Th. M. Dostojewsky: Eine biographische Studie. Nina Hoffmann
so bin ich buchstäblich nicht mit einer einzigen der Übertreibungen einverstanden, die sich darin befinden. Und nun bitte ich, folgenden Umstand in Erwägung zu ziehen: Würde ich es denn unternehmen, den Artikel eines Menschen vorzulesen, mit welchem ich gerade um seiner Ideen willen im Streite gelegen hatte (das ist kein Geheimnis, es ist vielen bekannt), ja noch dazu einen im kranken Zustande, in geistiger und seelischer Zerrüttung geschriebenen Artikel, würde ich es unternehmen, diesen Artikel zu lesen, ihn als ein Vorbild, eine Formel aufzustellen, der man nacheifern muss? Ich habe erst jetzt begriffen, dass ich damit einen Irrtum begangen habe, und dass es nicht in der Ordnung war, diesen Artikel laut vorzulesen; aber damals habe ich mich nicht besonnen, denn ich habe auch nicht geahnt, wessen man mich beschuldigen kann, habe keine Sünde darin vermutet. Aus Achtung für einen schon dahingeschiedenen, in seiner Zeit bedeutenden Menschen, dessen Urteil man um einiger litterarisch-ästhetischer Artikel willen schätzt, die thatsächlich mit grosser Kenntnis der Litteratur geschrieben sind; endlich aus dem heiklen Gefühl, welches gerade durch meine Entzweiung mit ihm um dieser Ideen willen (welche vielen bekannt sind) in mir verursacht wurde, las ich die ganze Korrespondenz, mich jeder Bemerkung enthaltend und mit vollständiger Unparteilichkeit.
Ich habe erwähnt, dass ich über Politik, über Zensur und anderes gesprochen habe; aber da habe ich unnütz über mich ausgesagt. Ich wollte damit nur ein Bild meiner Ideen entwerfen. Niemals habe ich bei Petraschewsky über diese Gegenstände gesprochen. Ich habe bei ihm nur dreimal oder, besser gesagt, zweimal gesprochen: einmal über Litteratur anlässlich eines Streites mit Petraschewsky über Krylow, und ein zweitesmal über Persönlichkeit und über Egoismus. Im allgemeinen bin ich kein redseliger Mensch und liebe nicht, an Orten laut zu sprechen, wo mir fremde Personen gegenwärtig sind. Meine Denkungsart, sowie meine ganze Person sind nur sehr wenigen, nur meinen Freunden bekannt. Grossen Streitigkeiten gehe ich aus dem Wege und gebe gern nach, nur um in Ruhe gelassen zu werden. Aber ich wurde zu diesem litterarischen Streite herausgefordert durch ein Thema, welches von meiner Seite aus hiess, dass die Kunst keiner Tendenzrichtung bedarf, dass die Kunst sich selbst Zweck ist, dass der Autor sich nur um das Künstlerische zu kümmern habe; die Idee werde schon selbst erscheinen, denn sie ist die unumgängliche Bedingung des Künstlerischen. Mit einem Worte: es ist bekannt, dass diese Richtung dem Zeitungswesen und der Brandstiftung diametral entgegengesetzt ist. Ebenso ist es vielen bekannt, dass ich diese Richtung schon durch mehrere Jahre vertrete. Endlich haben alle bei Petraschewsky unseren Streit gehört, alle können das bezeugen, was ich gesprochen habe. Es hat damit geendigt, dass es sich zeigte, dass Petraschewsky dieselben Ideen über Litteratur hatte, wie ich, dass wir einander aber nicht verstanden. Dieses Resultat unseres Streites haben viele gehört, und ich habe bemerkt, dass der ganze Streit teilweise aus Eigenliebe entstanden war, weil ich einmal Petraschewskys genaue Kenntnis dieses Gegenstandes bezweifelte. Was nun das zweite Thema anbelangt, über Persönlichkeit und Egoismus, so wollte ich darin nachweisen, dass unter uns mehr Ehrgeiz als wirkliche menschliche Würde vorhanden sei, dass wir in Selbstverkleinerung, in die Zerbröckelung der Persönlichkeit verfallen, und zwar aus kleinlicher Eigenliebe, aus Egoismus und aus der Ziellosigkeit unserer Arbeiten. Dies ist ein rein psychologisches Thema. Ich habe gesagt, dass in der Gesellschaft, welche bei Petraschewsky zusammenkam, nicht das geringste Zielbewusstsein, nicht die geringste Einheit, weder in den Gedanken noch in der Gedankenrichtung, vorhanden war. Das schien ein Streit zu sein, der einmal begann, um niemals beendet zu werden. Um dieses Streites willen kam auch die Gesellschaft zusammen, um sich durchzustreiten; denn fast jedesmal ging man auseinander, um das nächstemal den Streit wieder mit erneuerter Kraft aufzunehmen, da man fühlte, dass man auch nicht den zehnten Teil dessen gesagt habe, was man hätte sagen mögen. Ohne Debatten wäre es bei Petraschewsky höchst langweilig gewesen, weil nur Streit und Widerspruch diese Leute von so verschiedenem Charakter zu verbinden vermochten. Man sprach über alles, aber über nichts ausschliesslich, und man sprach so, wie man in jedem Kreise spricht, der sich zufällig zusammenfindet. Ich bin überzeugt davon. Und wenn ich manchmal an Streitigkeiten bei Petraschewsky teilgenommen habe, wenn ich zu ihm ging und nicht erschrak, wenn ein hitziges Wort gesprochen wurde, so geschah dies deshalb, weil ich vollkommen überzeugt war (und das bin ich noch heute), dass die Sache hier familienhaft, im Kreise gemeinschaftlicher Freunde Petraschewskys, aber nicht öffentlich vor sich ging. So war es thatsächlich, und wenn man jetzt eine so ausschliessliche Aufmerksamkeit dem zuwendet, was bei Petraschewsky vorging, so ist das darum der Fall, weil Petraschewsky durch seine Sonderbarkeiten und Excentricitäten fast ganz Petersburg bekannt war und daher auch seine Abende bekannt waren. Ich aber weiss unbedingt, dass das Gerede ihre Bedeutung übertrieb, obwohl im Gerede der Leute mehr Spott über Petraschewskys Abende enthalten war als Besorgnis.
Darüber, dass manchmal ziemlich offen gesprochen wurde (aber immer im Sinne des Zweifels und so, dass Streit daraus entstand), war ich nicht beunruhigt, weil es nach meiner Idee besser ist, dass irgend ein hitziges Paradoxon, irgend ein Zweifel vor das Urteil der anderen tritt (natürlich nicht auf dem Marktplatze, sondern im Freundeskreise), anstatt im Innern des Menschen ohne Ausgang zu bleiben, sich in seiner Seele zu verhärten und einzuwurzeln. Gemeinsamer Streit ist nützlicher als Vereinsamung. Die Wahrheit kommt immer zu Tage, und der gesunde Verstand wird den Sieg davontragen. So habe ich diese Versammlung betrachtet und bin auf Grund dieser Anschauung manchmal hingegangen. Die Erfahrung hat mir recht gegeben, da man z. B. ganz aufhörte, über den Fourierismus zu sprechen, denn dieser wurde, auch als Lehre betrachtet, von allen Seiten mit Spott überschüttet. Wenn aber bei Petraschewsky irgend jemand es unternommen hätte, über eine Anwendung des Fourierschen Systems auf unser gesellschaftliches Leben zu sprechen, so hätte man ihm sofort ohne alle Umstände ins Gesicht gelacht. Ich spreche so, weil ich von der Wahrheit meiner Aussage überzeugt bin.
Zur Beantwortung der Frage, ob nicht irgend ein geheimer Zweck von der Gesellschaft Petraschewskys verfolgt wurde, kann man auf das nachdrücklichste sagen, dass in Anbetracht dieses ganzen Durcheinanders von Meinungen, dieser ganzen Vermischung von Begriffen, Charakteren, Persönlichkeiten, Spezialitäten, dieser Streitigkeiten, welche fast bis zur Feindseligkeit gingen und nichtsdestoweniger nur Debatten blieben, in Anbetracht also alles dieses kann man auf das nachdrücklichste sagen, dass unmöglich ein geheimer, verborgener Zweck in diesem Chaos vorhanden sein konnte. Hier war auch nicht der Schatten einer Einheit und könnte auch keiner bis an das Ende aller Zeiten vorhanden sein. Und obwohl ich nicht alle Männer und Frauen der Gesellschaft Petraschewskys kannte, so kann ich unbedingt nach dem, was ich gesehen habe, sagen, dass ich mich nicht irre.
Jetzt komme ich zur Beantwortung der letzten Frage, zur Antwort, welche meine Rechtfertigung abschliesst; es ist diese: Ist Petraschewsky selbst ein gefährlicher Mensch und bis zu welchem Grade ist er der Gesellschaft schädlich?
Als man mir diese Frage das erste Mal vorlegte, konnte ich sie nicht geradeaus beantworten. Ich hätte vorher in mir eine ganze Reihe von Fragen und Zweifeln entscheiden müssen, welche sofort in meinem Geiste entstanden, welche ich aber nicht auf der Stelle beantworten konnte, welche einen bestimmten Grad von Sammlung forderten, und darum stand ich da, ohne zu wissen, was ich antworten sollte. Jetzt, da ich mir alles klargemacht habe, will ich sowohl meine vorausgegangenen Erwägungen, als auch schliesslich die Antwort auf die mir gestellte Frage als Schlussfolgerung dieser Erwägungen hier vorlegen.
Wenn man mich gefragt hat, ob Petraschewsky der Gesellschaft schädlich sei, so verstehe ich darunter vor allem, ob er es als Fourierist, als Anhänger und Verbreiter der Lehre Fouriers sei. Man hat mir ein eng beschriebenes Heft gezeigt und mir gesagt, dass ich wahrscheinlich die Schrift darin erkennen würde. Ich kenne Petraschewskys Handschrift nicht, ich habe nie mit ihm korrespondiert und ich habe unbedingt nicht vermutet, dass er sich mit Schriftstellerei befasst (ich spreche mit Überzeugung); darum weiss ich unbedingt nichts von ihm, als einem Verbreiter der Lehre Fouriers. Ich kenne nur seine theoretischen Überzeugungen, ja und diese kaum, da wir auch ein theoretisches Gespräch über Fourier selten, fast niemals anknüpften, da unsere Gespräche sich sofort in Streit verwandelten. Das wusste er sehr gut. Von Plänen aber und Anordnungen hat mir Petraschewsky niemals etwas mitgeteilt, und ich weiss endgiltig nicht, hat er solche gehabt oder nicht. Ausserdem, wenn er auch solche gehabt hätte, was ich durchaus nicht weiss, so würde er sie, da er mit mir in keinerlei nahen Beziehungen stand und keine grosse Freundschaft uns verband, sicherlich (ich bin davon überzeugt) alles vor mir verborgen und mir kein Wort mitgeteilt haben. Ich aber meinerseits hatte auch niemals den Wunsch,