Die Verborgene Harmonie. Osho
du dir darüber Gedanken? Ganz gleich, was du tust, es wird Sünde sein, denn du verfehlst den Augenblick – diesen Augenblick. Und wenn es zur Gewohnheit wird – und es wird zur Gewohnheit –, dann kommt die Zukunft und wieder verfehlst du sie, denn sie kommt nicht als Zukunft, sondern als Gegenwart.
Gestern hast du an heute gedacht, weil es das Morgen war; jetzt ist es das Heute, aber du denkst an Morgen, und wenn das Morgen kommt, wird es zum Heute … denn alles, was ist, ist Hier und Jetzt, anders kann es nicht sein. Und wenn deine Denkgewohnheiten festgelegt sind, sodass dein Kopf immer nur an Morgen denkt – wann gedenkst du dann zu leben? Morgen kommt nie. Und so lebst du immer nur am Jetzt vorbei – und das ist Sünde. Das ist der Sinn des hebräischen Wortstammes für Sünde. Im Augenblick, wo die Zukunft auftritt, tritt die Zeit auf. Du hast gegen die Schöpfung gesündigt. Und daraus ist ein festes Verhaltensmuster geworden: Wie ein Roboter gehst du unentwegt am Jetzt vorbei.
Zu mir kommen Leute von weit her, und zu Hause denken sie über mich nach und werden ganz aufgeregt meinetwegen und sie lesen und überlegen und träumen. Kaum sind sie dann hier, beginnen sie an zu Hause zu denken. Kaum angekommen, kehren sie schon wieder zurück. Dann fangen sie an, sich über die Kinder, die Frau, den Beruf, über alles Mögliche und tausend Dinge Gedanken zu machen. Und ich sehe mir den ganzen Unsinn an. Wenn sie wieder daheim sind, denken sie wieder an mich. Sie gehen am Jetzt vorbei, und das ist Sünde. Während du hier bist, bei mir, sei hier bei mir; sei ganz und gar hier bei mir, damit du eine neue Art von Bewegung lernst, damit du dich in der Ewigkeit bewegen lernst, statt in der Zeit.
Zeit ist Welt und Ewigkeit ist Gott; die Horizontale ist die Welt, die Vertikale ist Gott. Beide treffen sich in einem Punkt – das ist der Punkt, wo Jesus gekreuzigt wird. Beide treffen sich in einem Punkt, das ist der Punkt des Hier und Jetzt. Vom Hier und Jetzt aus hast du die Wahl zwischen zwei Reiserouten: die eine Reise in die Welt, in die Zukunft, die andere Reise zu Gott, in die Tiefe. Werdet mehr und mehr bewusst, werdet immer aufmerksamer und empfänglicher für die Gegenwart.
Wie aber sollst du es bewerkstelligen? Wie soll das möglich werden? Denn du steckst so tief im Schlaf, dass du auch daraus einen Traum machen kannst. Du kannst selbst über dies Hier und Jetzt nachdenken, es zum Gegenstand deiner Gedanken machen. Du kannst dich dabei so verkrampfen, dass du gerade deswegen nicht in der Gegenwart sein kannst. Wenn du zu sehr darüber nachdenkst, wie du in die Gegenwart kommen kannst, dann hilft dir dieses Nachdenken nicht. Wenn du dann zu viel Schuld empfindest … und du wirst dich mit Sicherheit schuldig fühlen, wenn du manchmal in die Vergangenheit zurückgehst; es ist schließlich eine uralte Gewohnheit. Und dann fängst du an über die Zukunft nachzudenken, und schon fühlst du dich schuldig, dass du schon wieder gesündigt hast.
Fühl dich nicht schuldig, sieh ein, dass es eine Sünde ist, aber fühl dich nicht schuldig; aber das ist ein großer Balanceakt. Wenn du dich schuldig fühlst, gehst du an der ganzen Sache vorbei. Jetzt fängt das alte Spiel wieder in einer neuen Spielart an. Jetzt fühlst du dich schuldig, weil du an der Gegenwart vorbeigegangen bist. Damit denkst du über die Vergangenheit nach, denn jene Gegenwart ist nicht mehr gegenwärtig; sie ist vergangen und du fühlst dich deswegen schuldig und du gehst wieder am Jetzt vorbei.
Merkt euch also eines: Jedes Mal, wenn du plötzlich siehst, dass du in die Vergangenheit oder in die Zukunft gegangen bist, mach daraus kein Problem; komm ganz einfach in die Gegenwart zurück, ohne ein Problem daraus zu machen. Es ist vollkommen in Ordnung! Hole deine Aufmerksamkeit einfach zurück. Tausendmal wirst du den Augenblick verfehlen; es kann nicht gleich geschehen, ohne Übergang! Das ist zwar möglich, aber da du nicht genügend vorbereitet bist, kann es eben nicht gleich geschehen. Es ist eine so alte, so tief eingefleischte Angewohnheit, dass du sie nicht gleich ändern kannst. Aber macht euch keine Sorgen, Gott ist nicht in Eile; die Ewigkeit kann ewig warten.
Versucht es nicht auf Biegen und Brechen. Wenn du merkst, dass du abgekommen bist, komm zurück; das ist alles. Fühle dich nicht schuldig; das Schuldgefühl ist eine List des Verstandes, jetzt spielt er wieder sein Spiel. Bereue es nicht, dass du „schon wieder vergessen“ hast. Sobald du es merkst, komm zu dem zurück, was du gerade tust: Du nimmst jetzt ein Bad – komm hierher zurück. Du isst jetzt – komme wieder zurück. Sofort, wenn du merkst, dass du nicht hier und jetzt bist, komm zurück, ohne weiteres, ohne Schuld. Halse dir keine Schuld auf. Wenn du dich schuldig fühlst, hast du alles missverstanden.
Es geht zwar um eine Sünde, aber nicht um Schuld, doch das ist schwer verständlich für euch. Sobald ihr spürt, dass etwas nicht stimmt, bekommt ihr sofort Schuldgefühle. Der Verstand ist so gerissen, so schlau. Solange du dich noch schuldig fühlst, kann das Spiel weitergehen; auf neuem Boden zwar, doch das gleiche Spiel. Die Leute kommen zu mir und sagen: „Wir vergessen es immer wieder.“ Völlig entmutigt sagen sie: „Wir vergessen es immer wieder. Wir geben uns Mühe, aber wir können es nur ein paar Sekunden lang im Kopf behalten. Einen Augenblick lang sind wir wach und erinnern uns an uns selbst, aber dann ist es wieder wie weggeblasen – was sollen wir bloß tun?“ Nichts kann man tun. Es ist überhaupt keine Frage von Tun. Was kannst du schon tun? Das Einzige, was getan werden kann, ist, sich deshalb nicht auch noch Schuld aufzubürden. Komm ganz einfach zurück.
Je öfter du zurückkommst … ganz unkompliziert, vergiss das nicht, nicht mit so ernstem Gesicht, ohne große Anstrengung; schlicht unschuldig, ohne ein Problem daraus zu machen. Denn die Ewigkeit kennt keine Probleme. Alle Probleme sind auf der Horizontalen zu Hause; und auch dieses Problem gehört dahin.
Die Vertikale kennt keine Probleme, sie ist der reine Genuss, ohne jede Furcht, ohne jede Quälerei, ohne alle Sorgen, ohne alle Schuld, nichts von alledem. Nimm es leicht und komm zurück. Es wird viele Male danebengehen, aber das macht nichts. Achte nicht zu sehr darauf, wie oft du es vergisst. Beachte vielmehr, wie oft du dich schon wieder erinnert hast. Das merke dir: Lege das Gewicht nicht darauf, dass du oft den Faden verlierst, sondern darauf, dass du dich viele Male wieder daran erinnert hast. Sei glücklich darüber. Dass du den Faden verlierst, natürlich, das muss so sein. Du bist menschlich, du hast viele Leben lang auf der Horizontalen gelebt, es ist also natürlich. Das Schöne ist, dass du so oft zurückgefunden hast. Dir ist das Unmögliche gelungen; du kannst dich darüber freuen.
In vierundzwanzig Stunden wirst du es tausendmal vergessen, aber tausendmal wirst du dich auch wieder erinnern. Langsam beginnst du jetzt die Dinge neu zu sehen. Du bist so oft nach Hause zurückgekehrt, dass sich jetzt allmählich eine neue Sichtweise durchsetzt. Du wirst mehr und mehr in der Bewusstheit bleiben und immer weniger hin und her gehen. Die Spanne wird immer kürzer. Immer weniger wirst du vergessen – du trittst in die Vertikale ein. Und plötzlich, eines Tages, verschwindet die Horizontale ganz. Die Vertikale gewinnt an Intensität und die Horizontale verschwindet.
Das ist die tiefere Bedeutung, wenn in der Hindu-Tradition, wenn bei Shankaracharya und im Vedanta diese Welt illusionär genannt wird. Denn wenn die Bewusstheit vollkommen ist, verschwindet ganz einfach diese Welt, die ihr in eurer Vorstellung erschaffen habt. Eine andere Welt wird euch offenbart. Der Schleier der Illusion, Maya, verschwindet. Die Illusion ist nur da, weil ihr schlaft, weil ihr unbewusst seid.
Es ist genau wie mit dem Träumen. Nachts lebst du im Traum und solange der Traum anhält, ist er so wahr! Hast du je im Traum gedacht: „Das ist nicht möglich!“ Das Unmögliche geschieht im Traum, aber du kannst es nicht bezweifeln. Im Träumen bist du so gutgläubig, im Traum ist niemand skeptisch, nicht einmal ein Bertrand Russell. Nein, im Traum ist jeder wie ein Kind, voll Vertrauen, ganz gleich, was geschieht. Dir erscheint deine Frau im Traum, plötzlich verwandelt sie sich in ein Pferd. Du denkst keinen Augenblick: „Wie ist das möglich?“ Träumen ist Vertrauen, ist Glauben. Du kannst im Traum nicht zweifeln. Wenn du anfängst im Traum zu zweifeln, schwindet der Traum. Wenn du dich auch nur einmal daran erinnerst, dass dies ein Traum ist, wird es ein Schock sein, der Traum wird in Stücke gehen und du wirst endgültig wach.
Diese Welt, die du um dich her siehst, ist nicht die wirkliche Welt. Nicht, dass sie nicht existiert. Sie existiert, aber ihr seht sie durch einen Schirm von Schlaf, zwischen euch und der Welt ist Unbewusstheit. Ihr seht sie an und interpretiert sie auf eure Weise; ihr seid wie Trinker.
Mulla Nasrudin kam einmal angetorkelt, ganz betrunken, und der Liftboy wollte gerade die Tür zum Fahrstuhl schließen, aber