Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
href="#ulink_f5515687-014a-5ccb-94cb-4e6a9add99bd">152. Damit sind die Menschenopfer gemeint, wozu bei Claudius noch der Widerwille gegen die gefährlichen Amulette kommen mochte, welche die Druiden im Gebrauch hielten, zum Beispiel Eier gewisser Schlangen, wodurch man sich den Sieg in jedem Streit und den Zugang zu Fürsten gesichert glaubte153. Der Stand als solcher musste jetzt freilich seinen Zusammenhang verlieren, die druidischen Tagsatzungen zwischen Dreux und Chartres allmählich eingehen, das Wandern der Druidenzöglinge nach dem seither ebenfalls römisch gewordenen Britannien aufhören, nachdem die Insel seit unvordenklichen Zeiten als die hohe Schule aller druidischen Weisheit gegolten – aber es gab doch noch fortwährend Druiden bis in die christliche Zeit hinein, ohne Zweifel, weil das Volk des von ihnen gepflegten Aberglaubens im täglichen Leben nicht entbehren wollte. Leicht kann man sich ihre Lage im dritten Jahrhundert vorstellen: die gebildete Welt hat sich längst dem römischen Wesen in die Arme geworfen und steht in keinem Verhältnis mehr zu dem altnationalen Priesterstande; dieser hat darob seine höhere gemeinsame Weihe eingebüsst, und es ist aus dem Priester ein Beschwörer, Quacksalber und Wahrsager geworden, wie teilweise in Ägypten. Vorzüglich machten sich die Druidinnen als die Zigeunerinnen des sinkenden Altertums bemerklich. Aurelian befragte ihrer mehrere – möglicherweise ein ganzes Druidinnenkollegium154 – über die Nachfolge im Reiche, und zwar sicher nicht bloss im Scherze, denn der Scherz auf diesem Gebiete war gefährlich. Sonst gaben sie ihre Weissagungen auch ungefragt, wie jenes rücksichtslose Weib, das dem Alexander Severus auf gallisch zurief: »Ziehe hin, hoffe keinen Sieg, und deinen Soldaten traue nicht!« – oder wie jene druidische Wirtin im Tungernland (bei Lüttich), mit welcher der damalige Unteroffizier Diocles, der spätere Diocletian, seine tägliche Kost verrechnete. »Du bist zu geizig, zu sparsam!« sagte sie. »Ich will freigebig sein, wenn ich einmal Kaiser bin«, antwortete er. »Spotte nicht«, erwiderte die Wirtin, »du wirst Kaiser werden, wenn du einen Eber erlegt hast.«
Am längsten muss das Druidentum sich in den Gegenden gehalten haben, welche noch jetzt teilweise ihre keltische Nationalität und Sprache bewahren, also in der Bretagne und im westlichen Teil der Normandie. Noch im vierten Jahrhundert lernen wir eine von hier stammende Druidenfamilie kennen, deren Mitglieder zu den gelehrtesten Rhetoren der Schule zu Bordeaux gehörten. Es gab ihnen eine gewisse Weihe, dass man wusste, das Priestertum des keltischen Sonnengottes Belenus sei in ihrem Hause erblich gewesen. Allein sie fanden – bezeichnend genug – ihren Vorteil darin, dieses ganze Verhältnis zu gräzisieren und sich Phoebicius und Delphidius zu nennen155.
Vermutlich hielten die Druiden, wo sie noch existierten, nach Kräften den Kultus im Gange, welchen das gemeine Volk noch bis tief in die christlichen Jahrhunderte hinein den gewaltigen, formlosen Steindenkmälern des alten Keltentums widmete, jenen Pfeilern, Decksteinen, Spindeln, Steinbänken, Feengängen usw., wo des Nachts Lichter und Opfer brannten und Gelage gefeiert wurden. Darauf bedeckt tiefes Dunkel den Untergang des keltischen Heidentums; in späterer Zeit leben dann, durch die Ferne vergrössert, die Druiden als Riesen, die Druidinnen als Feen fort, und über die Steindenkmale, wo es nicht recht geheuer ist, spricht die Kirche ihren vergeblichen Exorzismus156.
Während Maximian Gallien zur Botmässigkeit brachte, trat ein Abfall Britanniens ein157, welcher einerseits wohl das Nachspiel ausmacht zu der rettenden Usurpation der Dreissig Tyrannen unter Gallienus, andererseits aber das Vorspiel war zu dem definitiven Verlust Britanniens, wie er etwa hundertvierzig Jahre später eintrat.
Seit Probus war die Insel, wie auch die gallischen Küsten, umschwärmt von Piraten, welche bald als Franken (und dann als Salier), bald als Sachsen bezeichnet werden. Gegen sie bedurfte man einer Flotte, welche in der Tat zu Boulogne (Gessoriacum) ausgerüstet wurde; den Befehl derselben vertraute Maximian dem seekundigen und tapfern, auch noch im Bagaudenkrieg erprobten Carausius an, einem Menapier (Brabanter) von dunkler, vielleicht kaum römischer Herkunft. Dieser begann bald ein sonderbares Spiel mit seiner Stellung zu treiben. Er liess die Piraten ungestört ihre Ausfahrten bewerkstelligen und fing sie erst bei der Rückkehr auf, um die ihnen abgenommene Beute für sich selbst zu behalten. Sein Reichtum erregte Aufsehen, und Maximian, der alles erfahren, hatte schon Befehl gegeben, ihn zu töten, allein Carausius wusste ihm zuvorzukommen. Durch Freigebigkeit hatte er seine Soldaten sowohl als die Franken und Sachsen selbst an sich zu ketten vermocht, so dass er noch in Gallien sich zum Kaiser aufwerfen konnte (286), doch nicht, um sich hier zu halten. Er fuhr mit der ganzen Flotte nach Britannien hinüber, wo die römischen Truppen sich sofort für ihn erklärten, so dass das ganze Land in seine Gewalt kam, während Maximian das notwendigste Mittel zu seiner Verfolgung entbehrte. Sieben Jahre lang beherrschte er die damals reiche Insel, indem er die Nordgrenze gegen die alten Feinde, die Caledonier, verteidigte; auch Boulogne mit der Umgegend behielt er als Absteigequartier und als Stützpunkt für seine Kaper bei, wie zu Ende des Mittelalters Calais diese Stelle vertrat. Als Herr Britanniens suchte er nun zwar die römische Bildung und Kunst zu erhalten, allein seinem Bündnis mit den Franken in den Niederlanden zuliebe trug er und seine Römer doch ihre Tracht und nahm ihre junge Mannschaft in sein Heer und auf seine Flotte, wo sie alle römische Kriegsübung lernen konnte. Es ist keine Frage, dass England bei einer längern Isolierung unter ihm und ähnlichen Nachfolgern barbarisiert worden wäre, ehe es die römisch-christliche Bildung, das wichtigste Erbteil des alten orbis terrarum, in sich aufnehmen und verarbeiten konnte. Von der andern Seite ist es ein imposanter Anblick um diese Insel, wie sie zum erstenmal in der Geschichte ihrer künftigen Seeherrschaft sich plötzlich bewusst wird, weil ein kühner Empörer von ihr aus die Mündungen der Seine und des Rheins beherrscht und die ganze Küste des Ozeans in Schrecken hält. – Seine Popularität konnte übrigens nur darauf beruhen, dass die Piraten, jetzt in seinem Dienst, die Küsten nicht mehr belästigten, und dass er zugleich die Nordgrenze verteidigte.
Maximian musste eine neue Flotte rüsten (289), aber sein Versuch scheint unglücklich abgelaufen zu sein; der Usurpator hatte alle erfahrenen Seeleute bei sich. In der Besorgnis, dass derselbe seine Herrschaft noch weiter ausdehnen möchte, entschlossen sich die Kaiser (290) zur Abfindung mit ihm; er behielt die Insel und den Titel Augustus, wenigstens konnte man es nicht verhindern, dass er sich fürderhin wie bisher so nannte. Am allerwenigsten war man aber gewillt, ihm den Raub auf die Länge zu lassen. Sobald die beiden Caesaren adoptiert waren, brach man wieder mit ihm, gleichviel unter welchem Vorwand, vielleicht bei Anlass von Boulogne (293). Constantius Chlorus musste diese Stadt belagern; die carausische Flottenstation im Hafen liess sich geduldig den Eingang desselben durch einen Damm verschütten und fiel in die Hände des Belagerers158. Vielleicht war es der Rückschlag dieses Ereignisses auf die Stimmung Englands, welcher einem vertrauten Gefährten des Usurpators, Allectus, den Mut zu dessen Ermordung gab, worauf Volk und Soldaten ihn ohne weiteres anerkannten. Jetzt nahm sich Constantius die Müsse, für die künftige Eroberung Britanniens eine weite, zuverlässige Basis vorzubereiten und sich vor allem die rechte Flanke zu sichern durch Unterwerfung derjenigen Franken, welche das Bataverland besetzt hielten. Er schlug sie (294) und verpflanzte einen grossen Teil in das römische Gebiet, um Trier und Luxemburg. Zugleich wurde eine neue Flotte gerüstet, und zwei Jahre später (296) war alles bereit zum Hauptangriff. Allectus hatte eine Beobachtungsflotte bei der Insel Wight aufgestellt, aber der kaiserliche Admiral Asclepiodotus, der am Seineausfluss unter Segel gegangen war, konnte unter dem Schutz eines dichten Nebels glücklich an derselben vorbeikommen und irgendwo an der Westküste landen, wo er sofort seine Schiffe hinter sich verbrannte, wahrscheinlich, weil seine Mannschaft zu gering war, um sie in ein Angriffsheer und in ein Schutzkorps für die Flotte zu teilen. Allectus, der den Hauptangriff des Constantius mit der Boulogner Flotte in der Gegend von London hatte erwarten wollen, verlor die Haltung, indem er sich nun unvorbereitet nach dem Westen werfen musste, wo er den Asclepiodotus unterwegs traf. Ein vielleicht ganz unbedeutendes Treffen zwischen ein paar tausend Mann, in welchem Allectus fiel, entschied das Schicksal Englands, so dass Constantius