13 Mordfälle und eine Amour Fou. Stefan Hohler

13 Mordfälle und eine Amour Fou - Stefan Hohler


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      Neben diesen «harten» Indizien präsentiert der Staatsanwalt noch eine ganze Reihe von «weichen» Indizien. So schickte Zoran Novak in der Tatnacht seiner Geliebten in Bosnien über 30 SMS und empfing mehr als 20 SMS. Auch während der Zeit, als seine Ehefrau von der Polizei und den Angehörigen gesucht wurde, rief Zoran Novak nie auf ihr Handy an. «Er wusste ja, dass sie tot war», sagte der Staatsanwalt. Im Juni schickte er an seine Geliebte in Bosnien folgende Kurznachricht: «Meine Probleme wurden mit dem Todesfall gelöst.» Und nicht nur das: Zoran Novak legte unfreiwillig ein schriftliches Geständnis ab. An der letzten Ruhestätte seiner Ehefrau in Bosnien, ritzte Novak in die frisch betonierte Mauer neben dem Grab auf kroatisch «Ponijela svoju tajnu u Grob», was übersetzt auf deutsch heisst: «Ihr Geheimnis hat sie mit ins Grab genommen.»

      Mit seinem Indizienmosaik konnte der Staatsanwalt das Bezirksgericht Zürich überzeugen. Dies, weil die wesentlichen Mosaiksteine vorlagen. Als wichtigstes Indiz wertete das Gericht die Zementplatten mit dem spiegelbildlichen Abdruck des «Tagblatts der Stadt Zürich», welche eine Verbindung vom Fundort der Leiche zum Haus des Ehemanns herstellten. «Nach der Indizienlage spricht alles für die Anklage und nichts dagegen», sagte der Gerichtsvorsitzende. Dass eine Drittperson die Frau getötet haben soll, dafür gebe es keine Hinweise. Das Opfer habe auch keine Fremdbeziehung gehabt – im Gegensatz zum Ehemann. Für das Gericht ist klar: «Es gibt keinen Zweifel, dass der Mann seine Ehefrau getötet hat.» Es verurteilte Zoran Novak wegen vorsätzlicher Tötung zu 15 Jahren. Die Tat liege nahe bei Mord, sie sei aber nicht von langer Hand geplant worden. Der Mann habe aus krass egoistischen Gründen gehandelt, um «das Problem mit der Frau zu lösen», wie er in einer SMS an seine Geliebte geschrieben habe. Das Gericht blieb damit ein Jahr unter dem Antrag des Staatsanwaltes. Der Ehemann nahm das Urteil ohne erkennbare Gefühlsregung auf. Er zog das Urteil weiter ans Obergericht, welches ebenfalls nicht der Überzeugung war, dass der Anklagegrundsatz verletzt wurde.

      So hatte der Verteidiger vergeblich argumentiert, weil die genauen Angaben zu Tatort, Todesursache und Todeszeitpunkt in der Anklageschrift fehlten. Er hatte für seinen nicht geständigen Mandanten mangels Beweisen einen Freispruch nach dem Grundsatz «in dubio pro reo» (Im Zweifel für den Angeklagten) verlangt. Zudem hatte er eine Genugtuung für die knapp dreijährige Haft von 100‘000 Franken und 180‘000 Franken für den Erwerbsausfall des Taxifahrers gefordert. Auch das Bundesgericht, dass sich ebenfalls mit dem Fall befasste, gab den Richtern der Vorinstanz recht und bestätigte den Schuldspruch wegen vorsätzlicher Tötung und die Freiheitsstrafe von 15 Jahren.

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      Der Ehemann hat sich keinen Gefallen getan, indem er trotz erdrückender Indizien auf seiner Unschuld beharrte. Warum er dies tat, kann nur gerätselt werden. Ob er durch seinen Verteidiger falsch beraten wurde oder ob er schlichtweg «beratungsresistent» war, ist nicht bekannt. Der Versuch, einen unbekannten Täter als – theoretischen – Mörder ins Spiel zu bringen, zeigte aber den Argumentationsnotstand der Verteidigung anschaulich. Spätestens vor Obergericht hätte der Ehemann reinen Tisch machen sollen, war doch schon am Prozess vor dem Bezirksgericht allen im Gerichtssaal bewusst, dass nur er der Mörder seiner Frau sein kann. Und dass bei einer bereits verwesten Leiche der Todeszeitpunkt und die Todesart in der Anklageschrift nicht mehr genau beschrieben werden kann, ist jedem klar. Der Beschuldigte hätte sich möglicherweise etliche Jahre im Gefängnis ersparen können, wenn er schon von Anfang an ein Geständnis abgelegt und sein Verteidiger im Rahmen der vorsätzlichen Tötung strafmildernde Argumente geltend gemacht hätte, zum Beispiel Handeln in einer nach den Umständen entschuldbaren heftigen Gemütsbewegung oder unter grosser seelischer Belastung.

      Kopfschuss

      Ein junger Verkäufer richtet im März 2009 mit einem Schuss in den Kopf seine knapp 17-jährige Freundin hin – im Auto auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums. Es war eine Exekution ohne nachvollziehbares Motiv. Der Kosovar und Waffennarr behauptet, es sei ein Unfall gewesen. Das glauben die Richter nicht und verurteilen ihn wegen Mordes.

      «Was meinst, habe ich den Mut, jemanden umzubringen?», fragt Murat seine Freundin neben ihm im Auto auf dem Parkplatz. «Ich weiss nicht, vielleicht», antwortet Céline Franck und zuckt mit den Schultern. Und dann geschieht das Unglaubliche: Murat setzt ihr eine Kleinkaliberpistole der Marke Browning an den Hals und drückt zweimal ab: Beim ersten Mal erklingt ein trockenes «Klick», beim zweiten Mal löst sich ein Schuss. Das Projektil tritt links in Célines Hals ein, durchdringt Gaumen und Gehirn. Céline stirbt wenig später an ihren schweren Verletzungen. Ein junges Leben von knapp 17 Jahren ist auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums Volkiland im Zürcher Oberland sinnlos ausgelöscht worden.

      Céline ist gerade etwas mehr als drei Wochen mit Murat zusammen. Die Wege der beiden hatten sich einige Jahre zuvor erstmals gekreuzt. Nun entdeckte Céline den 20-Jährigen zufällig wieder auf einer Chatroom-Plattform und schrieb ihn an. Nach einigen Wochen hin und her chatten, sind sie ein frisch verliebtes Paar. Dabei könnten die Gegensätze zwischen den beiden kaum grösser sein. Céline Franck ist eine Gymnasiastin vom Zürichberg, einem Zürcher Nobelquartier, die zwei Wochen vor ihrem 17. Geburtstag stand. Die Schweizerin stammt aus einem wohlbehüteten und finanziell gut gestellten Elternhaus. Sie boxte, ritt, spielte Cello, war musisch und kulturell gebildet.

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       Die knapp 17-jähriger Gymnasiastin Céline Franck. Bild: ZVG

      Murat ist ein 20-jähriger Kosovare, der aus einfachen Verhältnissen kommt. Er hat eine Lehre als Detailhandelsfachmann in einem Lebensmittelladen abgeschlossen, in dem er seither arbeitet. Der junge Mann wohnt mit seiner sechsköpfigen Familie in einem Mehrfamilienhaus in einer Landgemeinde nahe am Zürichsee. Célines Mutter beschreibt ihn als nicht unsympathisch, nett, anständig und gepflegt. Was die Eltern nicht wissen können: Murat ist ein Waffennarr und besitzt rund ein Dutzend Pistolen und Gewehre. Die Polizei stellte nach seiner Verhaftung Fotos auf seinem Handy sicher: Auf einem ist er mit einer Kalaschnikow und einer Pistole zu sehen. Maskiert mit einer Sturmhaube blickt er in die Kamera – wie ein Untergrundkämpfer oder ein Terrorist. Was hat Céline bei Murat gesucht? Waren es die Gegensätze, die sich anziehen? Verkörperte Murat den Kontrast zu Célines privatem und sozialem Umfeld? So hatte Céline beispielsweise eine Schwäche für getunte Autos, und es hatte ihr stets imponiert, dass die albanischen Männer im Gegensatz zu ihren Schulkollegen solche Autos besassen.

      Am verhängnisvollen Tag ist Céline schon am Nachmittag gereizt. Sie wartet vermutlich auf einen Anruf von Murat, der sich aber nicht meldet. Die Mutter rät ihr, das Boxtraining zu besuchen, um sich abzureagieren. Zuerst will die Tochter nicht, aber nachdem der Vater ihr das Angebot macht, sie zu fahren, begibt sie sich ins Trainingslokal. Als sie später wieder nach Hause kommt, erzählt sie den Eltern voller Stolz «en Chaschte vo Ma» aufgehoben zu haben. Am späten Abend fährt Murat bei Céline zu Hause vor und holt sie ab. Die Stimmung ist immer noch gereizt. «Wir müssen etwas besprechen, in einer Stunde bin ich wieder zurück», beruhigt Céline die Eltern. Die beiden fahren zum Einkaufszentrum, wo sie im nahen McDonald’s Chicken Nuggets kaufen und diese im Auto essen. Der dortige «Mac» ist bei Jugendlichen ein beliebter Treffpunkt, um vor dem Ausgang noch den Hunger zu stillen.

      Warum kurz vor Mitternacht auf dem Parkplatz die tödlichen Schüsse fallen, ist nicht bekannt. Es kann nur vermutet werden. Glaubt man der Version von Murat, so ist ihm im Auto «mega langweilig» gewesen. «Ich habe die unter dem Fahrersitz versteckte Pistole hervorgeholt, um vor Céline zu bluffen.» Er habe eine Ladebewegung gemacht und alle Patronen aus dem Magazin entfernt. Dass dennoch eine Patrone in der Waffe blieb,


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