Bon Camino - Mit 70 auf dem Jakobsweg. Reinhold Heers
– 26.05.2018
Orisson–Pass Collado Lepoeder–Roncesvalles–Burguete
Unterkunft: Hotel Rural Loizu
Strecke: 22 km, 620 Höhenmeter,
Aufstieg auf 1420 m, 9 Stdn.
Der Blick nach draußen verhieß nichts Gutes: Es regnete in Strömen. Um so sparsamer war ich mit dem Wasser beim Waschen. Kurzes Zähneputzen, und fertig. Und trotzdem brauchte ich meine Zeit, denn ich musste ja meine Sachen noch zusammenpacken: Auch das will geübt sein. Der Schlafsack musste schließlich in den kleinen Beutel. Mit allen Sachen ging es dann kurz nach 07.00 Uhr in den Speiseraum zum Frühstück – oder was man dazu sagen soll: Pott Kaffee, zwei halbe Weißbrotstangen, Butter und Marmelade. Nun ja, es war eine kleine Grundlage. Die ersten Pilger waren schon weg, andere zogen ihre Regensachen an, wieder andere liefen mit dem Poncho los. Sah nicht gerade aus wie auf einer Modenschau. Aber auch mir blieb nichts anderes übrig, als den Poncho aus dem Rucksack zu holen. Wie man damit wohl pilgern kann?
Bernd hatte auch so seine Probleme, denn bei ihm war der Regenschutz noch original verpackt und musste erst ausgepackt werden. Doch irgendwann ging es los, und wir waren nicht die Letzten. Bernd lief mit flottem Schritt los – bis er anfing zu schnaufen und langsamer wurde. Wir fanden dann unser gemeinsames Tempo. Es sollte ja über 15 km fast immer nur bergauf gehen. Kräfte einteilen. Nach etwa 5 km stand eine Marienfigur auf einem großen Felsen und blickte über ein Tal, das wir wegen des miserablen Wetters nicht sehen konnten.
Aber was war noch schlimmer? Ein Auto kam von unten angefahren und fünf Pilger stiegen aus, um von hier aus ihren Weg fortzusetzen. Das geht doch gar nicht!
Auch wenn der Regen immer mal Pause machte, an ein Ausziehen des Ponchos war nicht zu denken. Zum einen war es relativ kalt, und es ging ein heftiger Wind. Hinzu kam, dass der Poncho dicht war und somit der Rucksack trocken blieb, ich selber aber stand im Schweiß.
Nach etwa drei Stunden des Pilgerns verspürten wir beide Hunger und Durst. Wir fanden ein schönes Plätzchen, kurzzeitig ohne Regen, und ließen uns das in Orisson gekaufte belegte Baguette gut schmecken. Andere Pilger gesellten sich zu uns. Trotz allem: fröhliche Stimmung.
Das sollte sich bald ändern. Wir waren nur wenige Minuten wieder auf dem Weg, als ein bis dahin in der Ferne grummelndes Gewitter immer näher kam. Und mit ihm Sturm, Regen und Hagel. Aber in so einer Stärke, dass es schwierig war, auf den Beinen zu bleiben. Die Hagelkörner prasselten auf uns ein, es schmerzte. Blutende Lippen waren bei einigen Pilgern zu sehen. Dabei hatten wir noch Glück: Die einzige Schutzhütte war in Sichtweite. Also nichts wie hinein. Wir standen wie die Heringe, dicht gedrängt. Es konnten nicht alle r ein. Die, die draußen bleiben mussten, verkrochen sich hinter Felswänden, legten sich in Mulden. Zwei Frauen wurden regelrecht umgepustet. Nach einer halben Stunde war das Schlimmste vorbei, was Gewitter und Hagel anging. Also: Weiter ging es, immer bergauf. Der Weg voller Geröll, die Wassermassen liefen den Berg runter, schwieriges Gehen. Ich musste immer an die sonnendurchfluteten Bilder im Pilgerführer denken. Das sollte ich so nicht erleben.
Aber so schnell das heftige Wetter kam, so schnell war es dann auch wieder vorbei. Als wir am Pass ankamen, schien die Sonne. Es war zwar noch windig und nicht sehr warm, aber endlich war ein schöner Blick in die Ferne und zu den umgebenden Bergen möglich. Ein freies Durchatmen und Auftanken der Kräfte. Ja, es war sogar irgendwie ein erhebendes Gefühl, den Pass und damit die höchste Stelle der Pilgerreise erreicht zu haben.
Im Tal konnten wir das vermeintliche Ziel, die Pilgerherberge in der Abtei Roncesvalles, sehen. Nun war nur noch die Entscheidung zu treffen: den kürzeren, aber steileren und steinigen Weg (hier war schon Hape Kerkeling gestürzt und hatte sich Blasen geholt!) oder einen kleinen Umweg auf einem befestigten Weg zu nehmen. Wir entschieden uns für die zweite Variante. Die Sonne lachte, und es wurde immer wärmer.
Unterwegs trafen wir auf Stephan, einen Flugbegleiter aus München, und so ergaben sich nette Gespräche. Ich habe ihn auf dem Weg noch zweimal wieder getroffen.
In der Abtei von Roncesvalles trafen sich nun alle Pilger, auch die, die von hier aus starten wollten, und warteten auf die Bettenzuweisung. Auch wenn die Herberge gut ausgestattet war, mir war aber nicht danach, in einem der drei Räume mit insgesamt 184 Schlafplätzen zu nächtigen. Nach der Erfahrung der letzten Nacht wollte ich einfach ein Einzelzimmer. Nachdem Bernd die Örtlichkeiten erkundet hatte, brauchte ich keine langen Überredungskünste: Wir machten uns weitere 3 km auf in den nächsten Ort. Am Ende des Ortes gab es auf der einen Straßenseite ein einfaches, aber geschichtsträchtiges, altes Hotel und auf der anderen Seite eine Pension. Ich wählte das Hotel, Bernd die Pension.
Nach ausgiebigem Duschen und in frischer Wäsche saß ich dann bei Sonnenschein im Garten des Hotels und genoss ein schönes Glas Wein. Die Gedanken waren auf dem Pilgerweg, bei dem Unwetter und dem Leichtsinn, bei diesem Gewitter unterwegs gewesen zu sein. Ich muss hier anmerken, dass wir noch beim Abstieg zwei Hubschrauber hatten kreisen sehen. Später haben wir erfahren, dass eine Frau im Unwetter ums Leben gekommen war.
Gemeinsam nahmen wir dann am Abend das Pilgermenü im Hotel ein. Mir war nicht bewusst, dass nicht nur in den Herbergen, sondern auch in den Hotels und Restaurants am Weg immer ein Pilgermenü angeboten wurde. Oftmals war sogar eine Auswahl an Vor- und Hauptspeisen möglich. Und immer gab es Wasser und Wein dazu.
Die Frage musste geklärt werden, was mit meiner dreckigen, verschwitzten Wäsche passieren sollte, die sich ja schon etwas angesammelt hatte. Ohne lange zu zögern, nahm der Chef die Sachen an sich, und am nächsten Morgen hatte ich, gegen ein gutes Trinkgeld, meine Wäsche sauber und trocken wieder.
Ob ich wohl gut geschlafen habe?
Tag 4 – 27.05.2018
Burguete–Espinal–Zubiri–Larrasoaña
Unterkunft: Albergue San Nicolas
Strecke: 25 km, 400 Höhenmeter, auf und ab, 9 Stdn.
Gemeinsam frühstückten wir im Hotel und auch etwas umfangreicher als am Tag zuvor. Wir waren nicht die einzigen Pilger: Eine spanische Familie war unterwegs, wobei die alten Eltern mit dem Auto die Jüngeren begleitete. Offensichtlich waren die Hotels vorgebucht.
Es sollte ein wirklich schöner Tag werden, die ganze Zeit war uns die Sonne hold.
Gegen 08.00 Uhr starteten wir. Von einer Höhe von 900 m ging es runter auf 500 m, wobei wieder ein Pass von 800 m zu überwinden war. Der Weg führte uns durch wunderschöne Natur, herrliche Laubwälder und beschauliche Gegenden. Um die Passhöhe von Erro zu erreichen, mussten wir zunächst 900 m teilweise sehr steil und steinig bergauf gehen. Es war schon eine kleine Herausforderung, zumal man, wie so oft, das Ende nicht einsehen konnte. Immer der Gedanke: gleich geschafft! Doch dafür dann oben herrliche Ausblicke in die Landschaft.
Aber auch der Abstieg war eine Herausforderung. Zum Teil gab es sehr enge Stellen, viel Geröll und Steine, und es ging sehr steil runter. Ständiges Aufpassen und Gegensteuern erforderten viel Kraft. Dazu kam, dass ich ja auch nicht mehr ganz frisch war nach etwa 20 km Pilgern. Aber es verlief alles gut, keine Beschwerden, keine Blasen.
In dem kleinen niedlichen Ort Zubiri mussten wir dann einfach eine Pause einlegen. Es ging über eine mittelalterliche Brücke Richtung Café. Zubiri heißt auch auf Baskisch „Ort an der Brücke“, wobei diese den Beinamen „Puente de la Rabia“ hat, nämlich Tollwutbrücke. Die Legende erzählt, dass tollwütige Tiere, die dreimal unter der Brücke hindurchgeführt werden, von der Tollwut geheilt werden. Nun, wir sind zweimal oben drübergegangen. Und nach Kaffee und Kuchen ging es uns richtig gut. Wobei mir das erneute Lospilgern irgendwie schwergefallen ist. Die Gelenke müssen immer erst wieder in Schwung kommen.
Dieser Abschnitt des Weges war nicht so schön,