Tom Jones. Генри Филдинг

Tom Jones - Генри Филдинг


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einer Kunst oder Wissenschaft ohne allen Grund dogmatische Regeln festzusetzen. In solchen Fällen sind wir also geneigt, zu schließen, daß dennoch wohl gute und triftige Ursachen vorhanden sein mögen, ob wir gleich unglücklicherweise nicht fähig sind, so tief zu sehen.

      Nun hat wirklich die Welt den Kunstrichtern ein zu großes Kompliment gemacht und hat sie für Männer von weit gründlicherer Gelehrsamkeit geachtet, als sie eigentlich sind. Durch diese nachgebende Gefälligkeit sind die Kritiker so kühn geworden, sich eine diktatorische Gewalt anzumaßen, und es ist ihnen so weit gelungen, daß sie jetzt Herren und Meister geworden sind und die Dreistigkeit besitzen, eben den Autoren Gesetze vorzuschreiben, von deren Vorgängern sie solche ursprünglich empfangen haben.

      Der Kunstrichter, aus dem wahren Standpunkt betrachtet, ist weiter nichts als ein Protokollist, dessen Amt darin besteht, die Regeln und Gesetze abzuschreiben, welche von jenen hohen Richtern gegeben worden, deren große Kraft des Genies sie zu dem Ansehen von Gesetzgebern in den verschiedenen Künsten und Wissenschaften, denen sie vorstehen, erhoben hat. Dieses Amt war alles, wornach die Kunstrichter unter den Alten trachteten, und niemals wagten sie es, mit einem Ausspruch hervorzutreten, ohne ihn mit der Autorität des Richters, von dem er entliehen war, zu unterstützen.

      Im Fortgange der Zeit aber und in den finstern Jahrhunderten der Unwissenheit, begann der Protokollist, sich die Macht und die Würde seines Vorgesetzten anzumaßen. Die Gesetze der Schriftsteller waren nicht länger auf die Gebräuche der Autoren gegründet, sondern auf die Vorschriften der Kritiker. Der Gerichtsschreiber ward Legislator, und nun gaben solche Menschen aus eigener Macht und Gewalt Gesetze und Vorschriften, deren Geschäft anfangs in nichts anderem bestand, als sie auf- und abzuschreiben.

      Hieraus entstand ein auffallender und vielleicht unvermeidlicher Irrtum: denn da diese Kritiker Männer von sehr flachen Fähigkeiten waren, so verwechselten sie sehr leicht die bloße Form mit der Wesenheit der Sache. Sie handelten so, wie ein Richter thun würde, der sich an den toten Buchstaben der Gesetze hielte und den lebendigen Geist verwürfe. Kleine Umstände, welche bei einem großen Autor vielleicht bloß zufällig waren, wurden von diesen Kritikern als Dinge betrachtet, die sein Hauptverdienst ausmachten, und von ihnen allen seinen Nachfolgern als wesentliche Erfordernisse vorgeschrieben. Diesen dreisten Anmaßungen gaben Zeit und Unwissenheit, die beiden großen Säulen aller Täuschung, I et B, von deren etwas beschädigtem Symbol es noch jetzt heißt: adhuc stat, eine gewisse Sanktion; und solchergestalt sind manche Regeln für die echte Schriftstellerei aufgekommen, welche nicht den geringsten Grund in der Wahrheit und Natur haben und welche gemeiniglich zu weiter nichts dienen, als das Genie einzuschnüren und zu fesseln. Ebenso wie es dem Tanzmeister ergangen sein würde, wenn es die verschiedenen vortrefflichen Abhandlungen über diese Kunst als eine wesentliche Regel festgesetzt hätten, daß jedermann in Fesseln geschlossen tanzen müsse.

      Um also die Anschuldigung zu vermeiden, als hätten wir eine Regel für die Nachkommenschaft festgesetzt, die sich bloß auf das Ansehen eines ipse dixit gründe, für welches wir die Wahrheit zu sagen eben nicht die tiefste Ehrerbietung hegen: so wollen wir uns hier des Vorrechts entäußern, für welches wir oben gerungen haben, und dazu schreiten, dem Leser die Gründe vorzulegen, welche uns bewogen haben, die verschiedenen Bei- und Nebenversuche in den Fortgang dieses Werkes einzuweben.

      Und hier wird uns die Notwendigkeit dahin bringen, eine neue Bergader der Wissenschaften einzuschlagen, welche, wenn sie auch bereits entdeckt worden, doch bis jetzt, so viel wir uns erinnern, von keinem, weder alten noch neuern Schriftsteller zur Gewerkschaft gebracht worden ist. Diese Ader oder Flötze ist keine andere, als die Schichte von Kontrast, welche unter allen Werken der Schöpfung hindurchstreicht und wahrscheinlicherweise viel dazu beitragen mag, unsre Begriffe von allem, was Schönheit heißt, sowohl in den Werken der Natur als der Kunst, näher zu bestimmen: denn, was gibt wohl eine anschaulichere Erkenntnis vom Schönen und Vortrefflichen, als eben ihr Gegensatz? Daher wird die Schönheit des Tages und die Schönheit des Sommers durch das Grausen der Nacht und des Winters gehoben. Und ich glaube, wenn es möglich wäre, daß ein Mensch nur die beiden ersten gesehen hätte, er nur einen sehr unvollkommenen Begriff von ihrer Schönheit haben würde. Doch, um ein gar zu ernsthaftes Ansehen zu vermeiden, kann man zweifeln, daß das schönste Frauenzimmer von der Welt alle Vorteile ihrer Reize in den Augen eines Mannes verlieren würde, der niemals ein Frauenzimmer von schlechterem Schlage gesehen hätte? Dies scheinen auch die Damen selbst so richtig zu fühlen, daß sie sehr geschäftig sind, ihren Reizen allerlei Arten von Folie unterzulegen; ja, sie machen sich zuweilen selbst zu ihrer eignen Folie; denn ich habe bemerkt (besonders bei Gesundbrunnen und Bädern), daß sie sich alle Mühe geben, des Vormittags so häßlich als möglich zu erscheinen, um die Schönheit, welche sie des Abends der Gesellschaft zu zeigen willens sind, desto mehr herauszuheben.

      Die meisten Künstler wenden dies Geheimnis bei ihren Werken an, ob sie gleich die Theorie davon nicht alle sonderlich studiert haben mögen. Der Juwelier weiß, daß der feinste Brillant eine Folie verlangt, und der Maler erwirbt sich oft durch Kontrastierung seiner Figuren einen großen Beifall. Ein unter uns lebendes großes Genie wird diese Sache in ihr völliges Licht setzen. Ich kann diesem Manne freilich in keiner Klasse von gewöhnlichen Artisten seinen Rang anweisen, weil er ein Recht hat, einen Platz unter jenen zu behaupten, d.i.:

       Inventas qui vitam excoluere per artes.

      Welche durch erfundene Künste das Leben verschönern.

      Ich meine hier den Erfinder der höchstvortrefflichen Belustigung, genannt: Nikolinische Pantomimen.

      Dieses Schau- und Lustspiel besteht aus zwei Teilen, welche der Erfinder durch die Benennung Serioso und Comico unterscheidet. Der Serioso, oder Ernsthafte, brachte eine gewisse Anzahl von heidnischen Göttern und Helden auf den Schauplatz, welche die elendeste und langweiligste Gesellschaft ausmachten, in welche nur jemals ein Auditorium versetzt worden ist und (aber das war ein Geheimnis, um welches nur wenige wußten) ausdrücklich dazu bestimmt war, die Particomica, oder den komischen Teil des Lustspiels, zu kontrastieren und die lustigen Streiche des Harlekins um so willkommener zu machen.

      Dies hieß nun vielleicht mit so hohen Personagen nicht gar zu höflich umgehen. Aber der Kunstgriff war indessen doch schlau genug ersonnen und that seine Wirkung. Und dies wird noch deutlicher erhellen, wenn wir, anstatt ernsthaft und komisch die Worte langweilig und langweilig setzen: denn, das Komische war gewiß langweiliger als alles, was man bisher auf dem Theater gesehen hatte, und konnte nur von dem übermäßigen Grade von Langeweile, welcher durch das Ernsthafte herrschte, in etwas beleuchtet werden. So unerträglich ernsthaft waren in der That diese Götter und Helden, daß Arlechino (obgleich der deutsche Herr von etwas ähnlicher Tracht und etwas ähnlicherem Zauberschwerte keineswegs mit der italienischen oder französischen Familie verwandt ist, denn er führt mehr Ruhe und Stätigkeit in seinem Temperamente) auf der Bühne allemal willkommen war, weil er das Auditorium von noch schlechterer Gesellschaft erlöste.

      Einsichtsvolle Schriftsteller haben sich beständig dieser Kunst des Kontrapostierens mit großem Erfolge bedient. Es hat mich gewundert, daß Horaz über diese Kunst beim Homer sein Mißfallen bezeigt. Doch in der That widerspricht er sich selbst gleich in der nächsten Zeile:

       Indignor, quandoque bonus dormitat Homerus;

       Verum operi longo fas est obrepere somnum.

      Leid ist mir's, doch der treffliche Homer

      Nickt auch zuweilen; aber, daß der Schlaf

      Bei solchem langen Werk uns überschleiche,

      Ist in der Ordnung –

      Denn wir müssen das hier nicht so verstehen, wie es vielleicht einige verstanden haben, daß ein Autor wirklich einschlafe, derweil er sein Werk schreibt. Den Leser kann freilich so etwas leicht überfallen; wäre aber das Werk so lang, als irgend die längste Postille, so ist der Autor doch dabei viel zu behaglich beschäftigt, als daß ihn die geringste Schläfrigkeit anwandeln sollte. Er ist nach Popens Bemerkung

       Sleepless himself to give his readers


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