Anna Karenina. Лев Толстой

Anna Karenina - Лев Толстой


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ihr entgegenstreckten, und wandte sich zur Hausfrau:

      »Ich war bei der Gräfin Lydia und wollte schon früher zu Ihnen kommen, habe mich aber dort etwas zu lange aufgehalten. Sir John war bei ihr. Ein sehr interessanter Mann.«

      »Ah, das ist der Missionar?«

      »Ja, er erzählte in fesselnder Weise von dem Leben in Indien.«

      Das Gespräch, das durch Annas Ankunft unterbrochen war, flackerte wieder auf wie die Flamme einer im Zugwinde stehenden Lampe.

      »Sir John! Jawohl, Sir John. Ich habe ihn gesehen. Er spricht sehr gut. Frau Wlasjewna ist ganz verliebt in ihn.«

      »Ist das denn wahr, daß das jüngste Fräulein Wlasjewna Herrn Topow heiratet?«

      »Ja, es heißt, das sei beschlossene Sache.«

      »Ich wundere mich über die Eltern. Es wird gesagt, es sei eine Liebesheirat.«

      »Eine Liebesheirat? Was haben Sie für vorsintflutliche Ideen! Wer spricht heutzutage noch von Liebe?« sagte die Frau des Gesandten.

      »Was ist zu machen? Diese dumme alte Mode will immer noch nicht abkommen«, bemerkte Wronski.

      »Schlimm für die, die sich noch nach dieser Mode richten. Ich kenne nur solche glückliche Ehen, die aus Vernunftgründen geschlossen wurden.«

      »Aber wie oft verweht doch auch das Glück solcher Vernunftehen wie Staub eben deswegen, weil jene Leidenschaft auf den Plan tritt, der man vorher keine Berechtigung zugestehen wollte«, erwiderte Wronski.

      »Aber Vernunftehen nennen wir diejenigen, bei denen schon beide Teile sich ausgetobt haben. Es ist dieselbe Geschichte wie mit dem Scharlachfieber. Man muß es durchgemacht haben.«

      »Dann müßte man ein Verfahren ausfindig machen, jemandem künstlich die Liebe einzuimpfen wie die Pocken.«

      »Ich bin in meiner Jugend in einen Küster verliebt gewesen«, sagte die Fürstin Mjachkaja. »Ich weiß nicht, ob mir das geholfen hat.«

      »Nein, ohne Scherz, ich glaube, um zu wissen, was Liebe ist, muß man sich erst einmal irren und dann den Irrtum richtigstellen«, meinte die Fürstin Betsy.

      »Auch noch nach der Eheschließung?« fragte die Frau des Gesandten scherzhaft.

      »Sich zu bessern, dazu ist es nie zu spät«, zitierte der Diplomat ein englisches Sprichwort.

      »Ja, so ist es«, fiel Betsy ein, »man muß sich zuerst irren und dann den Irrtum berichtigen. Wie denken Sie darüber?« wandte sie sich an Anna, die mit einem kaum wahrnehmbaren, starren Lächeln auf den Lippen dieses Gespräch mit anhörte.

      »Ich denke«, antwortete Anna, mit dem einen ausgezogenen Handschuh spielend, »ich denke ... wie man sagt: wieviel Köpfe, soviel Sinne, so kann man auch sagen: wieviel Herzen, soviel Arten von Liebe.«

      Wronski hatte Anna angesehen und mit Herzbeklemmung gewartet, was sie wohl sagen werde. Als sie diese Antwort gegeben hatte, seufzte er auf wie nach einer überstandenen Gefahr.

      Anna wandte sich plötzlich an ihn:

      »Ich habe einen Brief aus Moskau erhalten. Man schreibt mir, daß Kitty Schtscherbazkaja sehr krank sei.«

      »Wirklich?« erwiderte Wronski stirnrunzelnd.

      Anna sah ihn mit strengem Blicke an.

      »Interessiert Sie das nicht?«

      »O doch, sehr. Was schreibt man Ihnen denn Näheres, wenn ich danach fragen darf?« entgegnete er.

      Anna stand auf und trat zu Betsy hin.

      »Wollen Sie mir eine Tasse Tee geben?« sagte sie, indem sie hinter ihrem Stuhle stehen blieb.

      Während Betsy ihr Tee eingoß, kam Wronski wieder zu Anna heran.

      »Was schreibt man Ihnen denn?« fragte er noch einmal.

      »Ich denke oft, daß die Männer kein Verständnis dafür haben, was unedel ist, obwohl sie soviel davon reden«, sagte Anna, ohne auf seine Frage zu antworten. »Ich wollte Ihnen das schon lange sagen«, fügte sie hinzu; dann ging sie einige Schritte weiter und setzte sich an einen Ecktisch mit Albums.

      »Ich verstehe den Sinn Ihrer Worte nicht ganz«, sagte er, indem er ihr die Tasse dorthin brachte.

      Sie blickte nach dem freien Platze auf dem Sofa neben dem ihrigen, und er setzte sich sogleich hin.

      »Ja, ich wollte Ihnen das sagen«, wiederholte sie, ohne ihn anzusehen. »Sie haben schlecht gehandelt, schlecht, sehr schlecht.«

      »Weiß ich das denn etwa nicht selbst, daß ich schlecht gehandelt habe? Aber wer ist die Ursache, daß ich so gehandelt habe?«

      »Warum sagen Sie mir das?« erwiderte sie und sah ihn mit einem strengen Blicke an.

      »Sie wissen, warum«, antwortete er kühn und freudig, indem er ihrem Blicke begegnete, ohne die Augen niederzuschlagen.

      Nicht er, sondern sie wurde verlegen.

      »Das beweist nur, daß Sie kein Herz haben«, versetzte sie. Aber ihr Blick sagte, daß sie wisse, er habe ein Herz, und daß sie ihn deshalb fürchte.

      »Das, wovon Sie soeben gesprochen haben, war der Irrtum und nicht die Liebe«, sagte Wronski.

      »Sie werden sich erinnern, daß ich Ihnen verboten habe, dieses Wort, dieses häßliche Wort auszusprechen«, versetzte Anna zusammenzuckend; aber im gleichen Augenblicke merkte sie, daß sie schon durch die bloße Verwendung des Ausdruckes »ich habe Ihnen verboten« gezeigt habe, daß sie ein gewisses Recht über ihn für sich in Anspruch nehme, und sie sagte sich, daß sie ihn gerade dadurch dazu ermutige, von seiner Liebe zu reden. »Ich habe Ihnen das schon längst sagen wollen«, fuhr sie fort, während sie ihm entschlossen in die Augen blickte und von einer brennenden Glut über das ganze Gesicht errötete, »und heute bin ich absichtlich hierhergekommen, weil ich wußte, daß ich Sie hier träfe. Ich bin hergekommen, um Ihnen zu sagen, daß dies ein Ende nehmen muß. Ich habe noch nie vor jemand zu erröten brauchen; aber Sie erwecken in mir eine Art von Schuldbewußtsein.«

      Er sah sie an und war überrascht von der neuen seelischen Schönheit ihres Gesichtes.

      »Was verlangen Sie von mir?« fragte er in schlichtem, ernstem Tone.

      »Ich verlange, daß Sie nach Moskau reisen und Kitty um Verzeihung bitten«, antwortete sie.

      »Das verlangen Sie in Wirklichkeit nicht«, erwiderte er.

      Er sah, daß sie etwas gesagt hatte, wozu sie sich selbst erst hatte zwingen müssen und was ihrer wahren Meinung nicht entsprach.

      »Wenn Sie mich lieben, wie Sie ja sagen«, flüsterte sie, »so geben Sie mir meine Ruhe wieder.«

      Sein Gesicht leuchtete auf.

      »Wissen Sie denn nicht, daß Sie für mich das ganze Leben bedeuten? Aber Ruhe kenne ich nicht und kann ich Ihnen nicht geben. Mein ganzes Ich, meine Liebe, – ja. Ich kann mir Sie und mich nicht mehr getrennt denken. Sie und ich sind für mich eines. Und ich sehe in der Zukunft keine Möglichkeit der Ruhe, weder für mich noch für Sie. Ich sehe die Möglichkeit des Unglücks, der Verzweiflung, – und ich sehe die Möglichkeit des Glückes, und welch eines Glückes! – Ist denn etwa dieses Glück nicht möglich?« fügte er nur durch Bewegungen der Lippen hinzu, aber sie glaubte die Worte zu hören.

      Sie strengte alle Kräfte ihres Geistes an, um das zu sagen, was zu sagen ihre Pflicht war; aber statt dies zu tun, richtete sie ihren Blick auf ihn, einen Blick voll Liebe, und antwortete gar nichts.

      ›Da ist es!‹ dachte er voll Jubel. ›In dem Augenblick, da ich schon verzweifelte und alles aussichtslos schien, – nun ist es auf einmal da! Sie liebt mich! Sie gesteht es selbst!‹

      »So tun Sie eines um meinetwillen: Sprechen Sie nie wieder solche Worte zu mir,


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