Sophienlust 305 – Familienroman. Bettina Clausen

Sophienlust 305 – Familienroman - Bettina Clausen


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zu fassen«, murmelte Andrea. »Das grenzt ja fast an ein Wunder.« Sie beugte sich zu Xanti herab.

      Neugierig beschnupperte der Hund ihre Hände. Seine Lebensgeister waren wieder erwacht. Daran konnte kein Zweifel bestehen.

      Janosch strahlte über das ganze Gesicht – genau wie ein großer Wissenschaftler nach einem geglückten Experiment.

      »Gratuliere«, sagte Andrea und drückte Janosch herzlich die Hand. Das war für ihn der allerschönste Lohn. Wenn Andrea ihn bewunderte, fühlte er sich wie ein König. Denn er verehrte die junge Frau des Herrn Doktor sehr.

      »Ich kann es noch gar nicht glauben«, sagte Andrea. »Jetzt muss ich schnell zurück, um meinem Mann in der Praxis zu helfen. Aber ich komme heute Nachmittag wieder.«

      Als sie bei Hans-Joachim eintrat, behandelte er gerade eine junge Boxerhündin, die sich einen winzigen Nagel in die Pfote getreten hatte.

      Andrea wartete, bis der vierbeinige Patient mit seinem Frauchen verschwunden war. »Du wirst es nicht glauben«, sagte sie dann zu ihrem Mann.

      Fragend schaute er auf. »Was meinst du?«

      »Dass es Xanti bessergeht.«

      »Nein!« Ungläubig schaute der Tierarzt seine Frau an.

      »Du kannst es mir ruhig glauben. Ich habe mich selbst davon überzeugt. Jetzt eben.«

      »Du meinst, Xantis Zustand hat sich seit gestern wesentlich verbessert?«, fragte Hans-Joachim. Er konnte es noch immer nicht fassen.

      »Nicht wesentlich. Aber es geht ihr besser. Sie ist nicht mehr so apathisch. Sie hat sogar den Kopf gehoben und mich beschnuppert. Ich weiß, das klingt nicht überwältigend«, gab sie zu.

      Doch schließlich war Hans-Joachim Tierarzt. Er wusste, wie viel es zu bedeuten hatte, wenn ein Tier wieder Interesse an seiner Umwelt zeigte. »Ich glaube, dass wir den alten Janosch und seine Kräutermixtur ganz gewaltig unterschätzt haben.«

      »Wir?«, fragte Andrea. »Du hast ihn unterschätzt. Ich habe von Anfang an an die Wirkung seiner Kräuter geglaubt.«

      Hans-Joachim musste lachen. »Du stellst dich doch immer auf die Seite des Erfolgs.« Er musterte seine Frau prüfend. »Du warst gestern genauso skeptisch wie ich, mein Liebling.«

      »Das ist eine Verleumdung«, widersprach sie ihm eigensinnig. »Ich war zwar skeptisch, aber noch lange nicht so wie du. Ich habe an Janosch geglaubt.«

      Als Hans-Joachim am Nachmittag zu Janosch kam, versuchte Xanti schon, sich zu erheben. Es gelang ihr jedoch noch nicht. Sie knickte immer wieder ein, aber sie probierte es eifrig weiter.

      Janosch war mächtig stolz auf den Dackel. Und Hans-Joachim beglückwünschte Janosch zu seinem Erfolg. Er war fair und gab zu, dass Janosch in diesem Fall der Erfolgreichere war.

      Am nächsten Tag lief Xanti schon in der Stube herum. Sie ging sogar schon allein hinaus und suchte einen Baum auf. Janosch musste sie nicht mehr tragen.

      Am übernächsten Tag stand fest, dass Xanti ihre Krankheit überwunden hatte. »Jetzt geht sie bestimmt nicht mehr ein«, sagte Hans-Joachim.

      Daraufhin entschloss sich Andrea, bei der Familie Rosar in Essen anzurufen. Sie sprach zuerst mit dem Hausmädchen. »Ist Teddy zu Hause?«, fragte sie.

      »Ja«, sagte das Hausmädchen. Man hörte ihrer Stimme an, dass sie ein bisschen verwundert war.

      »Holen Sie ihn doch bitte an den Apparat. Es geht um seinen Hund. Den Dackel Xanti.«

      Minuten später hörte Andrea Teddys atemlose Stimme. »Ist Xanti wirklich gesund?«

      Andrea bestätigte es dem Jungen. »Was sollen wir denn nun mit deinem Hund machen?«

      »Ich …, ich möchte ihn gern zurückhaben«, sagte Teddy.

      »Dann musst du aber mit deinen Eltern sprechen und ihnen erzählen, wo er ist.«

      »Ja, das mache ich. Sie werden ihn doch so lange behalten und nicht weggeben?«

      »Nein, ganz bestimmt nicht«, versprach Andrea ihm. »Wir behalten deinen Hund, bis du ihn abholst.«

      »Danke«, sagte Teddy leise. Dann legte er schnell auf.

      Andrea ahnte, warum. Wahrscheinlich war die Stiefmutter ins Zimmer gekommen.

      Herma Rosar hatte doch tatsächlich einen Teil von Teddys Gespräch mitangehört. »Heraus mit der Sprache«, verlangte sie, nachdem Teddy den Hörer aufgelegt hatte. »Was ist mit dem Hund?«

      Unglücklich stand Teddy vor ihr.

      Er hatte eigentlich zuerst mit dem Vater sprechen wollen. Der hätte ihn bestimmt verstanden und hätte ihm auch geholfen, seinen Hund zurückzuholen.

      »Was ist?«, fuhr Herma ihn an. »Was wird hier hinter meinem Rücken gespielt?«

      Teddy suchte krampfhaft nach den richtigen Worten. Aber die wollten ihm einfach nicht einfallen.

      »Also, bockig bist du auch noch. Erst lügst du mich an …«

      »Nein«, rief Teddy. Er wusste genau, dass er die Stiefmutter nicht angelogen hatte. Er hatte gar nichts gesagt, weil ihn niemand nach Xanti gefragt hatte. »Du hast doch gedacht, Xanti sei weggelaufen.«

      Dafür bekam der Junge eine Ohrfeige.

      »Dann wäre es deine Pflicht gewesen, mich darüber aufzuklären, dass du sie heimlich weggebracht hast. Aber heimtückisch und hinterhältig, wie du nun einmal bist, hast du geschwiegen.«

      Weinend lief Teddy aus dem Zimmer.

      Doch Herma war ihren Zorn noch nicht ganz losgeworden. Sie wartete nur darauf, dass Georg nach Hause kam.

      Noch vor dem Abendessen berichtete sie ihrem Mann entrüstet von Teddys Eigenmächtigkeit.

      »So schlimm ist das doch nun auch wieder nicht«, sagte Georg Rosar.

      »Nicht schlimm«, echote Herma. Ihre Stimme klang schon wieder so schrill, dass er sich am liebsten die Ohren zugehalten hätte.

      »Dein Sohn hintergeht uns, lügt uns an und verheimlicht uns alles Mögliche – und du sagst, das sei nicht schlimm.«

      »Er hat es doch nur aus Angst um seinen Hund getan.« Georg hatte diese ewigen Auseinandersetzungen schon satt. Er war abgespannt und müde und wollte seine Ruhe haben.

      Doch Herma dachte gar nicht daran, ihm seine Ruhe zu lassen. »Er hat hinter unserem Rücken und ohne unser Wissen gehandelt. Und ich denke gar nicht daran, so ein Kind länger unter meinem Dach zu behalten.«

      »Was willst du damit sagen?«, fragte Georg.

      »Wir haben schon oft genug darüber gesprochen.« Herma zündete sich eine Zigarette an und steckte sie in eine überlange Zigarettenspitze. »Bringe den Jungen in ein Heim. Dort muss er lernen, sich unterzuordnen und zu gehorchen.«

      »Ich denke nicht daran«, erklärte Georg und ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um. »Und das ist mein letztes Wort in dieser Sache. Teddy kommt nicht in ein Heim. Er bleibt hier.« Er ging aus dem Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.

      Zornig drückte Herma ihre Zigarette im Aschenbecher aus. Das war noch nicht dein letztes Wort, dachte sie, und ihre Augen funkelten dabei gehässig.

      Das Hausmädchen, das in diesem Moment eintrat, erschrak, als es die Augen der Hausherrin sah. »Das Essen ist fertig, gnädige Frau. Darf ich servieren?«

      »Fangen Sie schon an.«

      Die Mahlzeit verlief schweigend. Jeder hing seinen Gedanken nach. Georg dachte an seine erste Frau, an Teddys Mutter. Auf der Insel Mainau im Bodensee hatte er sie kennengelernt. Und dorthin war sie nach der Scheidung auch zurückgekehrt. Ihr Vater arbeitete dort als Gärtner.

      Ich habe dem Jungen die Mutter genommen, dachte Georg. Auf gar keinen Fall werde ich zulassen, dass ihm jetzt auch noch


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