Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig

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wie ein unterirdischer Fluß, taucht tausend Meilen weiter wieder auf: schließlich schleudert die Schwerkraft den Gejagten zurück nach Berlin. Ein paarmal zuckt er mit zerbrochenem Flügel noch hin und her, ein letztes Mal tastet er hinüber nach Frankfurt, bei der Schwester, bei den Verwandten ein Dickicht zu finden vor dem furchtbaren Jäger, der hinter ihm hetzt. Aber er findet keine Rast. So steigt er zum letztenmal in den Reisewagen (sein wahres, sein einziges Haus in all den vierunddreißig Jahren) und fährt hinaus an den Wannsee, wo er sich die Kugel in den Kopf schmettert. An einer Landstraße ist sein Grab.

      Was treibt Kleist auf diesen Reisen? Oder vielmehr: was treibt ihn? Hier hilft keine Philologie: seine Reisen sind fast alle im letzten ganz sinnlos, sie haben keine Zwecke und kaum auch nur bestimmte Ziele. Sachlich sind sie nicht zu erklären. Was biedere Forschung da Gründe nennt, sind meist nur Vorwände, künstliche Masken vor dem Antlitz des Dämons. Nüchternen bleibt dieser ahasverische Trieb ewig rätselhaft: es ist darum auch kein Zufall, daß er dreimal als Spion verhaftet wird. In Boulogne rüstet Napoleon zur Landung in England – plötzlich torkelt wie ein Traumwandler der kaum entlassene preußische Offizier zwischen den Truppen herum. Ein Wunder rettet ihn vor dem Erschießen. Die Franzosen marschieren nach Berlin – gemächlich spaziert er durch die Kompanien, bis man ihn festnimmt und interniert. Bei Aspern kämpfen die Österreicher die entscheidende Schlacht: quer über die Walstatt wandert der Somnambule des Geistes, nichts anderes zur Legitimation in der Tasche als ein paar patriotische Gedichte. Ein solches sorgloses Verhalten ist logisch unerklärbar: hier waltet übermächtiger Zwang, waltet entsetzliche Ruhelosigkeit in einer selbstgequälten Seele. Man hat von geheimen Missionen gesprochen, die ihm anvertraut waren, um seine Fahrten zu erklären: das mag für die eine oder die andere gelten, nicht aber für die ewige Flucht seiner Existenz. In Wahrheit hat Kleist bei allen seinen Reisen kein Ziel.

      Er hat kein Ziel, er pfeilt nicht einer Stadt, einem Land, einer Absicht zu – er schnellt sich nur ab von dem überspannten Bogen, fort von sich selbst. Er will sich entlaufen, etwas in sich gewaltsam überrennen, er wechselt (wie Lenau – ihm innig verwandt – einmal ähnlich in seinem Gedichte vom »Seelenkranken« sagt) die Städte wie ein Fiebernder die Kissen. Überall hofft er Kühlung, hofft er Genesung: aber wen der Dämon treibt, dem brennt kein Herd und wächst kein Dach. So stürzt Rimbaud die Länder entlang, so tauscht Nietzsche Ort und Ort und Beethoven Wohnung und Wohnung, so schleudert es Lenau von Kontinent zu Kontinent: sie alle haben die Peitsche, die furchtbare, der Lebensunruhe in sich, den tragischen Unbestand des Seins. Alle sind sie Getriebene einer unbekannten Macht, verurteilt, ihr niemals zu entrinnen: denn der sie treibt, kreist fiebrig in ihrem Blut, haust herrisch in der eigenen Stirn. Sie müssen sich vernichten, um den Feind in sich, ihren Herrn und Dämon, zu vernichten.

      Kleist weiß, wohin es ihn treibt. Er weiß es von Anfang an – in den Abgrund. Nur weiß er nicht immer, ob er vor dem Abgrund flieht oder ihm entgegenrennt. Manchmal scheinen (Homburg verrät’s vor dem offenen Grab) seine Hände ganz verkrampft an das Leben, ganz eingewühlt in die letzte Krume Erde, die ihn, den Stürzenden, halten soll. Dann sucht er Halt gegen das ungeheure Ziehen zur Tiefe, er sucht sich anzuketten an die Schwester, an Frauen, an Freunde, daß sie ihn halten. Und manchmal wieder strömt er beinahe über von lechzender Sehnsucht nach dem Ende, nach jenem letzten Hinab in die letzte Tiefe. Immer weiß er um den Abgrund, aber er weiß nicht, ob er vor ihm liegt oder hinter ihm, ob er das Leben ist oder der Tod. Kleistens Abgrund ist innen, darum kann er ihm nicht entlaufen. Er trägt ihn mit sich wie seinen Schatten.

      So rennt er die Länder entlang wie eine jener lebenden Fackeln, wie die Märtyrerchristen, die Nero in Werg kleiden und dann anzünden ließ und die dann, ganz in Flammen gehüllt, liefen und liefen, ohne zu wissen wohin. Auch Kleist hat nie die Meilenzeiger an den Straßen gesehen: kaum daß er recht die Augen aufschlug in all den Städten, durch die er gefahren ist. Sein ganzes Leben ist ein einziges Flüchten vor dem Abgrund, ein einziges Zurennen gegen die Tiefe, eine entsetzlich qualvolle Jagd mit keuchenden Lungen und gepreßtem Herzen. Darum jener herrlich-entsetzliche Jubelschrei, als er endlich, der Qual müde, sich freiwillig in die Tiefe wirft.

      Kleistens Leben ist nicht Leben, sondern einzig ein Zujagen auf das Ende, eine ungeheure Jagd mit ihrem tierhaften Rausch von Blut und Sinnlichkeit, von Grausamkeit und Grauen, umrauscht von allen Fanfaren der Erregung und dem Halali der spürenden Lust. Eine ganze Meute von Unglück hetzt hinter ihm her: wie ein gejagter Hirsch wirft er sich in das Dickicht, faßt manchmal mit jäher Wende des Willens einen der Hetzhunde des Schicksals, fällt sich sein Opfer – drei, vier, fünf blutheiße Werke, vom Stoß der Leidenschaft gefaßt – und jagt blutend weiter ins Gestrüpp. Und wie sie schon meinen, ihn zu packen, die heißen Rüden des Schicksals, hebt er sich mit letzter Kraft herrlich auf und stürzt sich – ehe er Gemeinem zur Beute wird – mit einem erhabenen Sprung in den Abgrund.

      Bildnis des Bildnislosen

       Inhaltsverzeichnis

       Ich weiß nicht, was ich Dir über mich unaussprechlichen Menschen sagen soll.

      Aus einem Brief

      Wir haben soviel wie kein Bildnis von ihm. Die höchst ungelenke Miniatur und das zweite, gleichfalls sehr minderwertige Porträt zeigen ein alltägliches, rundes Knabengesicht für den schon erwachsenen Mann, irgendeinen jungen deutschen Menschen mit schwarzem, fragendem Blick. Nichts deutet den Dichter darin oder bloß einen geistigen Menschen, kein Zug lockt die Neugier, die Frage auf nach der Seele unter diesem kalten Antlitz: man geht vorbei, ahnungslos, fremd, unbefriedigt, ohne Neugier. Kleistens Innen saß zu tief unter der Haut. Sein Geheimnis war nicht zu zeichnen und nicht zu malen aus seinem Gesicht.

      Es ist auch nicht erzählt. Alle Wesensberichte seiner Zeitgenossen, selbst der Freunde, sind dürftig und sämtlich wenig sinnlich. Man spürt nur eines übereinstimmend aus allen: daß er unscheinbar, verborgen, von einer ganz seltsamen Unauffälligkeit in seinem Wesen wie in seinem Gesicht war. Er hatte nichts, was die Menschen um ihn zur Aufmerksamkeit zwang, er reizte den Maler nicht zur Zeichnung, er verlockte nicht die Dichter zum Bericht. Etwas Lautloses, Unbemerkbares, merkwürdig Unbetontes, etwas nicht nach außen Dringendes muß in ihm gewesen sein, eine Undurchdringlichkeit ohnegleichen. Hunderte sprachen mit ihm, ohne zu ahnen, daß er ein Dichter war; Freunde und Gefährten begegneten ihm Jahr und Jahr, ohne ein einziges Mal der Begegnung schriftlich, brieflich Erwähnung zu tun: kein Dutzend anekdotischer Schilderungen sind aus den vierunddreißig Jahren seines Lebens beisammen. Man erinnere sich, um besser das Schattenhafte von Kleistens Vorübergehen an seiner Generation zu fühlen, an Wielands Bericht, wie er Goethes Ankunft in Weimar schildert, den Feuerstreifen seiner Existenz, der jedem, dem er nur von ferne zuleuchtet, die Augen blendet; man gedenke der Bezauberung, die Byron und Shelley, die Jean Paul und Victor Hugo über die Zeit hinstrahlen und die sich tausendfach in Wort, Brief und Gedicht verrät. Niemand setzt auch nur die Feder an, eine Begegnung mit Kleist aufzuzeichnen; die drei Zeilen Clemens Brentanos sind noch das deutlichste, sinnlichste Porträt, das wir schriftlich besitzen: »ein untersetzter Zweiunddreißiger mit einem erlebten runden stumpfen Kopf, gemischtlaunig, kindergut, arm und fest«. Selbst sie, diese nüchternste Beschreibung, zeichnet noch mehr den Charakter als das Bild. Alle haben an seinem Wesen vorbeigesehen, kein einziger ihm in die Augen geschaut. Wem er erscheint, erscheint er immer nur von innen.

      Das kam, weil seine Schale zu hart war (und dies ist ja in nuce die Tragödie seiner Existenz). Er hielt alles verschlossen in sich selbst. Seine Leidenschaften zuckten nicht hinauf bis in die Augen. Seine Ausbrüche zerbrachen unter der Lippe vor dem ersten Wort. Er sprach wenig, vielleicht aus Scham, weil seine Zunge schwer und stammerig ging, wahrscheinlich auch aus einer Unfreiheit des Gefühls, einer gewaltsamen Zugesperrtheit.

      Erschütternd hat er selbst diese Unfähigkeit zur Rede, dieses heiße Siegel auf seiner Lippe, in einem Briefe bekannt. »Es fehlt«, schreibt er, »an einem Mittel zur Mitteilung. Selbst das einzige, das wir besitzen, die Sprache, taugt nicht dazu, sie kann die Seele nicht malen, und was sie uns gibt, sind nur zerrissene Bruchstücke. Deshalb habe ich jedesmal eine Empfindung wie ein Grauen, wenn ich jemandem mein Innerstes aufdecken soll.« So blieb er stumm, nicht aus Tumbheit oder Trägheit, sondern


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