Geld und Erfahrung. Max Eyth

Geld und Erfahrung - Max Eyth


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und den Senator, nach einem kleinen Wortwechsel mit den Umstehenden, nach seinem Zimmer gebracht. Auch ließ man dessen Tür von zwei nach und nach herbeigeholten Schutzleuten zur allgemeinen Genugtuung der ängstlicheren Hotelbewohner streng bewachen, nachdem der Senator kurz zuvor durch das Fenster abgereist war. Da ich diesen Herrn aus Alabama persönlich nicht kannte, mit ihm also auch nicht sympathisieren konnte, dagegen mit dem Richter, der gleichzeitig großer Grundbesitzer war, schon mehrere Cocktails getrunken und intime Beziehungen betreffs der Dampfkultur in Texas angeknüpft hatte, ärgerte mich dieser Zwischenfall lebhaft und veranlaßte, neben anderm, meinen Umzug nach der Tschapatulastraße. Auch fand ich, daß meine augenblickliche Beschäftigung, das Warten auf den englischen Frachtdampfer »Wild-West«, in einer Privatwohnung ebenso wirkungsvoll gefördert werden konnte als in dem in ganz Louisiana, wenn auch nicht wegen seiner Billigkeit, berühmten Sankt Charleshotel. Meinen anderweitigen leiblichen Bedürfnissen genügte das Nachbarhaus, Breitlings Restaurant und Biersalon, vollständig. Und so genoß ich nach etlichen bewegten Reisewochen in unerwarteter Weise eine kleine, wohlverdiente Ruhepause während meines ersten Aufenthalts in der Crescent City, der »Mondsichelstadt«, wie der poetische Amerikaner New Orleans zu nennen liebt, und konnte mir Land und Leute ansehen, ehe ich mit ihnen handgemein werden sollte.

      Das heutige Frühstück war der letzte Takt dieser Pause. Ich hatte schon gestern abend einen Zettel von General Longstreet, dem Haupt der jungen Firma Longstreet, Owen & Co., erhalten, der mich benachrichtigte, daß der »Wilde Westen« signalisiert sei und an der Barre, der achtzig Meilen entfernten Mündung des Mississippi, nur auf die Flut warte, um heraufzukommen. Ich segnete meine Sterne und war schon in einem kleinen Arbeitsfieber, ohne etwas Greifbares tun zu können; denn es war hohe Zeit, daß ich meines Dampfpflugs habhaft wurde, wenn ausgeführt werden sollte, was ich mit Longstreet geplant hatte.

      »Nur kühl!« rief mein Oberst, indem er auf die Uhr und die zwei internen Zöglinge seines Dameninstituts sah, die am Nachbartisch Lotto spielten. »Und passen Sie auf! Die Geschichte mit Ihrem Obersten in Washington – wie heißt er?«

      »Olcott, Oberst Olcott, Kongreßmitglied aus Ohio«, antwortete ich mit Betonung, um meinen schwankenden Glauben zu stärken.

      »Ich möchte vor allen Dingen wissen,« fragte sich Schmettkow nachdenklich, »ob er schon Pulver gerochen hat, Ihr Oberst, oder nur das riecht, das Sie mitbringen. Die Geschichte gefällt mir nur halb.«

      »Aber sie kann kaum schief gehen, so wie sie jetzt eingeleitet ist«, meinte ich zuversichtlich.

      »Es kann in Washington alles schief gehen, seitdem die große Sache schief gegangen ist«, versetzte der Oberst mit einiger Wärme. »Sie kennen die Yankees noch nicht. Ein Kongreßmitglied in Washington! Guter Gott! Ehe Sie sich umsehen, hat man Ihnen die Augen von Ihrem Wassersüppchen geschöpft. Vollends ein Kongreßmann, den man Ihnen in der Quäker-City angehängt hat, in der Sie am Sonntag in Gegenwart von sechshunderttausend Mitmenschen verdursten können! Lieber Herr Eyth, es mag ziemlich heiß sein in Ihrem Ägypten, aber Sie sind trotzdem grüner geblieben, als Sie es selbst ahnen. Passen Sie mal auf!«

      »Hexen können Sie hier auch nicht«, meinte ich, etwas verstimmt. »Ich sehe wirklich nicht ein, wie –«

      »Einsehen! Das ist gar nicht nötig. Das Einsehen kommt immer erst später. Sie werden Ihr Lehrgeld bezahlen wie jeder andre. Zum Glück haben Sie, wie es scheint, einen soliden Kassierer im Hintergrund. Lernen Sie wenigstens den benutzen! – Übrigens gebe ich zu, um Sie nicht zu ärgern, daß Sie die Sache nicht ganz ungeschickt angegriffen haben. Wenn Sie so fortfahren, werde ich Ihnen auch künftig gewogen bleiben.«

      Er sagte dies im Ton gutmütiger Bevormundung, den wir bei unsern abendlichen Schachpartien unter dem Hickorybaum gegenseitig gebrauchten, um eine drohende Niederlage zu beschönigen. Die Sache aber, um die es sich handelte, war die folgende:

      Ich war vor zwei Monaten mit dem Auftrag der Fowlerschen Fabrik ans Land gestiegen, unsre Dampfpflüge in Amerika einzuführen. Das war fast die einzige Weisung, die ich mitbrachte. Man steht mit einer solchen Aufgabe etwas zweifelnd am Strande eines neuen Weltteils; doch scheint der Zeitpunkt, aus der Ferne gesehen, nicht ungünstig. Die Südstaaten, die nach dem furchtbaren Krieg und nach der Befreiung der Sklaven in irgendwelcher Weise weiterleben mußten, hatten sich irgendwie den neuen Verhältnissen anzupassen. Für die Sklavenarbeit auf den Plantagen mußte ein Ersatz gefunden werden. Hier konnte die Dampfkraft eingreifen und nach der blutigen eine friedliche Revolution einleiten; wieder aufbauen helfen, was jene zerstört hatte. Ich war nicht ohne einige Begeisterung bei diesem Gedanken, wenn auch sehr seekrank, über den Atlantischen Ozean gekommen und suchte so rasch als möglich Angriffspunkte für meine Aufgabe zu finden. Leicht fand ich es nicht – nach einigen Wochen –, einen Weltteil zu erschließen; man mußte offenbar an die Arbeit im kleinen und einzelnen gehen. Doch hatte die Firma Fowler Freunde und sogar Verwandte in New York und Philadelphia, ein Haus, das »in Blei« groß geworden war und zur alten Aristokratie der Quäkerstadt gehörte. Hier fand ich wenigstens Ratschläge, auf die ich mich verlassen konnte.

      Eins wurde mir sofort klar: mit einem Eingangszoll von fünfundvierzig Prozent des Maschinenwertes, der für jeden Dampfpflug viertausend Dollar in Gold, siebentausend Dollar in Papier jener Tage ausmachte, war die Einführung der Dampfkultur von England aus eine augenscheinliche Unmöglichkeit. Dieses Verhältnis mußte vor allen Dingen geändert werden. Mit einem Brief der Gebrüder Tatham, meiner Berater in Philadelphia, ging ich nach Washington und stellte mich am Schenktisch des Hotels Villard einem Herrn Oberst Olcott vor. Ich fand in ihm einen klugen, energischen Mann, der im Tone biederer Offenheit den kitzlichsten Verhandlungen den wohltuenden Schein der Ehrlichkeit zu geben wußte. »Der Zweck heiligt die Mittel« war für ihn ein über alle Zweifel erhabener Grundsatz. Es schien ihm völlig ausgeschlossen zu sein, daß in unsrer Zeit noch Menschen geboren werden könnten, die in diesem Punkt nicht völlig kapitelfest waren. Was aber die Heiligkeit des Zwecks anbelangt, so kam es eben hauptsächlich darauf an, wieviel dabei zu verdienen war.

      Ein gemeinsames Frühstück, zu dem ich mir erlaubte, ihn sofort einzuladen, genügte, ihm das Wesen und die Vorzüge eines Fowlerschen Dampfpflugs zu erklären, ein Mittagsmahl, ihn von der Notwendigkeit der Einführung und Verbreitung dieses großartigen Fortschritts auf dem Gebiet der landwirtschaftlichen Technik zu überzeugen. Mit Papieren aller Art war ich wohl vorbereitet. Ein begeisterter Aufsatz, noch im Manuskript, stellte fest, daß namentlich der wirtschaftliche Wiederaufbau des Südens, dem durch die Sklavenbefreiung die Hauptquelle von Kraft und Arbeit entzogen worden war, nur durch Fowlers Dampfpflüge möglich sei, die in Ägypten in der Hand halbwilder Fellachin Wunder geschaffen hätten und in Indien – hier dichtete ich beträchtlich – die vertrockneten Riesenflächen entlang des Ganges in blühende Teegärten zu verwandeln in Begriff stünden. Ist es nicht die patriotische Pflicht einer erleuchteten Gesetzgebung, fragte ich in einem Wald von Ausrufungszeichen, die Einführung eines derartigen menschenbeglückenden Apparates mit allen zu Gebot stehenden Mitteln zu fördern? jeden Schritt freudig zu begrüßen, der den von ihren Irrtümern befreiten, aber heute daniederliegenden Bruderstaaten ihre materielle Wohlfahrt wiedergibt und sie gleichzeitig dem Fluch einer sündhaften Ausbeutung der Menschenkraft entzieht? Darf nicht erwartet werden, daß die weitsichtige Vertretung des größten Volkes unsrer Zeit mit Freuden das einzige Hindernis entfernt, das der Erreichung dieses herrlichen Zieles Schwierigkeiten bereitet, und ohne Verzug die Abschaffung oder wenigstens die zeitweise Aufhebung eines Prohibitivzolls auf Dampfpflüge beschließen wird?

      »Sehr gut!« sagte Olcott, als ich ihm mein Memorandum vorgelesen hatte; »was bezahlen Sie dafür?«

      Obgleich selbst nicht Amerikaner, war ich in einen patriotischen Schwung geraten, dem ich so rasch als möglich Einhalt tun mußte, um antworten zu können.

      »Wofür?« fragte ich, ein wenig nach Luft schnappend, um Zeit zu gewinnen.

      »Nun – für das Spezialgesetz, für die Aufhebung des Zolls auf Dampfpflüge, sagen wir auf ein Jahr.«

      »Sagen wir auf fünf Jahre«, schlug ich vor, nach Fassung ringend.

      »Gut! Nehmen wir an auf fünf Jahre. Wieviel?«

      Ich schwieg. So nahe hatte ich mir das Ziel nicht gedacht.


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