Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig

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Verses und die geistige Orientierung dankt, sondern sein ganzes Denken ist seit Jahren ausschließlich nur von den Ideen Schillers, von seinem Glauben an die Erhöhung der Menschheit genährt. Er ist vollkommen von ihm dichterisch gezeugt und gestaltet, so sehr sein ideelles Produkt wie die andern Schwärmerjünglinge, wie der Marquis Posa und Max Piccolomini: so erkennt er in Hölderlin seine eigene Übersteigerung, sein menschgewordenes Wort. Alles, was Schiller von dem Jüngling gefordert, Begeisterung, Reinheit, Überschwang, das ist bei Hölderlin Leben geworden, dieser junge Schwärmer lebt das Schillersche Postulat der idealischen Forderung als Existenz. Hölderlin lebt den Idealismus, den Schiller nur noch rhetorisch-dogmatisch fordert, er glaubt an die Götter und das Griechenland, die für Schiller längst bloß großartige dekorative Allegorien wurden, er erfüllt die Mission des Dichters, die jener nur schwärmend postuliert. In Hölderlin werden seine eigenen Theorien, seine Ahnungen plötzlich leibhaft sichtbar: darum dies geheime Erschrecken Schillers, als er den Jüngling, seinen Dichterjüngling, zum erstenmal leibhaft sieht, sein postuliertes Ideal als lebendigen Menschen. Er erkennt ihn sofort: »Ich fand in diesen Gedichten viel von meiner eigenen Gestalt, und es ist nicht das erste Mal, daß mich der Verfasser an mich mahnte«, schreibt er an Goethe, und mit einer gewissen Rührung beugt er sich zu dem äußerlich so demütigen, innerlich aber lodernden Menschen wie in den Rückschein eigenen erloschenen Jugendfeuers. Aber gerade diese vulkanische Feurigkeit, dieser Enthusiasmus (den er dichterisch unablässig propagiert) erscheint dem gereiften Manne als gefährlich für den normalen Lebenszustand: Schiller kann an Hölderlin menschlich nicht gutheißen, was er dichterisch gefordert, den schäumenden Überschwang, das Auf-eine-Karte-Setzen der ganzen Existenz, und so muß er – tragischer Zwiespalt – seine eigene Gestalt, den idealischen Schwärmer, als lebensunfähig ablehnen. Sein profunder Blick wird sofort gewahr, daß jener Idealismus, den er von den deutschen Jünglingen gefordert, nur in einer idealischen Welt, im Drama, am Orte sei, daß aber hier, in Weimar und Jena, diese poetische Unbedingtheit, diese dämonische Nicht-Konzilianz des inneren Willens einen jungen Menschen zerstören müsse. »Er hat eine heftige Subjektivität – sein Zustand ist gefährlich, da solchen Naturen schwer beizukommen ist«: wie von einer abstrusen Erscheinung spricht er von dem »Schwärmer« Hölderlin, fast genau also wie Goethe vom »pathologischen« Kleist; beide erkennen sie bei beiden sofort intuitiv den vorbrechenden Dämon, die explosive Gefahr der überhitzten und gestauten Innerlichkeit. Während Schiller aber in der Dichtung solche Heldenjünglinge lyrisch emportreibt und in ihr Übermaß selig hineinstürzen läßt, hinab in den Abgrund ihres Gefühls, sucht im realen Leben der gutmütige, freundliche Mann Hölderlin zu mäßigen. Er bemüht sich für seine private, seine bürgerliche Existenz, verschafft ihm Stellung und seinem Werke einen Verlag – mit innerster Herzensneigung fördert ihn Schiller in geradezu väterlicher Weise. Und, um die gefährliche Spannung des Überschwangs in ihm zu lockern und zu lindern, um ihn »vernünftig zu machen«, drückt er (bei aller Neigung) sanft und planmäßig auf sein Emporstreben, ohne zu ahnen, wie schon leisester Druck diesen Empfindsamen zerbrechen kann. So verwirrt sich allmählich die beiderseitige Stellung: Schiller spürt über Hölderlins Haupt mit dem tiefen Blick des Schicksalbildners das Beil der Selbstvernichtung drohen – Hölderlin fühlt sich wieder von dem »einzigen Manne, an den er seine Freiheit verloren«, von Schiller, »von dem er unabwendig dependiert«, wohl im äußeren Sinne gefördert, doch im tiefsten Wesen nicht verstanden. Er hatte Aufschwung erhofft, Bestärkung – »ein freundlich Wort aus eines tapferen Mannes Herzen ist wie ein geistig Wasser, das aus der Tiefe der Berge quillt und die geheime Kraft der Erde uns mitteilt in seinem kristallenen Tropfen«, sagt Hyperion –; aber sie geben beide nur, Schiller und Goethe, tropfenweise und lau ihre Zustimmung. Niemals teilen sie verschwenderisch Begeisterung aus und entflammen ihm das Herz. So wird Schillers Nähe bei aller Beglückung allmählich zur Qual für Hölderlin: »Ich war immer in Versuchung, Sie zu sehen, und sah Sie immer nur, um zu fühlen, daß ich Ihnen nichts sein konnte«, schreibt er ihm aus einem innern, schmerzvollen Abschied. Und endlich spricht er die Dissonanz seines Gefühls offen aus: »deswegen darf ich Ihnen wohl gestehen, daß ich zuweilen in geheimem Kampfe mit Ihrem Genius bin, um meine Freiheit gegen ihn zu retten«. – Sein Tiefstes, so erkennt er, darf er ihm nicht mehr anvertrauen, der seine Gedichte bekrittelt, seine Überschwänge dämpft, der ihn klein, lau haben will, nicht »subjektivistisch und überspannt«. Aus Stolz inmitten seiner Demut verbirgt er vor Schiller seine wesenhafteren Gedichte, zeigt nur das Spielhafte, das Epigrammatische seiner Produktion, denn ein Hölderlin kann sich nicht wehren, nur beugen und verbergen, das ist seine ewige Haltung. Er bleibt vor den Göttern seiner Jugend ewig auf den Knien: nie schwindet die Verehrung, die Dankbarkeit für jenen, der die »Zauberwolke seiner Jugend« gewesen und seiner Stimme den Gesang geliehen. Und Schiller beugt sich ab und zu mit gefällig förderndem Wort, und Goethe geht freundlich-gleichgültig vorbei. Aber sie lassen ihn liegen auf seinen Knien, bis ihm der Rücken bricht.

      So wird die ersehnte Begegnung mit den Großen zu Verhängnis und Gefahr, das freie Jahr in Weimar, von dem er Vollendung der Werke geträumt, fast vergebens vertan. Die Philosophie – dieses »Hospital für verunglückte Poeten« – hat ihn nicht gefördert, die Dichter ihn nicht erhoben: ein Torso ist Hyperion geblieben, das Drama nicht geendet und trotz äußerster Sparsamkeit seine Mittel erschöpft. Die erste Schlacht um sein Schicksal als dichterische Existenz scheint verloren, denn Hölderlin muß wieder der Mutter zur Last fallen und mit jedem Bissen Brot heimlichen Vorwurf mitwürgen. Aber in Wahrheit hat er gerade in Weimar seine größte Gefahr sieghaft bestanden: er hat sich nicht abbringen lassen von der »Unteilbarkeit der Begeisterung«, nicht mäßigen und temperieren, wie jene Wohlmeinenden es wollten. Sein Genius hat sich in seinem tiefsten Element behauptet und gegen alle Klugheit der Dämon ihm eine Unbelehrbarkeit des Instinkts gegeben. So erwidert er Schillers und Goethes Bemühungen, ihn zum Idyllischen, zum Bukolischen, zum Maßvollen dauernd niederzukämpfen, nur mit wilderem Ausbruch. Der Goetheschen Mahnung an die Poesie im Euphorion:

       Nur mäßig! mäßig! Nicht ins Verwegne, Daß Sturz und Unfall Dir nicht begegne… Bändige! bändige, Eltern zuliebe, Überlebendige, Heftige Triebe! Ländlich im stillen Ziere den Plan,

      diesem Ratschlag zum poetischen Quietismus, zur Idyllik, antwortet er leidenschaftlich:

       Was sänftiget ihr dann, wenn in den Ketten Der ehrnen Zeit die Seele mir entbrennt, Was nehmt ihr mir, den nur die Kämpfe retten, Ihr Weichlinge, mein glühend Element?

      Dies »glühend Element«, die Begeisterung, in der Hölderlins Seele lebt wie der Salamander im Feuer, ist rein zurückgebracht aus der Versuchung der Klassikerkühle – schicksalstrunken wirft er, »den nur Kämpfe retten«, sich ein zweites Mal ins Leben hinaus, und

       in solcher Esse wird dann Auch alles Lautre geschmiedet.

      Was ihn zerbrechen soll, härtet ihn zuvor, und was ihn härtet, zerbricht ihn.

      Diotima

       Inhaltsverzeichnis

       Die Schwächsten reißt das Schicksal doch hinaus.

      Frau von Staël schreibt in ihr Tagebuch: »Francfort est une très jolie ville; on y dîne parfaitement bien, tout le monde parle le Français et s’appelle Gontard.« Bei einer dieser Familien Gontard ist der gescheiterte Dichter als Magister, als Hauslehrer zum achtjährigen Knaben engagiert: hier wie in Waltershausen erscheinen seinem schwärmerischen, leicht entzündbaren Geist vorerst alle als »sehr gute und nach Verhältnis seltene Menschen«, er fühlt sich wohl, soviel auch von der ursprünglichen Triebkraft schon in ihm zerstört ist. »Ich bin ohnedies wie ein alter Blumenstock«, schreibt er elegisch an Neuffer, »der schon einmal mit Grund und Scherben auf die Straße gestürzt ist und seine Sprößlinge verloren und seine Wurzeln verletzt hat und nur mit Mühe in frischen Boden gesetzt und kaum durch ausgesuchte Pflege vom Verdorren gerettet.« Und er weiß selbst genau um diese »Zerstörbarkeit« – sein tiefstes Wesen kann nur in idealischer, in poetischer Luft atmen, in einem imaginären Griechenland. Nicht die eine oder die andere Wirklichkeit, nicht das eine oder das andere Haus, weder Waltershausen noch Frankfurt noch Hauptwyl waren


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