Schlüsselworte der christlichen Botschaft. Augustin Schmied

Schlüsselworte der christlichen Botschaft - Augustin Schmied


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(griechisch: euangelisasthai). Bemerkenswert ist, wie der prophetische Text zitiert wird. Jesus liest aus ihm betont eine Heilsbotschaft heraus. Übergangen wird das Wort vom „Tag der Vergeltung (Rache) unseres Gottes“ (Jes 61,2).

      Jesus hat keine verschärfte Bußstimmung verbreitet. Um ihn herum muss eher eine ermutigende und frohmachende Atmosphäre gewesen sein. Darauf verweist unter anderem das Bild von der „Hochzeit“ und den „Hochzeitsgästen“ (Mk 2,19; vgl. Joh 2,1ff). Jesus wollte nicht durch Auslösung eines heilsamen Schreckens zur Bekehrung und zum Glauben bewegen. Der evangelische Theologe Helmut Thielicke erzählt in seiner Autobiographie von einem Pfarrer in Baden, der einmal zwei Gemeindeabende angesetzt hatte, in denen er nacheinander über „Gesetz und Evangelium“ sprach. „Der erste Abend war eine derart donnernde Gerichtspredigt, dass die verängstigten Zuhörer zum Teil am zweiten Abend wegblieben, als er (der Vortragende) die milderen Töne des ‚Evangeliums‘ säuseln ließ. Noch höre ich den immer wiederkehrenden Refrain des Gerichtsabends: ‚Zuerscht muss au dr Heiland den Bruschtkaschte einschmeiße.‘ “4 Erst müsse eine Kanonade abgefeuert werden, bis der Sündenmensch zusammenkartätscht am Boden liegt. Erst müsse richtig eingeheizt werden, dann könne die Salbe des Evangeliums zum Zuge kommen. Das war nicht die Methode Jesu. Seine Predigt ist nicht Froh- und Drohbotschaft zu gleichen Teilen, in prinzipieller Symmetrie.

      RADIKALERE SICHT DER ERLÖSUNGSBEDÜRFTIGKEIT DES MENSCHEN

      Jesus hat die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen radikaler gesehen als die tonangebenden Kreise im damaligen Judentum. Er wusste, dass auch ein moralisch einwandfreies Verhalten fragwürdig bleibt. Die moralische Leistung kann dazu verführen, sich das fertiggebrachte Gute selbst zuzuschreiben und den Dank an Gott zu vergessen, oder im Bewusstsein der eigenen Gerechtigkeit auf andere herabzusehen (vgl. Lk 18,9–14). Es braucht ein neues Herz, wie schon das Alte Testament weiß; in diesem Herzen muss das Gesetz Gottes verwurzelt sein (vgl. Ps 51,12; 119,32; Ez 36,26f).

      Das ist aber nicht durch Drohung mit Liebesentzug zu erreichen. Der Mensch muss in seiner Seele geheilt werden Es braucht Heilung durch Ermutigung, damit der Mensch sich selbst für wert halte, auf sich achte, und die Tendenz überwinde, sich zugrunde zu richten. Jesus hat sein barmherziges Verhalten den „Sündern“ gegenüber damit gerechtfertigt, dass diese einen „Arzt brauchen“ (Mk 2,16f).5 Das Böse ist im Tiefsten Ausdruck einer trostlosen, hoffnungslosen Seele. Wenn diese lähmende Grundstimmung überwunden werden soll, muss die verdüsterte Lebenslandschaft aufgehellt werden. Das geschieht letztlich durch eine verstehende, vertrauende, barmherzige Liebe.

      Ein Gedicht von Detlev Block mit der Überschrift „Ansprache“ passt in diesen Zusammenhang:

      „Spring doch mal / über deinen Schatten! / Er wusste, / es ging nicht – / aber dass ihn / einer so anlachte, / löste in ihm / den überraschenden Mut aus, / kleine Schritte / mit dem Schatten zu machen.“6

      „Über seinen Schatten springen“ kann man eigentlich nicht. Aber man kann Schritte tun; braucht sich nicht resigniert hängen zu lassen. Solche Schritte werden einem Menschen möglich, wenn ihm wohlwollend und freundlich begegnet wird; wenn ihm etwas zugetraut wird.

      Diesen Zusammenhängen entspricht der Heilsakzent der Verkündigung Jesu. Bevor Jesus zum Tun des Guten aufgerufen hat, hat er sich bemüht, in den Menschen die Kräfte freizusetzen, die es braucht, um das Gute wirklich zu wollen und dann auch zu tun. So hat Jesus nach dem Matthäusevangelium seine Weisungen mit den Seligpreisungen begonnen (Mt 5,3–12), das heißt mit einem ermutigenden Zuspruch.

      Fulbert Steffensky hat diese Zusammenhänge einmal so charakterisiert: „Kaum jemand (kann) von der Sünde weggeprügelt werden. Wohl kann man zu einem anderen, reicheren Leben verlockt werden. (…) Das pure prophetische Nein macht die Menschen störrisch. Die spätere Rede Jesu7 hat aus dem reinen Nein herausgefunden in das Nein, das nach Ja schmeckt. Das Reich Gottes hing nicht mehr wie eine Drohung über den Menschen. Es war gemalt und beschrieben in seiner Schönheit. (…) Moral folgt den Bildern des Lebensreichtums, die man zur Kenntnis genommen und lieben gelernt hat.“8

      SOZIALE AUSRICHTUNG DES EVANGELIUMS

      Das von Jesus verkündete und vermittelte Heil von Gott her meint nicht nur innerlich bleibende und auf den Einzelnen beschränkte Vorgänge der Vergebung und Befreiung. Das von Jesus angesagte „Reich Gottes“ (vgl. Mk 1,15; Lk 4,43) ist eine universale Größe, die Heil für den ganzen Menschen bedeutet, mit Auswirkungen bis in den gesellschaftlich-politischen Bereich hinein. Es geht um eine „real erfahrbare Ordnung und Verfasstheit von Leben und Gesellschaft, die menschenfreundlich und lebensfördernd ist und allen, besonders den bisher am Rand Stehenden, zugutekommen soll“.9 Schon der alttestamentliche Hintergrund der Rede vom „Reich bzw. der Herrschaft Gottes“ verweist auf eine gerechte, menschenwürdige gesellschaftliche Ordnung (vgl. Dan 7,1–22; Ps 145, 146). Auch die „Seligpreisungen“ zeigen, dass „Reich Gottes“ Veränderungen in den äußeren Verhältnissen einschließt (Lk 6,20–26; Mt 5,11). Jesus selbst hat der in ihm repräsentierten „Gottesherrschaft“ (vgl. Mt 12,28) ein konkretes Gesicht gegeben: durch sein heilendes Tun an Kranken und „Besessenen“, durch seine Hinwendung zu deklassierten und missliebigen Gruppen, mit dem Ziel, das Volk Israel neu zu „sammeln“.

      In der schon erwähnten von Lukas geschilderten ersten Predigt Jesu (in Nazaret) erklärt sich Jesus dazu gesandt, „den Armen eine gute Nachricht zu bringen, Gefangenen die Entlassung zu verkünden, die Zerschlagenen in Freiheit zu setzen, und ein Gnadenjahr des Herrn auszurufen“ (Lk 4,18f). Im Blick auf die hier zitierten alttestamentlichen Bezugsstellen kommt den Worten Jesu eine klare soziale Komponente zu; es geht auch um Menschen in wirtschaftlicher Notlage.10 Das lässt auch die Rede vom „Gnadenjahr Gottes“ erkennen. Es wird hier erinnert an das von Mose für Israel vorgeschriebene „Jobeljahr“ bzw. „Erlassjahr“ (Lev 25,8–55). In jedem 50. Jahr sollten alle, die in Schuldknechtschaft, in Sklaverei geraten waren, weil sie ihre Schulden nicht bezahlen konnten, freigelassen werden. Grundbesitz, der sich im Lauf der Zeit bei wenigen angesammelt hatte, sollte an die ursprüngliche Eigentümerfamilie zurückfallen. Das war eine Vision, ein Ideal, das noch nie verwirklicht worden war. Aber es war ein bedeutsames und kritisches Zukunftsbild. Als der messianische Prophet proklamiert Jesus das große „Gnadenjahr“. Es eröffnet eine neue Verbindung mit Gott, die Bewegung auch in die Beziehungen der Menschen untereinander bringt. Nicht zufällig spielt der Abschnitt Lk 4,18f eine besondere Rolle in der „Theologie der Befreiung“.11

      DIE GERICHTSWORTE IM RAHMEN DER HEILSBOTSCHAFT

      Jesus musste mit der Zeit immer mehr erleben, dass seiner Botschaft Gleichgültigkeit und Ablehnung entgegengebracht wurden. In dieser Situation hat Jesus mit deutlichen Gerichtsdrohungen geantwortet (vgl. Mk 8,38; Lk 12,8; 11,31f; Mt 11,20–24 „Weherufe“; 22,7–10). Diese Reaktion Jesu darf nicht ausgeblendet werden. Aber auch die Gerichtsworte müssen im Ganzen der Heilsbotschaft gesehen werden. Sie unterstreichen, besonders gegenüber den religiösen Gegnern Jesu, dass gerade seine Verkündigung vom erbarmenden und gütigen Gott gehört und ernst genommen werden muss; dass niemand zu gut ist, um sagen zu können, dass er dieses zuvorkommende Erbarmen Gottes nicht brauche. Wenn Jesus seine Botschaft und das darin enthaltene Heilsangebot ernst nahm, musste er ja vor der Ablehnung seiner Botschaft warnen; zu dieser Warnung gehörte der deutliche Hinweis auf die unheilvollen Konsequenzen einer Ablehnung, das heißt der Hinweis auf ein Gericht von Gott her.

      Jesus hat aber auch aus diesen warnenden und drohenden Aussagen kein endgültig verurteilendes Verdikt gemacht. Er hat sein Heilsangebot an (ganz) Israel „nicht aufgehoben, solange er wirkt“12. Er hat nicht zufrieden oder gar triumphierend einem kommenden Strafgericht entgegengesehen (vgl. Mt 23,37f; Lk 13,34f). Nach der Darstellung des Lukasevangeliums weint Jesus im Blick auf das der Stadt Jerusalem drohende Unheil


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