Finnische Träume - Teil 3 | Roman. Joona Lund
zu Jan gewesen. Und nun diese Unbeherrschtheit gerade ihm gegenüber, das ärgerte sie erst recht, das war das Letzte, was sie beabsichtigte. In ihrem Kopf herrschte ein derartiges Chaos, dass sie sich aufs Fahrrad setzte und durch die Gegend sauste oder lange Strecken lief, anschließend abwechselnd heiß und kalt duschte, um sich zu beruhigen.
Sie, die sich nur im Notfall an Regeln hielt und jeden Freiraum auszureizen suchte, hatte sich seiner Gedankenwelt angepasst.
Fantasien, die er aus seinen Träumen weitersponn, zeigten sie in Situationen, die mit der Wirklichkeit nur in wenigen Details übereinstimmten. Die bunt gefärbten Luftschlösser setzten sich im Gedächtnis fest, tauchten mit penetranter Hartnäckigkeit zu den unpassendsten Gelegenheiten auf. Hatte er eine Erzählung abgebrochen, weil sie ihr zu weit ging, gab sie einen Tag später keine Ruhe, bis er sie zu Ende brachte. Hatte sie anfangs ihr Spiel als harmlose Idee eines verrückten Jungen betrachtet, der anders als die Klassenkameraden keine Freundin hatte, merkte sie doch bald, dass weit mehr dahintersteckte.
Je öfter sie seinen Träumen, Andeutungen und erfundenen Geschichten zuhörte, desto mehr festigte sich die Überzeugung, seine Welt behagte ihr unvergleichlich besser als jene, von der ihre Freundinnen schwärmten, einer im Vergleich derben und oberflächlichen. Gelegentlich auftauchende Bedenken ignorierte sie, die ihnen gehörende Welt sollte nicht gestört werden. Zuerst hatte sie seine Anziehungskraft irritiert, wollte sich nicht vereinnahmen lassen, doch unabhängig vom Willen nahm ihre Bereitschaft immer mehr zu, sich seinem Einfluss auszusetzen. Manchmal fühlte sie sich durch die wachsende Abhängigkeit so schwach, dass sie am liebsten ihren Kopf, der sich abwechselnd heiß und kalt anfühlte, an seine Brust geschmiegt hätte. Sie ließ sich in dieses Gefühl fallen, auch wenn sie sich mitunter spröde gab und ihn ärgerte, aber das machte sie mehr, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Es war ein Gefühl, das sie beschwingt werden ließ, sie glaubte manchmal, nur die Arme ausbreiten zu müssen, um fliegen zu können. Und nun fand sie nichts mehr dabei, ihn spüren zu lassen, dass sie gern mit ihm zusammen war, in ihm mehr sah als den großen Bruder, der sie beschützte. Seine Blicke und Gesten zeigten ihr, dass es ihm ähnlich erging, aber sie sprach nicht darüber, aus Angst, ihm könnte das Gefühl zu massiv erscheinen oder seines könnte schwächer sein. Zwischen ihnen herrschte ein stilles Einverständnis, über ihre die Zukunft betreffenden Hoffnungen und Ängste nicht zu reden.
Inku machte sich keine Gedanken, ob sie Tabus verletzten, verdrängte, je tiefer sie sich in dem regelwidrigen Verhältnis verstrickte, alle Zweifel. Tauchten trotzdem einmal welche auf, sagte sie sich, Jan würde schon wissen, was richtig war. Sie lernte schnell und begann, das Spiel mit ihren Einfällen zu bereichern – und sie hatte viel Fantasie. Da sie noch zu unerfahren war, um die Empfindungen und Reaktionen, die auf sie einströmten, mit der Gefühlswelt in Einklang zu bringen, blieben stimmungsmäßige Rückschläge nicht aus. Von einer Minute zur anderen wechselte sie von überschäumender Heiterkeit zur Melancholie oder zu übersteigerter Gereiztheit ihm gegenüber. Natürlich wusste sie, dass er ihre angespannte Gefühlslage verursacht hatte, doch ihre Launen hielten nie lange an. Kleine Aufmerksamkeiten, die sie ihm zukommen ließ, sollten ihn dafür entschädigen, dass er ihre Wutausbrüche so gelassen hingenommen hatte. Noch zögerte sie, ihre Gefühle zu offenbaren, konnte sie selbst noch nicht einschätzen.
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