Die wichtigsten Werke von Jacob Burckhardt. Jacob Burckhardt
der Adoptivvater sowohl als der neue Sohn die Eigenschaften besassen, um sich zu behaupten.
Offenbar gehörte dem Senat, welcher einst dem göttlichen Augustus einen Titel der Macht nach dem andern dekretiert hatte, das grösste historische Recht zur Ernennung eines neuen Kaisers. Allein sobald die Kaiser den Senat hassten und sich einzig auf die Garden verliessen, massten diese letztern sich die Kaiserwahl an; es dauerte nicht lange, so konkurrierten auch die Heere in den Provinzen mit den Kasernen des prätorianischen Lagers zu Rom. Bald fand man hier seinen Vorteil bei kurzen Regierungen, weil sich das Geschenk an das Lager jedesmal wiederholte. Dazu rechne man die dunkle Tätigkeit entschlossner Intriganten, deren Interesse es hie und da sein mochte, zunächst einen Bewerber zu unterstützen, dessen baldigen Untergang sie voraussahen und wollten.
So wurde von den Mördern des Commodus ein braver Mann, Helvius Pertinax, wie zur Rechtfertigung ihrer Tat vorgeschoben, den zuerst die Soldaten, dann der Senat anerkannten (193). Durch anfängliche Begünstigung eines gewissen Triarius Maternus erpressten die Garden von Pertinax ein enormes Donativ, zu dessen Bestreitung die Kostbarkeiten des Commodus veräussert wurden; die natürliche Folge war ein baldiger zweiter Versuch zugunsten des Konsuls Falco; das drittemal aber begannen die Garden geradezu mit der Ermordung des Kaisers. Und nun ging im Lager jene unerhörte Gant der Kaiserwürde vor sich; es fand sich ein reicher Tor, Didius Iulianus, der um etwa 6000 Franken an jeden einzelnen Soldaten ein paar Wochen Schwelgerei und Todesangst erkaufte. Dies war aber auch die letzte und höchste Spitze prätorianischen Übermutes. Drei Provinzialheere hatten sich gleichzeitig das Vergnügen gemacht, ihre Anführer zu Kaisern auszurufen; darunter war der düstre Afrikaner Septimius Severus. Der ratlose Julian versuchte es zuerst mit Aussendung von Mördern; es gab damals einen Offizier Aquilius, der bei der Ermordung von Grossen schon öfter Dienste geleistet hatte5 und einen Ruf geniessen mochte wie zu Neros Zeiten Locusta. Darauf wollte Julian, weil er ja das Reich um sein gutes Geld gekauft, die Sache wie einen Rechtshandel gegen Sever durchführen; weiterhin erklärte er letztern, als er näher rückte, zum Mitregenten; er war aber verlassen, verhöhnt, und auf Veranstaltung des Senates hingerichtet, als Sever noch mehrere Märsche weit von Rom stand.
In Septimius Severus (193–211) ist die Militärherrschaft zum ersten Male rein repräsentiert. Der Hochmut des Standes und Grades, den er schon als Legat an den Tag legt6, hat etwas Unrömisches, Modernes. Wie wenig er dagegen die alte Hoheit des Senates begreifen und achten würde, konnte schon die Deputation von 100 Senatoren inne werden, welche ihn bei Terni begrüsste und die er gleich untersuchen liess, ob sie etwa Dolche bei sich führten. Die reinste Konsequenz eines Kriegsfürstentums aber befolgte er, als er die Prätorianer schimpflich entwaffnete und aus Rom jagte. Eine solche bevorzugte, verdorbene Garde mit politischen Prätentionen passte nicht in sein System. Seinem eigenen mitgebrachten Heere gab er einstweilen nur ein Fünfteil von dem verlangten Donativ. Ebenso folgerichtig benahm sich Sever im Kampfe gegen seine Mitbewerber Pescennius Niger und Clodius Albinus; er rottete ihren ganzen Anhang aus; es war ihm unbegreiflich, wie eine Anzahl Senatoren sich mit jenen in Briefwechsel hatten einlassen können und wie sogar der gesamte Senat sich hatte neutral halten mögen. »Ich bin's ja«, schreibt er an den Senat7, »der dem römischen Volke Getreide und Öl verschafft, der für euch Kriege führt, und jetzt – welch ein Dank? . . . Ihr habt euch seit Trajans und Marc Aurels Zeiten sehr verschlechtert.« – Byzanz, wo sich die Anhänger des Pescennius über ein Jahr verteidigten, wurde, trotz seiner Wichtigkeit und Unentbehrlichkeit als Grenzfeste gegen die Barbaren des Pontus, dem Boden eben gemacht und die ganze Besatzung nebst vielen Einwohnern getötet8. Die Welt sollte sich ein Beispiel daran nehmen, wie es den Städten und Faktionen ergehen müsse, welche unter mehrern Usurpatoren nicht sogleich denjenigen herausfinden würden, der bleibenden Gehorsam verdiente. Nicht besser ging es den Anhängern des Albinus; Sever hatte ihre Korrespondenz in die Hände bekommen und hätte sie, wie einst der grosse Caesar die der Pompejaner, ungelesen verbrennen können. Dies wäre sehr edel, aber durchaus nicht zeitgemäss gewesen, weil es sich nicht mehr um Prinzipien und deren Amalgamierung durch persönliches Versöhnen und Gewinnen handelte, sondern um eine einfache Unterwerfung. Eine Menge Senatoren und Vornehme in und ausserhalb Rom wurden hingerichtet; vor Senat, Volk und Soldaten hielt der Kaiser Lobreden auf Commodus, gewiss nicht aus Überzeugung, sondern aus Hohn gegen den Senat.
In Rom selber brach einmal während dieses Reichskrieges bei den Zirkusspielen ein plötzliches Jammern und Räsonieren los, welches ein Ohrenzeuge9 sich nur durch göttliche Inspiration zu erklären weiss. »O Rom! Königin! Unsterbliche!« (so riefen die vielen Tausende einstimmig). »Wie lange leiden wir noch solches? Wie lange führt man noch Krieg um uns?« – Es war besser, dass sie ihre Zukunft nicht wussten.
Als der Friede im Innern hergestellt war, wurde man inne, dass die Militärherrschaft mit der notwendigen Zutat auswärtiger Kriege sich Selbstzweck geworden war. Ihr Mittelpunkt war Sever mit seiner in die höchsten Ämter verteilten Familie, aus welcher er eine Dynastie machen wollte; nur seinen Bruder, welcher gern Mitregent geworden wäre, hielt er geflissentlich von sich ab. Das nächste Mittel zur Behauptung der Macht war die Bildung einer neuen Garde, welche mehr als viermal so stark wurde als die alte; mit einer solchen stets disponiblen Leibarmee konnte man fortan auch den Provinzialheeren ganz anders gegenüberstehen; mit ihr konnte man, wie später geschah, im Reiche herumreisen und überall morden und plündern. Die frühere Garde hatte aus Italienern, sogar vorzugsweise aus Leuten der Umgegend Roms bestanden; jetzt füllte Severus Rom mit rohen und schrecklichen Barbarengesichtern. War er mit dem Donativ sparsam gewesen, so erhöhte er dafür den Sold mehr als irgend ein anderer Kaiser; aus dem einmaligen Wegwerfen von ein paar Millionen wurde ein regelmässiges Aussaugen des Reiches zugunsten der Soldaten. Jener väterliche Rat Severs an seine Söhne mag wohl eher von den Zeitgenossen aus seiner Regierungsweise abstrahiert als wirklich von ihm ausgesprochen worden sein, lautet aber bezeichnend genug: »Seid einträchtig, macht die Soldaten reich, und verachtet alle andern«10.
Man möchte nun glauben, dass dieser Soldatenstand, so hoch geehrt und in beständigem Atem gehalten durch einen so rastlosen Feldherrn, den grössten kriegerischen Erinnerungen Roms Ehre machen musste. Allein dem war nicht so. Sever selber klagt laut genug über Verfall der Disziplin, und auf seinem grossen asiatischen Feldzuge kamen Fälle von Insubordination vor, welchen er nur mit Nachsicht und fernern Geschenken zu begegnen wusste. Konnte er wohl sich verhehlen, dass seine Neuerung nur ihn und seine Regierungszeit sicherte, während sie einem schwachen und schlechten Nachfolger, der nicht mehr gleichsam sein eigener Gardepräfekt war, den unvermeidlichen Untergang zuziehen musste? Oder war ihm dieses gleichgültig, wenn nur die Soldatenherrschaft als solche sich erhielt?
Man darf hier wie in diesen letzten Jahrhunderten des Heidentumes überhaupt nicht übersehen, dass die Mächtigsten oft unfrei handelten, weil sie sich der Astrologie und den Vorbedeutungen fügten. So allein wird man es zum Beispiel bei dem gerechtigkeitsliebenden Sever erklären müssen, wenn er einen unvorsichtigen Frevler wie Plautian so beharrlich in der Gardepräfektur und in der engsten Verbindung mit seinem Hause festhielt. Mannigfache Superstitionen umgaben das Leben Severs von der Jugend bis zum Grabe. Da der römische Kaiserthron das grosse Los einer Lotterie geworden war, so gab es Eltern der verschiedensten Stände, welche das tägliche Leben ihrer begabteren Kinder sorgfältig beobachteten, ob nicht eine Vorbedeutung künftiger Herrschaft sich zeige; es wird Notiz davon genommen, wenn der Knabe absonderliche Verse im Munde führt, wenn Schildkröten oder junge Adler ins Haus gebracht werden, oder gar ein purpurfarbnes Taubenei, wenn Schlangen sich als Hausgenossen hervortun, Lorbeerbäume hervorspriessen und dergleichen; kommt aber ein Kind schon mit einer Krone von Schwielen um das Haupt zur Welt, braucht man von ungefähr ein Stück Purpurstoff zur Bedeckung des Neugebornen – dann ist sein künftiges Kaisertum in der Stille entschieden11.