Fürstenkrone Classic 39 – Adelsroman. Silva Werneburg
vier Lebenswochen nicht gut entwickeln. Nun war er auch noch ernsthaft krank geworden. Der Züchter berichtete nicht ohne eine gewisse Traurigkeit, dass er diesen Welpen am nächsten Tag zum Tierarzt bringen würde, um ihn einschläfern zu lassen. Dieses Tier sei einfach nicht lebensfähig. Charlotte hatte das nicht einsehen wollen und war sich mit dem Züchter schnell einig geworden: Er erklärte sich bereit, ihr den kleinen Rüden zu überlassen, damit sie versuchen konnte, ihn von Hand aufzuziehen. Vielleicht würde er durch intensiven Einsatz ja doch noch eine Chance haben und am Ende möglicherweise überleben.
Natürlich hatte Charlotte bei ihrem spontanen Entschluss nicht daran gedacht, dass sie beruflich stark eingespannt war und sich eigentlich gar nicht ausreichend um den Welpen kümmern konnte. Wer sollte das Tier versorgen, während sie ihrer Arbeit nachging? Als sie mit ihren Chefs, Paul und dessen Sohn Gregor von Surwold, über dieses Problem sprach, dachten die beiden nicht lange nach. Sie waren selbst Tierfreunde und schlugen Charlotte vor, den Welpen einfach mit zur Arbeit zu bringen. Für die Angestellten gab es einen Aufenthaltsraum. Dort würde der junge Hund bleiben und regelmäßig mit Futter, Medikamenten und Streicheleinheiten versorgt werden können. Charlotte hatte dieses Angebot dankbar angenommen. Nicht nur sie selbst, auch Paul von Surwold, sein Sohn und ihre Kollegin und Freundin, Flora Bentheim, kümmerten sich abwechselnd rührend um den kleinen Rüden. Er wurde ständig bemuttert.
Dank der hingebungsvollen Pflege hatte der Welpe überlebt und den Namen Odin bekommen. Heute hätte niemand mehr vermutet, dass er als junger Hund beinahe chancenlos gewesen war. Odin hatte sich zu einem prachtvollen kräftigen Golden Retriever entwickelt, der seine Besitzerin und auch heute nicht täglich zur Arbeit begleitete. Tagsüber durfte der Hund noch immer im Aufenthaltsraum bleiben, und es war kein Drama, wenn er zwischendurch einmal in den Laden kam. Die meisten Kunden kannten Odin und freuten sich, wenn sie ihn begrüßen konnten. Der absolut freundliche Rüde knüpfte gerne neue Kontakte, ohne dabei aufdringlich zu sein. Charlotte war Paul und Gregor von Surwold noch immer dankbar dafür, dass sie Odin als ihren ständigen Begleiter anerkannten.
Nachdem Charlotte an diesem Tag die Haustür verschlossen hatte, ging sie auf ihr Auto zu, sah sich dabei jedoch suchend um.
»Odin!«, rief sie. »Odin, hierher! Wir müssen los. Sonst komme ich zu spät zur Arbeit.«
Normalerweise kam der Hund, der morgens vor der Abfahrt gern noch einen kurzen Streifzug durch den Garten unternahm, sofort angetrabt, wenn Charlotte nach ihm rief. Diesmal war das nicht der Fall. Deshalb machte sie sich auf den Weg hinter das Haus, um nach ihm zu sehen. Was sie dort allerdings entdeckte, gefiel ihr überhaupt nicht. Unmittelbar vor der kleinen Terrasse hatte Charlotte am Vorabend zahlreiche bunte Primeln in die Erde gepflanzt. Das war Odin natürlich nicht entgangen. Nun hatte er sich ans Werk gemacht und einige der hübschen Frühjahrsblumen mit seinen kräftigen Pfoten ausgebuddelt. Er war ein wirklich freundlicher, charmanter und liebenswerter Bursche, aber manchmal ging sein Temperament mit ihm durch, und dann hatte er nur noch lauter Unsinn im Kopf. Dass es sich tatsächlich um Dummheiten handelte, mit denen er sich gerade beschäftigte, wusste Odin natürlich nicht. Er sah Charlotte kommen und strahlte sie mit seinen bernsteinfarbenen Augen, offensichtlich stolz auf sein Werk, an. Auf seiner Nase prankte ein kleiner Erdklumpen, da er bei seinen Grabarbeiten auch seine Schnauze benutzt hatte.
»Mensch, Odin!«, entfuhr es Charlotte. »Ich habe mir so viel Mühe mit der Bepflanzung gegeben. Jetzt hast du alles zerstört. An manchen Tagen kann man dich wirklich keine Sekunde aus den Augen lassen. Nun muss ich neue Blumen kaufen und kann mit der Arbeit noch einmal neu beginnen. Aber warum erkläre ich dir das überhaupt? Wahrscheinlich verstehst du gar nicht, worüber ich mit dir rede. So ist es doch, oder?«
»Waff«, äußerte sich der Hund nur und musste gleich anschließend niesen, weil ihm ein paar Erdkrümel in die Nase geraten waren.
»Das ist wenigstens eine kleine Strafe für dein Vergehen«, meinte Charlotte lachend. »Aber nun komm, wir müssen uns auf den Weg machen.«
Diesmal ließ Odin sich nicht lange bitten und folgte seiner Besitzerin sofort. Er lief sogar voraus zum Auto und wartete, dass ihm die Tür geöffnet wurde. Mit einem eleganten Satz sprang er auf den Rücksitz. Das alles gehörte für ihn zur täglichen Routine, und er wusste auch genau, dass es jetzt zu Charlottes Arbeitsplatz ging. Dort wartete Flora Bentheim bereits auf ihn, die ihn jeden Tag mit einem kleinen Leckerbissen begrüßte. Auch das gehörte für den Golden Retriever zum gewohnten Alltag.
*
Das Schmuckgeschäft wurde täglich pünktlich um neun Uhr geöffnet. Sowohl Flora Bentheim als auch Charlotte besaßen einen Schlüssel für sämtliche Türen. Paul und Gregor von Surwold trafen meistens erst eine Stunde später ein. Wie gewohnt begrüßte Flora ihre Kollegin und steckte Odin den von ihm erwarteten Leckerbissen zu.Trotzdem war an diesem Tag alles ein bisschen anders als sonst. Flora wirkte nervös, geradezu aufgekratzt. Das entging Charlotte nicht.
»Was ist denn mit dir los?«, erkundigte sie sich. »Hast du etwa im Lotto gewonnen? Deinem strahlenden Gesicht und deinem Verhalten nach zu urteilen, könnte man das beinahe vermuten.«
Flora winkte ab. »Ach was, ein Lottogewinn ist unwichtig. Was ich zu berichten habe, ist viel besser. Du weißt doch, dass ich schon seit fast einem Jahr mit unserem Juniorchef befreundet bin.«
»Befreundet ist gut. Ich hatte den Eindruck, dass zwischen euch beiden ein bisschen mehr ist als nur eine harmlose Freundschaft.«
»Natürlich ist da mehr. Das weißt du doch längst. Aber ich hatte immer ein bisschen Angst, dass Gregor sich eines Tages doch für eine andere Frau entscheidet. Was bin ich denn schon? Eine kleine Goldschmiedin, die in einem der drei Geschäfte arbeitet, die seinem Vater und ihm gehören. Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass er mich wirklich aufrichtig liebt und dass diese Liebe von Bestand sein wird.«
»Diese Angst scheinst du jetzt nicht mehr zu haben«, stellte Charlotte fest. »Dafür muss es einen Grund geben. Was ist passiert?«
»Stell dir vor, nachdem wir gestern zusammen im Theater waren, hat Gregor mir ganz offiziell einen Heiratsantrag gemacht. Hier, diesen Ring hat er mir als Verlobungsring überreicht.«
Flora hob ihre linke Hand und präsentierte stolz den mit einem wertvollen Diamanten besetzten Weißgoldring. »Ist das nicht ein wundervolles Stück?«
»Wunderschön und wertvoll«, bestätigte Charlotte. »Ein Viertelkaräter von bester Qualität. Kunststück, Gregor sitzt ja schließlich an der Quelle, und ein armer Mann ist er nicht. Aber Spaß beiseite. Ich freue mich natürlich für dich und gratuliere dir. Du bekommst einen traumhaften Mann. Ich wünsche euch beiden, dass ihr richtig glücklich und uralt miteinander werdet. Ein bisschen beneide ich dich sogar. Nun hast du deinen Lebenspartner gefunden, obwohl du ein halbes Jahr jünger bist als ich. Wäre ich da nicht eigentlich zuerst an der Reihe gewesen? Damit meine ich nicht, dass ich ein Anrecht auf Gregor hätte. Ich schätze ihn sehr. Er ist ein attraktiver und sympathischer Mann. Aber verlieben könnte ich mich in ihn nicht. Es hätte aber ruhig ein anderer Traummann meinen Weg kreuzen können.«
»Irgendeiner würde dir aber nicht reichen«, gab Flora zu bedenken. »Du hast mir so oft erzählt, dass du schon als Kind von einem ganz bestimmten Mann geträumt hast. Während all der Jahre, die du im Kinderheim aufgewachsen bist, hast du dich doch nach einem Prinzen gesehnt, der auf einem weißen Pferd angeritten kommt, dich in seine Arme nimmt und auf sein Schloss führt.«
»Ja«, gestand Charlott. »Auf ein weißes Schloss mit goldenen Zwiebeltürmen, umgeben von wundervoll blühenden Bäumen.«
»Siehst du, solche Prinzen sind ausgesprochen rar. Du wirst dich vielleicht noch eine ganze Weile gedulden müssen, bis dir so einer über den Weg läuft und sich Hals über Kopf in dich verliebt.«
Charlotte lächelte vergnügt. »Das sind Kinderträume gewesen. In der Wirklichkeit gibt es solche Glücksfälle nicht. Ich muss mich damit abfinden, niemals auf einem Schloss wohnen zu können. Vielleicht finde ich aber doch irgendwann mein Glück, auch wenn es kein Prinz ist. Allerdings geht es jetzt nicht um mich, sondern um dich und Gregor. Es freut mich wirklich, dass ihr heiraten werdet. Wisst ihr denn schon, wann die Hochzeit