Tom Jones. Генри Филдинг
der nunmehr in die Mitte des Kämmerleins gekommen war, woselbst er allein aufrecht stehen konnte, sah Jones mit einer sehr ernsthaften Miene ins Gesicht und sagte zu ihm: »Recht gut, junger Herr! Ich sehe, Sie kitzeln sich mächtig mit dieser Entdeckung und haben, wie ich wohl schwören will, eine innige Freude über den Gedanken, daß Sie mich dem Gelächter preisgeben können; wenn Sie aber die Sache ganz unbefangen betrachten wollen, so werden Sie finden, daß nur Sie allein zu tadeln sind. Mich trifft der Vorwurf nicht, daß ich die Unschuld verführt habe. Ich habe nichts gethan, weswegen mich der Teil der Welt verdammen kann, welcher die Sache nach der wahren Regel des Rechts beurteilt. Die ewige Harmonie hängt ab von der Natur der Dinge und nicht von Gewohnheit und Gebrauch, Formalitäten oder Polizeigesetzen. Nichts ist im Grunde dieser Harmonie zuwider als das, was unnatürlich ist.« – »Gründlich philosophiert, alter Herr!« antwortete Jones. »Aber warum denkt der Herr, ich sollte wünschen, ihn dem Gelächter preiszugeben? Verlass' sich der Herr d'rauf, daß er mir in meinem Leben nicht besser gefallen hat; und der Herr müßte selbst Lust haben, die Sache bekannt zu machen, sonst soll sie meinetwegen ein ewiges Geheimnis bleiben.«
»Nun wohl, lieber Herr Jones,« erwiderte Quadrat, »ich möchte auch eben nicht für den Mann gehalten werden, der sich aus einem guten Leumund gar nichts machte. Ein guter Ruf ist eine Art von Talon und ist keineswegs zu vernachlässigen. Ueberdem ist es ein gehässiges Laster und eine Art von Selbstmord, wenn man seinen eigenen guten Ruf vernichtet. Wenn Sie also für gut finden, diese meine Schwachheit zu verbergen, (denn Schwachheiten kann ich haben, weil ja kein Mensch ganz vollkommen ist) so versprech' ich Ihnen, daß ich selbst mich nicht verraten will. Man kann nach der Regel des Rechts ganz wohl Dinge thun, womit man sich nach der Regel des Rechts nicht brüsten muß, denn nach dem verkehrten Urteile der Welt wird das oft ein Gegenstand des Tadels, was der Wahrheit nach nicht nur unschuldig, sondern sogar löblich ist.« – »Recht, recht!« rief Jones, »was kann unschuldiger sein, als seine natürlichen Begierden befriedigen? Oder was löblicher, als die Vermehrung des menschlichen Geschlechts?« – »Ganz ernsthaft mit Ihnen zu sprechen,« antwortete Quadrat, »versichere ich Ihnen, daß es mir immer und allemal so geschienen hat.« – »Unterdessen doch,« sagte Jones, »waren Sie andrer Meinung, als meine Geschichte mit diesem Mädchen bekannt wurde.« – »Nun ja, ich muß bekennen,« sagte Quadrat, »wie mir die Sache dazumal verkehrt vorgestellt wurde von dem Pfaffen Schwöger, so konnt' ich wohl das Verführen der Unschuld verdammen: das war's, guter Jones, ja ja, das war's! und – dann lieber Jones, das müssen Sie ja wissen, daß in der Betrachtung, der Regel des Rechts oder Unrechts sehr kleine Umstände, lieber Jones, einen großen Unterschied machen.« – »Gut!« sagte Jones, »sei dem wie ihm wolle! Ihr eigener Fehler soll es sein, wie ich Ihnen versprochen habe, wenn Sie von diesem Abenteuer wieder ein einziges Wort hören. Betragen Sie sich nur gütig und freundschaftlich gegen das Mädchen, so will ich über die Sache gegen keinen Menschen meine Lippen aufthun. Und du, Molly, sei deinem Freunde getreu, so will ich nicht nur dir deine Untreue gegen mich verzeihen, sondern dir alle Dienste erweisen, die mir nur möglich sind.« Mit diesen Worten nahm er eiligst seinen Abschied, schlüpfte die Leiter hinunter und ging mit aller Behendigkeit von dannen.
Quadrat war herzlich erfreut, zu finden, daß dieses Abenteuer allem Ansehen nach keine schlimmeren Folgen haben würde; und Molly, nachdem sie sich von ihrer Verwirrung erholt hatte, begann anfangs damit, dem Philosophen Vorwürfe zu machen, wie er schuld sei, daß sie ihren geliebten Jones verliere. Der philosophische Quadrat aber fand bald Mittel, ihren Zorn zu mildern, teils durch zärtliche Liebkosungen, teils durch ein kleines alchimistisches Mittel aus seinem Säckel, von wunderthätiger und erprobter Wirkung, und besser als Plummenäcks berühmtes Astralpulver, die Lebensgeister von der Finsternis zu entbinden und in ihr ursprüngliches und heiteres Licht zu versetzen.
Hierauf floß sie über in reichlichen Strömen von Zärtlichkeit gegen ihren neuen Geliebten, kehrte alles was sie zu Jones gesagt hatte und Jones selbst obendrein ins Lächerliche und beteuerte, ob jener gleich den Besitz ihrer Person gehabt hätte, wäre doch niemand als Quadrat der wahre Besitzer ihres Herzens gewesen.
Sechstes Kapitel.
Welches, wenn es der Leser mit dem vorigen vergleicht, vielleicht einige Irrtümlichkeiten heben kann, deren er sich bis dahin bei Anwendung des Wortes Liebe vielleicht hat zu Schulden kommen lassen.
Mollys Untreue, welche Jones jetzt entdeckte, möchte vielleicht einen weit größeren Grad von Empfindlichkeit entschuldigt haben, als er bei der Gelegenheit zeigte; und hätte er sie von diesem Augenblick an völlig verlassen, so würden ihn, glaube ich, nur wenig Menschen getadelt haben.
Er jedoch betrachtete sie als eine Person, die Mitleiden verdiene; und obgleich seine Liebe zu ihr nicht von einer solchen Art war, daß er sich über ihren Verlust so gar heftig beunruhigen konnte, so quälte es ihn doch nicht wenig, wenn er bedachte, daß er es doch ursprünglich selbst gewesen, der ihre Unschuld verführt hatte; denn dieser ersten Verführung rechnete er alle die Laster zu, in welche sie sich nun stürzen zu wollen schien.
Diese Betrachtung machte ihm nicht wenigen Kummer, bis Betty, die ältere Schwester, einige Zeit nachher so liebreich war, ihn durch einen Wink völlig zu heilen. Sie erzählte ihm nämlich, daß ein gewisser Wilhelm Barnes und nicht er der erste Verführer ihrer Schwester Molly gewesen sei, und daß das kleine Kind, das er bisher so gewiß für sein eigenes gehalten hätte, nach aller Wahrscheinlichkeit wenigstens ebensogut berechtigt sein möchte, diesen Barnes Vater zu nennen.
Sobald Jones auf diese Spur gebracht war, verfolgte er sie begierig und war in sehr kurzer Zeit hinlänglich überzeugt, daß das Mädchen ihm die Wahrheit gesagt hatte, nicht bloß aus dem Geständnisse des Kerls, sondern aus Mollys selbsteigenem Geständnis.
Dieser Wilhelm Barnes war ein Weiberheld fürs Kirchspiel und hatte in seiner Art ebensoviele Siegeszeichen aufzuweisen als irgend ein Fähndrich oder sonstiges Kraftgenie in den Städten und Garnisonen. Er hatte wirklich verschiedene Frauenspersonen bereits bis zur äußersten Liederlichkeit heruntergebracht; einige gingen seinetwegen in welker Verschmachtung umher, und auch die Ehre hatte er gehabt, daß er den gewaltsamen Tod eines armen Mädchens auf dem Gewissen hatte, die sich ersäuft, oder, was weit wahrscheinlicher war, die er selbst ins Wasser gestürzt hatte.
Unter andern Eroberungen solcher Art hatte dieser Kerl auch über das Herz der Betty Seegrim gesiegt. Seinen Liebeshandel hatte er lange vorher schon mit ihr getrieben, bevor Molly noch ein tüchtiger Gegenstand zu solchem Zeitvertreibe geworden war. Nachher aber hatte er sie aufgegeben und sich an ihre Schwester gemacht, bei der es ihm auch fast augenblicklich geglückt war. Nun hatte Wilhelm wirklich allein den Besitz ihrer Neigung, währenddessen Jones und Quadrat, beide fast gleich gut, nur ihrem Eigennutze und ihrem Hochmut zu Opfern dienten.
Hieraus war der unversöhnliche Haß entstanden, welchen wir vorhin in Bettys Gemüt wüten sahen, ob wir es gleich nicht eher für nötig hielten, die Ursache davon anzugeben, weil der Neid allein schon alle Wirkungen hervorbringen konnte, deren wir erwähnten.
Jones war durch den Besitz dieses Geheimnisses, in dem was Molly betraf, völlig beruhigt; in Ansehung Sophiens aber war er von diesem Gemütszustande weit entfernt. Vielmehr ward er von dem heftigsten Kummer gequält. Sein Herz war jetzt, wenn ich die Metapher brauchen mag, völlig geräumt, und Sophie nahm davon unbestrittenen Besitz. Er liebte sie mit unbegrenzter Leidenschaft und sah ganz deutlich die zärtlichen Empfindungen, welche sie für ihn hegte. Dennoch konnte diese Vergewisserung weder seine Verzweiflung über den Punkt der unfehlbaren Weigerung ihres Vaters, noch das Grausen mindern, welches ihn überfiel, wenn er an irgend ein niederträchtiges oder verräterisches Mittel sie sich anzueignen dachte.
Die Beleidigung, die er dadurch dem guten Junker Western zufügen würde, und der Kummer, der daraus dem würdigsten Herrn Alwerth erwachsen müßte, waren die Vorstellungen, welche ihn den Tag hindurch quälten und ihn des Nachts auf seinem Kopfkissen ängstigten. Sein Leben war ein beständiges Ringen zwischen Ehre und Liebe, welche wechselsweise über einander in seiner Seele siegten. Er entschloß sich oft, in Sophiens Abwesenheit ihres Vaters Haus zu verlassen und sie nicht wieder zu sehen, und eben so oft vergaß er in ihrer Gegenwart alle solche Entschließungen und nahm sich dann dagegen vor, sein Leben und alles was ihm noch teurer als dies war