Seewölfe - Piraten der Weltmeere 36. Roy Palmer

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 36 - Roy Palmer


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du jetzt am besten die Luft an. Hasard hat miserable Laune und könnte auf die Palme gehen, wenn einer von uns vorlaut wird.“

      Dan zeigte eine nachdenkliche Miene. „Ja, das stimmt. Schließlich kenne ich ihn länger als du. Ihm scheint irgendwas gewaltig gegen den Strich gelaufen zu sein. Hoffentlich rückt er bald damit heraus, um was es sich dreht. Mir wird’s schon ganz kribblig unter der Haut.“

      Der Seewolf wartete ab, bis auch der letzte Mann der Crew angetreten war. Dann ließ er einen Blick über die Gesichter der Männer wandern. Diese Augenblicke hatten etwas Bedeutsames, Beunruhigendes. Sogar Jean Ribault auf seinem luftigen Posten im Großmars schaute gebannt aufs Deck hinunter und hielt unwillkürlich den Atem an.

      „Männer“, sagte der Seewolf, ohne die Stimme sonderlich zu heben. „Wir haben uns erfolgreich gegen die Piraten zur Wehr gesetzt und ihnen zum zweiten Mal eine Lehre erteilt. Ich bin deswegen stolz auf euch. Aber vor dem nächtlichen Kampf, gestern in den frühen Morgenstunden, ist etwas passiert, was ich nicht einfach so hinnehmen kann. Ich habe von Valdez erfahren, daß zu dieser Zeit die ehemalige „Isabella IV.“ an der Insel Cayman Grae vorübergesegelt ist, und zwar nordwärts zwischen Little Cayman und Cayman Grae hindurch.“

      Dan O’Flynn konnte sich gerade noch rechtzeitg bezwingen, sonst hätte er jetzt einen Pfiff ausgestoßen. Er konnte sich ausmalen, auf was der Seewolf anspielte, jeder konnte es sich zusammenreimen, denn es gehörte kein besonderer Scharfsinn mehr dazu.

      Trotzdem, Philip Hasard Killigrew fuhr fort: „Die Piraten entdeckten uns also in unserem Versteck, der kleinen, geschützten Bucht von Cayman Grae. Caligu lachte sich ins Fäustchen, ließ hochdrehen und eine Bucht im Norden der Nachbarinsel Little Cayman ansteuern. Den Rest wissen wir ja – wie Valdez sich aus seinem Gefängnis befreite, nach Little Cayman schwamm und von dort aus nach Cayman Grae mit einem Einbaum übersetzte und so weiter und so fort. Aber auf was es mir im Moment ankommt, ist folgendes: von jenem Zeitpunkt an war unser Schiff entdeckt – ohne, daß eine Menschenseele auf der „Isabella V.“ von dieser Tatsache auch nur etwas ahnte. Mir wurde jedenfalls nicht gemeldet, daß die Zweimast-Karavelle unsere Bucht passiert hatte, und darum hätte es ohne weiteres geschehen können, daß der nächtliche Überfall der Piraten gelang. Nur Valdez hat uns durch seine Warnung davor bewahrt.“

      Stille lag über der Szene, als der Seewolf abbrach und sich zu Carberry umwandte.

      Der Profos stand hoch oben auf der Poop, hielt die Arme verschränkt und erweckte einen höchst grimmigen Eindruck.

      „Profos“, sagte der Seewolf. „Wie konnte deiner Meinung nach diese unglaubliche Unterlassung passieren?“

      Carberry zögerte nicht mit der Antwort. „Ganz einfach. Der Posten, den wir als Ausguck an Land aufgestellt hatten, muß geschlafen haben. Jawohl, er hat gepennt wie ein fetter, vollgefressener Bär!“

      „Und wer, Profos, hatte auf der Felsenspitze unmittelbar über der Bucht die Frühwache von vier bis acht?“

      „Patrick O’Driscoll.“

      Der Seewolf fuhr herum und fixierte den vierschrötigen Iren mit einem durchdringenden Blick. O’Driscoll stand etwas abseits am Backbordschanzkleid der Kuhl und schaute seinerseits zu dem schwarzhaarigen, blauäugigen Riesen herüber. Für einen Moment verfingen sich ihre Blicke ineinander. Dann senkte der Ire die Lider und sah auf die Decksplanken, als läge dort etwas für ihn parat, das den erdrückenden Vorwurf abschwächen und sein Verhalten rechtfertigen konnte.

      Die Crew wurde unruhig. Dan O’Flynn wollte etwas rufen, aber Smoky stieß ihn an und zischte: „Halt die Klappe. O’Driscoll soll die Suppe selbst auslöffeln, die er sich eingebrockt hat. Schließlich hätten wir seinetwegen alle draufgehen können.“

      „Patrick O’Driscoll!“ rief der Seewolf. Seine Stimme hatte sich verhärtet und war scharf geworden. „Du hättest die Piraten mit der ‚Isabella IV.‘ sehen und mir melden müssen. Hast du sie bemerkt – ja oder nein?“

      Der Ire hob abrupt den Kopf. Sein Blick war flackernd geworden. Er wich seinem Kapitän mit den Augen aus, wies aber zu dem Spanier hinüber und schrie: „Verdammt noch mal, der Scheißkerl von einem Don lügt! Möchte wissen, was dem überhaupt einfällt. Der will sich doch nur aufspielen. Und überhaupt, schenkt ihr einem dahergelaufenen Phillip neuerdings mehr Glauben als mir, einem ehrlichen Seemann? Es ist gut möglich, daß die Piraten nördlich und nicht südlich der Insel vorbeigesegelt sind. Jawohl, so und nicht anders muß es gewesen sein!“

      Valdez gab sehr ruhig zurück: „Dieser Mann spricht nicht die Wahrheit.“

      O’Driscoll lief dunkelrot im Gesicht an. Er stieß einen heiseren Schrei aus und wollte sich auf den Spanier stürzen. Aber Batuti und Buck Buchanan waren neben ihm, packten ihn bei den Schultern und hielten ihn zurück.

      „Lüge!“ schrie der Ire. „Das lasse ich mir nicht gefallen! Das brauche ich mir nicht bieten zu lassen! Was bin ich denn plötzlich für euch – ein Dreck? Wenn ihr mir nicht traut, braucht ihr bloß Bescheid zu sagen und ...“

      „Ruhe!“

      Die Stimme des Seewolfs schnitt ihm das Wort ab. Hasard stand immer noch auf seinem Platz hinter der Querbalustrade des Quarterdecks. Er sprach kühl und beherrscht.

      „Willst du jetzt endlich meine Frage beantworten, O’Driscoll?“

      „Habe ich doch schon.“

      „Du hast die Piraten also nicht gesichtet?“

      „Ich habe die Schnauze voll!“ brüllte O’Driscoll wieder los. „Gestrichen voll! Überhaupt, ich pfeife auf die Fahrt nach England. Ich will ausgezahlt werden.“ Er atmete heftig und blickte wild die Kameraden an, die ihn festhielten. „Laßt mich los, ihr Narren!“

      Er befreite sich aus ihrem Griff, tat ein paar heftige Schritte am Großmast vorbei und stand direkt unter seinem Kapitän. Forsch blickte er zu diesem auf, aber sein Blick hatte immer noch jenen unsteten, flackernden Ausdruck. „Es ist mein gutes Recht. Ich habe die Schnauze voll und will meinen Anteil. Ich hab’s satt, ewig meine Rübe hinzuhalten. Ich will noch ein bißchen leben. Wenn du mich ausgezahlt hast, Kapitän Killigrew, kannst du mich auf Kuba oder Haiti absetzen. Dann sind wir fertig miteinander, und jeder geht seinen Weg.“

      Carberry stemmte die Fäuste in die Seiten. Seine Stirn war finster umwölkt. „Das hast du dir fein vorgestellt, O’Driscoll. Aber so geht’s nicht. Wo bleibt hier überhaupt der Respekt?“

      „Ich weiß, daß du mich nicht leiden kannst, Profos.“

      „Du spinnst ja!“ sagte Carberry erbost.

      „Wenn es nach euch ginge, könnte ich ruhig den Haien zum Fraß fallen“, schrie O’Driscoll. „Keiner würde auch nur einen Finger krümmen, um mir zu helfen. Keinem würde es leid tun, wenn ich verrecken würde. Ich ...“

      Jetzt wurde es der Crew zuviel, jetzt rückten Smoky, Matt, Blacky und von Hutten und gleich hinter ihnen Batuti, Stenmark, Dan und einige andere vor, um ihre Meinung kundzutun. O’Driscoll wollte vor ihnen wegschlüpfen wie ein Aal, aber er verkalkulierte sich. Batuti verstellte ihm den Weg. Der riesige Gambia-Neger, Smoky und Blacky packten ihn von zwei Seiten und hielten ihn fest.

      Karl von Hutten sagte: „Du schleichst wie eine Katze um den heißen Brei herum und redest total am Thema vorbei, Pat. Was soll denn dieses übertriebene Selbstmitleid? Mir scheint, du willst dich bloß rechtfertigen. Außerdem hast du keinen Grund, dich hier dermaßen aufzuplustern. Wenn du tatsächlich auf deinem Wachtposten nicht die Augen offengehalten hast, hätten wir alle Mann vor die Hunde gehen können.“

      „Deine Schuld wäre es gewesen“, fügte Dan O’Flynn wütend hinzu.

      „Dir sollte man die Hammelbeine langziehen“, sagte Smoky drohend.

      Philip Hasard Killigrew hob eine Hand und brachte damit die Mannschaft zum Schweigen. „O’Driscoll, wenn es dein Wunsch ist, mit dem dir zustehenden Anteil unserer Beute irgendwo an Land zu gehen, so halten wir dich nicht. Bei der nächsten Gelegenheit erledigen wir das.“ Er


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