ihm mit frommen Worten zugesprochen, >verzeiht, ehrwürdiger Herr, daß ich Euch täuschen zu wollen mich vermaß. Ich bin nicht der Mönch Medardus, der Euerm Kloster entfloh. Den Grafen Viktorin seht Ihr vor Euch … Fürst sollte er heißen, denn aus fürstlichem Hause ist er entsprossen, und ich rate Euch, dies zu beachten, da sonst mein Zorn Euch treffen könnten – Sei er auch Fürst, erwiderte ich, so wäre dies in unsern Mauern und in seiner jetzigen Lage ohne alle Bedeutung und es schiene mir besser zu sein, wenn er sich abwende von dem Irdischen und in Demut erwarte, was die ewige Macht über ihn verhängt habe. – Er sah mich starr an, ihm schienen die Sinne zu vergehen, man gab ihm stärkende Tropfen, er erholte sich bald und sprach: >Es ist mir so, als müsse ich bald sterben und vorher mein Herz erleichtern. Ihr habt