Der Bergpfarrer Extra 3 – Heimatroman. Toni Waidacher
der Bursche mit den blonden Haaren. »Wie schon gesagt«, fügte er hinzu, »sind wir erst kurz hier. Der erste Augenschein verspricht jedoch eine wunderbare Landschaft. Ich kann mir vorstellen, dass es hier im Sommer ganz besonders schön ist.«
»Das kann ich nur bestätigen«, nickte Sebastian. »Wenn S’ mal keine Lust zum Langlaufen haben, dann schauen S’ sich unsere Kirche an. Sie ist auf jeden Fall sehenswert. Vielleicht will’s der Zufall, dass wir uns noch einmal treffen. Würd’ mich freuen. Jetzt muss ich aber weiter. Ich wünsch’ Ihnen einen schönen Aufenthalt in St. Johann und einen guten Schnee zum Langlaufen. Geben S’ nur acht auf den Steilhängen. Da können S’ leicht eine Lawine auslösen und mit in die Tiefe gerissen werden.«
»Darauf hat uns auch Ihr Cousin hingewiesen«, erwiderte Dominik. »Wir passen schon auf.«
»Na denn«, sagte Sebastian schmunzelnd, »dann bleibt es mir nur, Ihnen Hals- und Beinbruch zu wünschen.«
»Auf Wiedersehen«, kam es wie aus einem Mund von den beiden, dann setzten sie ihren Weg fort.
Sebastian musste fast drei Kilometer marschieren, dann erreichte er den Bundschererhof. Die Haustür war verschlossen und so klingelte er. Gleich darauf hörte er, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte, die Tür wurde aufgezogen und vor ihm stand der alte, hagere Xaver.
Überrascht sah er Sebastian an. »Sie, Herr Pfarrer? Was führt Sie denn zu uns?«
»Ich will mit dir reden, Xaver. Mir ist nämlich zu Ohren gekommen, dass du auf mich zornig bist, weil ich gegen den Bau der Biogasanlage bin.«
»Na ja, irgendwie schon, Herr Pfarrer«, erwiderte Xaver leicht überrumpelt. »Sie wissen ja, warum ich den Hof verkaufen möcht’. Wenn’s nix draus wird, können die Maria und ich net ins Senioren-Domizil. Ich hab’ doch nur den einen Interessenten. Und wenn Sie mir den vergraulen …« Der alte Landwirt brach ab.
»Wir sollten darüber net zwischen Tür und Angel reden, Xaver«, sagte er sanft. »Gehen wir hinein. Ich will dir erklären, warum ich die Biogasanlage hier im Wachnertal verhindern möcht’. Und vielleicht finden wir ja eine Alternative für dich.«
»Na ja, treten S’ näher, Herr Pfarrer.« Xaver ließ Sebastian an sich vorbei. »Geradeaus«, dirigierte er, »die letzte Tür links.«
Sebastian machte sich auf den Weg. Ob es ihm möglich war, den Xaver zu besänftigen, und auch bei seinem Problem zu helfen, stand momentan noch in den Sternen. Er hatte sich aber vorgenommen, nichts unversucht zu lassen.
*
Sebastian ging voraus, Xaver Bundscherer folgte ihm mit schlurfenden Schritten. Nach kurzem Klopfen trat er in das Wohnzimmer.
Auf der Couch saß Maria Bundscherer, und schaute ihn erstaunt an, der Fernseher lief.
»Habe die Ehre, Maria«, grüßte Sebastian, trat vor die Bäuerin hin und reichte ihr die Hand. »Wie geht’s denn allweil so?«
Maria ergriff die dargebotene Hand und erwiderte: »Net so gut, Hochwürden. Das Kreuz, die Hüften … Schauen S’ sich nur um. Alles verkommt, weil ich nimmer kann. Um mich fortzubewegen brauch’ ich einen Stecken oder das Gehwagerl.«
»Setzen S’ sich doch, Herr Pfarrer«, sagte Xaver. Und als sich Sebastian in einen der alten Sessel gesetzt hatte, fügte er hinzu: »Mir geht’s net viel besser. In der Früh’ komm’ ich kaum aus dem Bett raus, weil mich alles schmerzt. Ich brauch’ zwar keinen Rollator, aber schwere Arbeiten kann ich auch kaum noch verrichten.«
»Hast du schon mal dran gedacht, eine Haushaltshilfe zu beschäftigen?«, fragte Sebastian.
Xaver zuckte die Achseln. »Was nützt’s uns, wenn der Haushalt gerichtet wird? Im Stall stehen vierzig Kühe, die müssen versorgt werden. Wer bestellt meine Felder und Äcker, wer geht in den Wald, und wer mäht die Wiesen? Wenn wir den Hof net bewirtschaften haben wir kein Einkommen, außer der kleinen Rente. Und die ist zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben. Wenn der Pöllinger abspringt, werden die Maria und ich hier draußen vor die Hunde gehen.«
»Und daran gibst du mir die Schuld, Xaver, gell?«
Der Bauer knetete seine verarbeiteten Hände, suchte nach Worten und antwortete schließlich: »Na ja, Herr Pfarrer, Sie sind doch wegen der Biogasanlage auf die Barrikaden gegangen und haben auch den Gemeinderat auf ihre Seite gezogen. Und jetzt hat der Pöllinger gedroht, dass er die Finger von dem Geschäft lassen will. Für die Maria und mich wär’ das eine Katastrophe. Wie ich schon gesagt hab’ …«
»Verkauf’ deinen Hof dem Gregg Powell und verpacht’ dein Land an die Bauern hier«, sagte Sebastian. »Mit dem Geld, das dir der Powell zahlt, kannst du dich ins Senioren-Heim einkaufen.«
Xaver schüttelte eigensinnig den Kopf. »Ich will alles los sein, Herr Pfarrer. Es gibt keine Erben. Wenn wir alles verkaufen, können wir uns mit dem Geld noch ein paar schöne Jahre machen. Die Maria könnt’ in eine Klinik gehen und ihre Hüften richten lassen …«
»Ist sie denn net versichert?«, fragte Sebastian entsetzt.
»Nein. Ich hätt’ die Maria damals privat versichern müssen. So viel Geld haben wir net gehabt.«
»Da hast du am falschen Fleck gespart, Xaver«, sagte der Pfarrer. »Aber das kannst du net mir anlasten. Deine Landwirtschaft hat doch genug abgeworfen, um die Maria freiwillig zu versichern.«
»Ich weiß, ich kenn’ mein Versäumnis. Das wär’ ja alles kein Problem, wenn mir die Biogasgesellschaft den Hof abkaufen würd’. Die Maria und ich hätten bis an unser Lebensende ausgesorgt. Sie, Herr Pfarrer, machen mir das kaputt. Und darum bin ich schon ein bissel sauer auf Sie.«
»Das ist aber net fair, Xaver. Net nur mir gegenüber ist’s unfair, sondern auch den Menschen gegenüber, die hier leben. Ich werd’ dir sagen, warum ich gegen diese Biogasanlage bin. Man würd’ für den Betrieb der Anlage im Wachnertal halt nimmer so viel Getreide und Gemüse anbauen, sondern fast nur noch Mais …«
»Und was wär so schlimm daran?«, unterbrach Xaver.
»Das wär’ eine Form von Artenrückgang. Dadurch, dass es auf Maisfeldern kaum oder keine Kleinlebewesen und kleinere Pflanzen gibt, verschwinden die letzten Tiere und sogar die Vögel bleiben aus, weil sie zu wenig Nahrung finden. Maisfelder sind ökologische Ödnis, Brachland. Und wenn die Bauern durch die Anlage gute Verdienstmöglichkeiten wittern, werden sie bald nur noch Mais anbauen. Die Natur nähm’ großen Schaden, Xaver. Von anderen Risiken ganz zu schweigen.«
»Aber ich muss doch an mich und die Maria denken, Herr Pfarrer.«
»Durch den Maisanbau steigen die Nitratwerte im Grundwasser. Und sollt es zu einem Unfall kommen, was ja net der erste wär’, würden die Giftstoffe unsere Bäche und damit auch den Achsteinsee verseuchen. Dann wär’ auch unsere Trinkwasserversorgung nimmer gesichert.«
Jetzt war Xaver nachdenklich geworden.
»Es gäb’ noch einiges mehr, was gegen die Biogasanlage spricht, Xaver. Aber jetzt kannst du sehen, welche Konsequenzen es für das Wachnertal hätt’, wenn auf deinem Land eine Biogasanlage entsteht. Du hast dein Leben lang deine Nachbarn und all die anderen Leut’, mit denen du gut bekannt warst und die hier noch viele Jahre leben müssen, geachtet und respektiert. Plötzlich würdest du sie Gefahren aussetzen, die in ihrer Tragweite gar net abschätzbar sind. Das Wachnertal – du hast es dein Leben lang geliebt -, würd’ net mehr so sein, wie’s mal war.«
Lange Zeit schwiegen sowohl Xaver als auch Maria.
Plötzlich aber sagte sie: »Wenn ich das alles hör’, Xaver, dann mein’ ich, dass wir sehr egoistisch gedacht haben. Ich glaub’, dass wir das, was die Anlage dem Tal brächt’, tatsächlich net verantworten könnten.«
»Aber es geht doch auch um uns«, stieß Xaver mit weinerlicher Stimme hervor. »Wir schaffen die harte Arbeit net mehr. Und es gibt nur den einen Interessenten. Die sind sogar bereit, den von mir geforderten Preis zu zahlen.« Er griff sich an die Stirn. »Es ist zum Verzweifeln.