Dr. Laurin Classic 39 – Arztroman. Patricia Vandenberg
du darauf bestehst«, erwiderte er heiser.
Monika legte den Kopf in den Nacken. »Es ist nur ein Spaziergang«, sie unterbrach sich, drehte sich um und eilte die Treppe empor.
*
Der Himmel war wolkenverhangen, als sie am Nachmittag den Weg gingen.
»Meinst du, daß es das richtige Wetter ist für solch eine Tour?« fragte er.
»Es ist ein Spaziergang. Du wirst es ja sehen, und ich bin gespannt, ob du dann auch noch glauben wirst, daß ein geübter Bergsteiger wie Papa dort abstürzen kann.«
»Man kann eine Leiter herunterfallen und sich das Genick brechen«, sagte Wolf.
Er stolperte eine Sekunde später über einen Stein und konnte sich gerade noch halten.
»Siehst du, so kann es gehen«, sagte er.
»So, da wären wir schon bei der Alm«, meinte Monika später.
Dort stand eine dralle Frau, die ihnen aus zusammengekniffenen Augen entgegenblickte.
»Grüß Gott, Resi«, sagte Monika, was ihr einen verwunderten Blick von Wolf einbrachte.
»Ich war heute vormittag schon einmal hier oben«, erklärte sie beiläufig.
Resi hatte ihren Gruß freundlich erwidert. »Ich möchte ihm die Stelle zeigen, wo mein Vater verunglückte«, erklärte Monika.
»Der andere war auch so städtisch gekleidet«, sagte die Sennerin.
»Welcher andere?« fragte Wolf Kunow überstürzt.
»Es war noch ein Mann unterwegs an diesem Morgen«, erklärte Monika. »Er muß Papa gefolgt sein.«
»Ich will nichts gesagt haben«, warf Resi ein. »Er ging allein hinauf und kam allein zurück.«
»Da war mein Vater schon tot«, sagte Monika gedankenverloren.
»Es kommen mehr Leut’ aufi«, erklärte Resi. »Manchmal auch Städter. Der Herr Doktor ist oft bei mir gesessen. Er war ein feiner Herr. Es ist schad’ um ihn.«
Noch eine gute halbe Stunde stiegen sie bergan. Dann blieb sie stehen. »Hier war es«, sagte sie leise. »Es ist ein Überhang. Ein geübter Bergsteiger geht daran vorbei.«
Wolf schöpfte tief Atem. »Dein Vater tat es nicht. Er wollte vielleicht die Aussicht genießen, Monika. Er schaute hinab, und da wurde ihm schwindelig.«
»Vater wollte hinauf auf den Dreitausender, das hat er der Resi erzählt. Von da hatte er bessere Sicht. Und schwindelig wurde ihm so leicht nicht.«
Monika drehte sich um. »Was meinst du, wie viele Morde in einem Jahr geschehen, die als solche nie erkannt werden, Wolf?«
Er starrte sie an. »Gehen wir zurück, Monika. Du verrennst dich in eine Idee, die nur schädlich für dich ist. Ich habe Jürgen versprochen, auf dich aufzupassen.«
»So wertvoll bin ich für ihn«, sagte sie, aber in diesen Worten lag ein bitterer Spott.
Sie gingen langsam zurück. Sie tranken bei Resi noch jeder ein Glas Milch. Resi stand in der Tür, und als Monika einen Blick zu ihr hinüberwarf, sah sie, daß die Sennerin Wolf mit einem kritischen Blick musterte. Ein wenig verstand Monika schon davon, denn sie studierte Psychologie. Jürgen hatte ihr dieses Studium auszureden versucht.
Resi war naturverbunden und hatte einen animalischen Instinkt.
Als Monika sich von ihr verabschiedete, hielt sie die schmale Hand des Mädchens fest.
»Geben Sie auf sich acht, Fräulein Monika«, sagte sie eindringlich.
»Das werde ich tun«, erwiderte Monika. »Ich komme später einmal wieder, Resi. Vielen Dank. Sie haben mir sehr geholfen.«
»Verbrüdern brauchst du dich doch nicht gleich mit dieser einfältigen Person«, sagte Wolf, als sie sich schon ein Stück entfernt hatten.
»Ich wüßte jedenfalls nicht, was ich mit dieser Person reden sollte.«
»Papa mochte sie. Er konnte mit ihr reden«, sagte Monika gedankenverloren.
Wieder trat Schweigen zwischen ihnen ein. Monika erdrückte es fast.
»Hast du eigentlich die Dinge bekommen, die dein Vater bei sich trug?« fragte Wolf, als der Ort vor ihnen lag.
»Ich habe den Auftrag gegeben, daß sie nach München geschickt werden«, erwiderte sie ruhig. »An einen Freund. Es könnte mir auch etwas passieren«, erwiderte Monika.
»Du hast also kein Vertrauen zu mir«, stieß er gereizt hervor.
»Warum faßt du das so auf?« fragte Monika ironisch. »Ich möchte nicht, daß euer Name in Verbindung mit meiner spinnösen Idee genannt wird. Du bist doch der Meinung, daß ich auch nicht ganz richtig im Kopf bin, oder irre ich mich?«
»Du stehst unter dem Schock, Monika«, sagte Wolf steif. »Ich wollte dir gern helfen.«
»Ich brauche keine Hilfe. Diese Sache muß ich allein durchfechten. Ja, darüber bin ich mir im klaren.«
»Aber könntest du mir nicht wenigstens sagen, wem du mißtraust?«
»Nein, das kann ich nicht, ebenso wenig wie ich sagen könnte, wem ich jetzt noch traue«, erwiderte Monika.
*
Es war sieben Uhr, als Dr. Weigand zu den Laurins kam. Eine Viertelstunde vorher war Leon Laurin heimgekommen.
Kevin hatte ihn beschäftigt in dieser Viertelstunde. Er maulte dann, weil Karin ihn zu Bett bringen wollte.
»Ich freue mich, Sie kennenzulernen«, begrüßte Dr. Laurin den jungen Arzt.
»Die Freude ist ganz auf meiner Seite«, erwiderte Tony Weigand. »Ich habe schon eine ganze Anzahl kleiner Patienten gehabt, denen Sie ins Erdendasein verholfen haben.«
Antonia hatte recht, er ist sympathisch, dachte Leon. »Gehen wir erst zu meinen Rangen«, schlug er vor. »Später können wir uns dann noch unterhalten.«
Antonia hatte die Zwillinge nochmals ermahnt, kein Theater zu machen.
»Er schaut euch in den Hals, und damit ist es erledigt«, beruhigte sie die Zwillinge, die nun doch vor Aufregung rote Wangen hatten.
Als dann Tony Weigand mit ihrem Papi ins Zimmer trat, staunten sie erstmal. Er sah gar nicht aus wie ein Doktor, sondern wie ein großer Junge.
»Nun wollen wir mal schauen, warum euch diese bösen Mandeln so plagen«, sagte Tony.
»Weil sie immer so dick werden, daß wir nicht schlucken können«, erwiderte Konstantin.
»Und weh tun sie auch«, schloß Kaja sich an.
Die Untersuchung ging schnell und schmerzlos. Tony Weigand machte soviel Spaß dabei, daß Konstantin und Kaja gar nicht recht merkten, wie aufmerksam er ihnen in den Rachen schaute.
»Willst du schon wieder gehen, Doktor?« fragte Kaja konsterniert.
»War das alles?« fragte Konstantin. »Was ist nun los?«
»Das bespreche ich mit eurem Papi«, erwiderte Tony.
»Ich will es aber auch wissen. Du kannst es ruhig sagen. Wir wissen schon, daß sie raus müssen. Wie geht das vor sich?«
Tony Weigand sah Dr. Laurin fragend an. »Erklären Sie es ihm ruhig«, sagte der. »Er gibt sonst doch keine Ruhe.«
»Die Mandeln werden herausgelöst mit einem Skalpell«, sagte Dr. Weigand ein wenig befangen.
»Tut es weh, Doktor?« warf Kaja schüchtern ein.
»Davon merkt ihr nichts, weil ihr dann schlafen werdet, das verspreche ich euch«, wurden sie von Dr. Weigand getröstet. »Hinterher ist es ein bißchen unangenehm, weil ihr nur flüssige Nahrung zu euch nehmen dürft.«