Der große Gatsby. F. Scott Fitzgerald

Der große Gatsby - F. Scott Fitzgerald


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eine Seite umwandte, glitt das Licht darüber hin.

      Als wir eintraten, gebot sie uns mit erhobener Hand einen Augenblick Stille.

      »Fortsetzung in der nächsten Nummer«, sagte sie dann und warf die Zeitschrift auf den Tisch.

      Ihr Körper brachte sich mit einer nervösen Bewegung der Knie zur Geltung; sie stand auf.

      »Zehn Uhr«, bemerkte sie mit einem Augenaufschlag zur Decke; offenbar hatte sie dort die Zeit abgelesen. »Höchste Zeit! Das brave Kind muß ins Bett.«

      »Jordan muß morgen Turnier spielen«, erläuterte Daisy, »drüben in Westchester.«

      »Oh, Sie sind Jordan Baker.«

      Ich wußte auf einmal, woher mir ihr Gesicht vertraut war. Es hatte mich mit seinem reizend hochmütigen Ausdruck aus vielen Zeitungsfotos von sportlichen Ereignissen in Asheville, Hot Springs und Palm Beach angeblickt. Mir war auch irgend etwas über sie zu Ohren gekommen, eine unerfreuliche Klatschgeschichte, die ich längst wieder vergessen hatte.

      »Gute Nacht«, sagte sie sanft. »Weckt mich bitte um acht, ja?«

      »Wenn du auch wirklich aufstehst?«

      »Das will ich. Gute Nacht, Mr. Carraway. Ich sehe Sie wohl bald wieder.«

      »Natürlich«, versicherte Daisy. »Im Ernst, wie wär’s? Ich werde eine Ehe stiften. Komm oft herüber, Nick, dann will ich euch schon – oh – zusammenschubsen. Ihr wißt ja – zufällig im Leinenschrank eingeschlossen und dann im Boot auf dem Wasser ausgesetzt und ähnliche Scherze –«

      »Gute Nacht«, rief Miss Baker von der Treppe. »Ich will nichts gehört haben.«

      »Eine entzückende Person«, sagte Tom nach kurzer Pause.

      »Die sollten nur besser aufpassen, daß sie nicht so herumvagabundiert.«

      »Wer?« fragte Daisy kühl.

      »Nun, ihre Familie.«

      »Ihre Familie besteht aus einer einzigen tausendjährigen Tante. Außerdem wird Nick sich um sie kümmern, nicht wahr, Nick? Sie wird diesen Sommer oft übers Wochenende hier sein. Der häusliche Einfluß wird ihr guttun.«

      Daisy und Tom tauschten einen kurzen Blick. »Ist sie aus New York?« fragte ich rasch. »Aus Louisville. Dort verbrachten wir unsere Jungmädchenzeit, unsere herrliche Jung –« »Hast du Nick dein Herz ausgeschüttet auf der Veranda?« fragte Tom plötzlich.

      »Hab ich?« Sie sah mich an. »Kann mich nicht mehr besinnen, aber ich glaube, wir sprachen über die nordische Rasse. Ja, jetzt weiß ich wieder. Das Thema ließ uns keine Ruhe und –«

      »Glaub ja nicht alles, was du hier hörst, Nick«, riet Tom. Ich sagte leichthin, ich hätte überhaupt nichts Besonderes gehört, und nach ein paar Minuten erhob ich mich und brach auf. Sie geleiteten mich hinaus und standen dann Seite an Seite in dem hell erleuchteten Rechteck des Türrahmens. Als ich meinen Motor anlaufen ließ, rief Daisy kategorisch:

      »Warte noch!

      Ich hab ganz vergessen, dich etwas Wichtiges zu fragen. Wir haben gehört, du sollst verlobt sein, mit einem Mädchen drüben im Westen.«

      »Richtig«, bestätigte Tom wohlwollend, »wir hörten, du seist verlobt.«

      »Verleumdung. Dazu habe ich entschieden kein Geld.« »Wir hörten es aber«, beharrte Daisy und blühte überraschend noch einmal auf. »Drei Leute haben es uns erzählt, also muß etwas daran sein.«

      Natürlich wußte ich, worauf sie anspielten, aber ich war nicht im entferntesten verlobt. Tatsächlich hatte der Klatsch schon von einem Aufgebot wissen wollen, und das war einer der Gründe, weshalb ich mich in den Osten davongemacht hatte. Wenn eine Freundschaft zu lange dauert, kommt man unweigerlich mit ihr ins Gerede, und ich hatte keine Lust, mich durch die Leute in eine Ehe bugsieren zu lassen.

      Dennoch rührte mich die Anteilnahme der beiden; sie waren in diesem Augenblick nicht mehr so unnahbar reich. Nichtsdestoweniger war ich irritiert und ein wenig verstimmt, als ich abfuhr. Für Daisy schien mir das einzig Richtige, auf und davon zu gehen – Kind im Arm. Doch offenbar hatte sie nichts Derartiges im Sinn. Was Tom betraf, so war die Tatsache, daß er da ›so eine Frau in New York‹ hatte, weit weniger überraschend, als daß er sich durch eine Lektüre deprimieren ließ. Irgend etwas mußte ihn dahin gebracht haben, daß er auf einmal an abgestandenen wissenschaftlichen Theorien knabberte. Seine handfeste physische Selbstsicherheit schien seinem störrischen Wesen nicht mehr zu genügen.

      Es war nun schon richtig Sommer. Die Wärme legte sich auf die Hausdächer, und vor den Garagen an der Landstraße standen neue rotgestrichene Gasolinpumpen in strahlender Helle. Als ich bei meinem Besitztum in West Egg anlangte, fuhr ich den Wagen in den Schuppen und saß noch ein Weilchen auf einem Rasenmäher, den irgend jemand stehengelassen hatte. Der Wind war ganz abgeflaut. Man hörte jetzt die Geräusche der hellen Sommernacht, das Flügelschlagen im Gezweig und den anhaltenden Orgelton der Frösche, als blase die Erde selbst mit tiefem Dröhnen ihnen neues Leben ein. Die Silhouette einer Katze geisterte im Mondschein, und als ich den Kopf wandte, um sie zu beobachten, bemerkte ich, daß ich nicht allein war. Zwanzig Meter entfernt war eine Gestalt aus dem Schatten des Nachbarhauses aufgetaucht und stand, Hände in den Taschen, in die Betrachtung des silbern gesprenkelten Sternenhimmels versunken. Etwas Lässiges in seiner Haltung und die Selbstgewißheit, mit der er da auf dem Rasen stand, ließ mich erkennen, daß es Mr. Gatsby selbst sei. Wahrscheinlich wollte er seinen Besitzanteil an dem Stück Himmel über uns feststellen.

      Ich entschloß mich, ihn anzusprechen. Miss Baker hatte ihn bei Tisch erwähnt; das würde als Anknüpfung genügen. Aber ich ließ es; denn er gab plötzlich zu erkennen, daß er mit sich allein sein wolle – er streckte mit einer sonderbaren Geste die Arme gegen das dunkle Wasser aus, und ich hätte trotz der Entfernung schwören können, daß er dabei zitterte. Unwillkürlich blickte auch ich auf die See hinaus. Ich konnte nichts Bestimmtes ausmachen, nur in der Ferne ganz winzig ein einsames grünes Licht, das wohl das Ende eines Landestegs sein konnte. Als ich dann mit meinen Blicken wieder Mr. Gatsby suchte, war er verschwunden, und mich umgab nur noch die gespenstische unruhige Dunkelheit der Nacht.

       II

      Etwa auf halbem Wege zwischen West Egg und New York vereinigt sich die Autostraße mit der Eisenbahn und läuft einen halben Kilometer neben ihr her, als habe sie es eilig, von einem gewissen trostlosen Revier fortzukommen. Es ist ein Tal ganz aus Asche – eine phantastische Farm, wo Asche wächst wie Weizen, Asche sich zu Hügeln und Graten türmt und als grotesker Garten wuchert, Asche die Form von Häusern und Kaminen annimmt und als Rauch emporsteigt, ja Asche, in einem Anlauf zur Transzendenz, sich in die Gestalten aschgrauer Männer verwandelt, die sich schattenhaft und selbst schon zerbröckelnd durch den Dunst bewegen. Von Zeit zu Zeit kriecht eine Schlange grauer Wägelchen auf unsichtbarer Spur dahin und kommt mit einem kreischenden Schreckenslaut zum Stillstand. Dann fällt der Schwarm aschgrauer Männer über sie her und wirbelt mit schweren Schaufeln eine undurchdringliche Staubwolke empor, die diese düstere Emsigkeit wieder gnädig vor unseren Blicken verhüllt.

      Über dieser aschgrauen Landschaft und den endlos über sie hinziehenden schwarzen Rauchschwaden entdeckt man nach einiger Zeit die Augen von Doktor T. J. Eckleburg. Die Augen von Doktor T. J. Eckleburg sind blau und riesengroß – allein ihre Pupillen haben einen Meter im Durchmesser. Sie blicken nicht aus einem Gesicht, sondern durch eine riesige gelbe Brille, die auf einer gar nicht vorhandenen Nase sitzt. Offenbar hat irgendein verrückter Augendoktor sie dort aufgepflanzt, um seiner Praxis in Queens Auftrieb zu geben. Vielleicht ist er selbst längst in die ewige Blindheit eingegangen oder hat das Aushängeschild vergessen und ist fortgezogen. Die Augen jedoch, deren Anstrich lange nicht erneuert wurde und die von Sonne und Regen etwas verblaßt sind, brüten nach wie vor über der feierlichen Düsternis dieser Schutthalde.

      Das Aschental wird auf einer Seite von einem trüben Flüßchen begrenzt. Wenn die Brücke aufgezogen ist, um Lastkähne durchzulassen, haben die Fahrgäste im wartenden Zug Gelegenheit, wohl eine


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