Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig

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croix dont j’ai suivie la trace, Par ceux qui m’ont laissé la voix pour crier grâce, Pardon pour eux! pour moi! pour tous! pardon! pardon!«

      Und auch ihm selbst, Gott, verzeiht sie, daß er ihr von fünf Kindern vier genommen, daß er seinen dunklen Engel gegen alle entboten, die ihr teuer waren. Nicht Klage richtet sie an ihn um diesen herbsten Verlust, sondern nur Bitte für andere Mütter, und es ist eine heroische Güte des Verzichtes in diesem Gebet:

       »Oh Sauveur! soyez tendre au moins aux autres mères Par amour pour la vôtre et par pitié pour nous, Baptisez leurs enfants de nos larmes amères Et relevez les miens tombés à vos genoux.«

      Er hat seinen ganzen Zorn gegen sie gesandt; aber sie, die Liebesreiche, vermag ihm nicht zu zürnen, und je mehr er sie züchtigt, desto glühender liebt sie ihn.

      In dieser scheinbaren Schwäche, dieser grenzenlosen Selbstdemütigung ruht die Kraft, der wunderbare Heroismus der Marceline Desbordes-Valmore. Ihr Leben ist das einer Heldin, einer Heiligen, und Descaves findet ihr den schönsten Namen »Notre Dame des Pleurs«. Glut ist ihr Widerstand. So wie ihr magerer gebrechlicher Körper mehr als fünfzig Jahre sich, allen Krankheiten trotzend, weiterträgt, so überwindet ihr Charakter alles Unglück. Die Kraft anderer wird zu Taten und Worten, ihr Bestes an Kraft aber verzehrt sich im Schweigen, und alle Verse verraten zu wenig, was für Qualen sie litt in den täglichen Kämpfen und Tagwerken, in den Entbehrungen und Erniedrigungen, wie verzweifelt sie das Lächeln erkämpfte, das sie abends dem müden Manne entgegenbringt, und den Heroismus, viermal vom Totenbett ihrer Kinder noch einmal aufzustehen und nochmals in ein so furchtbares Leben hinein. Diese in tausend Stunden gestählte Kraft, gegen die Verzweiflung zu ringen und unentwegt sich der Liebe zu wahren, ist das Mirakel, das sie glühend erhält bis zum letzten Tag, das sie Dichterin sein läßt bis zum letzten Vers. Andern Frauen erlischt meist das Gefühl mit der Liebe, andern Dichterinnen kühlt die Leidenschaft aus mit dem Erlebnis, sie aber verwandelt und steigert grenzenlos ihr Gefühl. Vom Geliebten zum Gatten, vom Manne zu den Kindern und von den Kindern zu Gott trägt sie ihre Hingebung, aber niemals lischt die heilige Flamme aus. Alles, was das Leben in ihre Glut wirft, Ekel, Qual, Bitterkeit, es nährt nur ihr Lodern, und die Sechzigjährige dient ihr noch hingebungsfroher als die Halbwüchsige. Die Flamme, die, einst nur reichte bis zu den Lippen des Geliebten, ihre Kinder wärmte und den Gatten umschlang – in den letzten Jahren schlägt sie empor bis zu Gott und wird eins mit seiner ewigen Glut.

      Marceline Desbordes-Valmores Leben führt über den Kalvarienberg aller Leiden; und damit sie auch das Höchste an Lust und Tiefste an Qualen kenne, drückt das Leben auf ihr blutendes Haupt die dunkle Dornenkrone der Mutterschaft.

      Mater dolorosa

       Inhaltsverzeichnis

       »Enfants priez pour moi, j’ai tant prié pour vous.«

      Hingabe war ihres Lebens Sinn und die Mutterschaft darum ihre höchste Berufung. Hier war ihrer Opferfreude, der so oft verschwendeten, Beständigkeit geboten und ihres Empfindens fast religiöser Reinheit unschuldige Antwort. Hier durfte sie dienen ohne Ende und ohne Dank, ihr Blut mühen für eigenes Blut. Einzig in diesem weiblichsten der Gefühle lischt ihres demütigen Lebens Angst, die Unwürdige zu sein und ein Glück nicht zu verdienen. Die Verschüchterung ihrer Seele wird im Anblick ihrer Kinder von einem neuen Gefühl gescheucht: zum ersten Male begreift sie, daß Gott auch ihr, der Enterbten, gütig sein kann:

       »Dieu dans ma pauvreté me laissait être mère.«

      In dem Sturm ihres Lebens ist hier eine kleine Insel Seligkeit, und man kennt die Stimme, die sonst so sorgenvolle, nicht mehr, wenn Marceline von ihren Kindern spricht. Der Flor von Melancholie ist gesunken, und die Träne, die aufquellende, trübt nicht mehr ihre selige Melodie. Ein Jubel, den Liebe sie niemals lehrte, springt hoch:

       »Un enfant! un enfant! ô seule âme de l’âme! Palme pure attachée au malheur d’être femme! Éloquent défenseur de notre humilité, Fruit chaste et glorieux de la maternité, Qui d’une langue impie assainit la morsure Et de l’amour trahi ferme enfin la blessure! Image de Jésus qui se penche vers nous Pour relever sa mère humble et née à genoux.«

      Diese brennende Mütterlichkeit umspannt die kleinen Leben von ihrer frühesten Stunde bis in die Mannheit, sie beginnt schon im Vorgefühl der Erwartung, sie flügelt ihrem Nahen schon voraus, und niemals hat eine Mutter für mein Empfinden ein schöneres Gedicht geschrieben, als sie zur Geburt ihres Sohnes Hippolyte. Das Mysterium der Schwangerschaft verwandelt ein tiefes Blutempfinden in eigenstes seligstes Erlebnis, sie mahnt – noch matt von Schmerzen, die längst verrauscht sind im Glück – das Kind an all dis süßen Sorgen der Erwartung, wie sie aus Gebeten Glied um Glied seines Körpers schuf, wie seine Sinne durchwebt sind von ihren Träumen und sein ganzes Leben glühend vorgeahnt aus ihren Wünschen. Die selige Stunde der Geburt beneidet noch die des dunklen Verbundenseins, und im schönsten Worte ergießt sich die ganze Glut ihrer Erwartung:

       »J’aurais voulu voir Dieu pour te créer plus beau.«

      Körper von Körper gelöst, senkt sie noch ihre Seele in die halbbewußte zurück und durchglüht sie mit Sorgen der Liebe. Und wie die Kinder dann aufwachsen, ist sie ihre einzige Dienerin. Sie wacht über ihren Schlaf und ihre Angst. Sie macht sich kindlich mit ihnen, ihre Verse lernen die Sprache lallender Lippen sprechen, sie erfindet, die Kindliche, ihrem Mädchen ein Gedicht zum Einschlafen, das unsterblich geworden ist in der französischen Literatur und das jedes Kind in der Schule heute mit seiner kleinen Stimme lernen und sprechen muß. Es ist das Gebet »L’oreiller«, das schönste Abendgebet der Welt:

       »Cher petit oreiller, doux et chaud sous ma tête, Plein de plume choisie, et blanc, et fait pour moi! Quand on a peur du vent, des loups, de la tempête,

       Cher petit oreiller, que je dors bien sur toi! Beaucoup, beaucoup d’enfants pauvres et nus, sans mère, Sans maison, n’ont jamais d’oreiller pour dormir;

       Ils ont toujours sommeil. O destinée amère! Maman! douce maman! cela me fait gémir.

       Et quand j’ai prié Dieu pour tous ces petits anges Qui n’ont point d’oreiller, moi j’embrasse le mien. Seule, dans mon doux nid qu’à tes pieds tu m’arranges, Je te bénis, ma mère, et je touche le tien!

       Je ne m’éveillerai qu’à la lueur première De l’aube; au rideau bleu c’est si gai de la voir! Je vais dire tout bas ma plus tendre prière: Donne encore un baiser, douce maman! Bonsoir!«

      Noch ehe sie sprechen können, beseelt sie so ihre stummen Lippen in Musik. Und für den Sohn, wie er zum ersten Male zur Schule geht, schreibt sie jene entzückende kleine Erzählung vom »L’ecolier«, um ihn zum Fleiße anzufeuern; und die haben seitdem tausend Mütter tausend Kindern vorgesprochen, wenn sie zum erstenmal mit ihrem Ranzel zur Schule trotten. Sie muß sich nicht zwingen zu diesen Versen, sich nicht kindlich machen um der Kinder willen, denn sie selbst wird selig an diesen kleinen Strophen. In diesen Kinderliedern erwacht plötzlich etwas in ihr, das ganz vergessen und verschüttet lag: ihre eigene Kindheit. Von dem Lächeln der Kinder reflektiert eine Heiterkeit in ihr Leben zurück, sie findet in entzückenden melodischen Versen kleine schalkische Wendungen, ihr Herz, das verschattete, blüht wieder auf in Heiterkeit. Zum erstenmal atmet sie unbesorgt. Die Armut um ihr Leben trifft sie stark und gepanzert, denn’ Mutterschaft, das neue Glück, umgürtet ihren Leib, der Tod kann ihr nichts mehr anhaben, das Schicksal hat keine Macht über sie. Jubelnd ruft sie aus:

       »J’ai des enfants! leurs voix, leurs haleines, leurs jeux Soufflent sur moi l’amour qui m’alimente encore; J’ai, pour les regarder, tant d’âme dans les yeux! Mon étoile est si bien nouée à leur aurore! On m’a blessée en vain, je ne peux pas mourir: J’ai semé leurs printemps, je dois les voir fleurir.«

      Aber dieser großen Dulderin ist aller irdische Besitz nur als Pfand flüchtig


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