Sophienlust Classic 42 – Familienroman. Judith Parker
heißt Sabine, ja, und die jüngste ist sechs und heißt Gabriele.«
»Komisch, dass Mutti mir das nicht erzählt hat«, kränkte sich Dominik. Er konnte es nicht leiden, wenn eines der Kinder mehr wusste als er.
»Dann sind die Mädchen sogar jünger als ich«, freute sich Vicky.
»Wir müssen ins Haus zurück!«, rief Pünktchen. »In wenigen Minuten gibt es Abendessen.«
»Ja, Pünktchen hat recht«, erklärte Isabel, die einmal ein Kinderstar gewesen war und später wohl eine große Sängerin werden würde, nach einem Blick auf ihre Armbanduhr.
Die Kinder liefen über die Wiese und betraten wenig später das Herrenhaus, wo sie bereits von Frau Rennert erwartet wurden.
»Schnell! Wascht euch die Hände!«, rief sie und klatschte in die Hände.
»Wir beeilen uns!«, rief Nick vergnügt, der wegen der Renovierung des Hauses für die Riedls häufiger als sonst in Sophienlust übernachtete, damit ihm auch ja nichts entging.
Wie immer verschlangen die Kinder mit Heißhunger ihr Abendessen.
»Wisst ihr was«, wandte Nick sich an Malu, Pünktchen und Isabel, als sie den Speisesaal verließen, »schauen wir doch auf einen Sprung bei der Huber-Mutter hinein. Vielleicht kann sie uns etwas über die Riedls sagen.«
»Neulich meinte Magda, dass der Geist der Huber-Mutter nicht mehr ganz so klar ist wie früher«, gab Malu zu bedenken.
»Da irrt sich Magda«, erwiderte Nick kopfschüttelnd. »Ihr Geist ist noch so klar wie ein frischer Quell. Jedenfalls sagte das Doktor Wolfram.«
»Aber im Frühjahr leidet sie sehr unter Gicht und hat oft schreckliche Schmerzen«, meinte Pünktchen. »Auch kann sie dann kaum mehr ihre Finger bewegen.«
»Sie braucht doch nicht die Finger zu bewegen, wenn sie prophezeien soll.« Dominik wollte sich durchaus nicht davon abbringen lassen, mit der Huber-Mutter zu reden. Aber Frau Rennert machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Sie begegnete den Kindern auf dem Weg durch den langen Korridor zum Zimmer der Huber-Mutter.
»Wohin wollt ihr denn?«, fragte sie freundlich.
»Zur Huber-Mutter.«
»Das ist unmöglich, Nick«, entgegnete Frau Rennert. »Doktor Wolfram war heute Nachmittag bei ihr und hat ihr eine Spritze gegen ihre Schmerzen gegeben. Die Huber-Mutter schläft schon.«
»Schade!« Nick schnitt eine Grimasse. »Gut, dann werde ich noch nach Schoeneich zurückradeln«, erklärte er plötzlich.
»Nick, das darfst du nicht.« Frau Rennert schüttelte den Kopf. »Schau doch hinaus. Es ist bereits stockfinster.«
»Was hat das schon zu sagen, Tante Ma«, entgegnete er großspurig. »Ich bin doch kein kleines Kind mehr, das sich vor dem schwarzen Mann fürchtet.«
»Nick, ich kann es dir nicht erlauben«, erklärte Frau Rennert energisch. »Sollte dir etwas passieren, wird mich deine Mutter zur Verantwortung ziehen.«
»Was soll denn schon geschehen«, maulte der Junge, weil ihm heute alles quer ging.
»In der letzten Zeit treibt sich in unserer Gegend ein Landstreicher herum. Lena hat ihn gesehen und behauptet, er sähe zum Fürchten aus.«
»Ist das wahr?« Pünktchen bekam große ängstliche Augen. »Ist er ein Verbrecher? Oder gar ein Mörder?«, fügte sie hinzu und blickte furchtsam zum Fenster.
»Na ja, dann bleibe ich halt hier«, gab Dominik endlich nach. »Aber gefürchtet hätte ich mich bestimmt nicht. Pünktchen, nun lach wieder«, wandte er sich an seine kleine Freundin, der man die Angst deutlich ansah. »Wenn ich hier in Sophienlust bin, wird dir bestimmt nichts passieren. Aus diesem Verbrecher mache ich Kleinholz. Schaut meine Muskeln an.« Er krempelte den Hemdsärmel hoch und zeigte seinen angespannten Bizeps.
Frau Rennert lachte, während Pünktchen in Bewunderung total erstarrte.
*
Als die Riedls eintrafen, stand der Flieder bereits in voller Blüte. Sein süßer Duft und der des Weißdorns erfüllten die Luft, und die Kastanienbäume hatten ihre Kerzen aufgesteckt.
Zur Freude der Kinder von Sophienlust zogen die Riedls an dem schulfreien Samstag des Monats ein, sodass sie dabei sein konnten, als zuerst der weiße Mercedes mit der Familie und dann der Möbelwagen vor der Gartentür hielten.
Auch Denise war zur Stelle, um den Mietern des Gärtnerhauses die Schlüssel zu überreichen. Die Kinder hielten sich noch im Hintergrund und beobachteten von Weitem, wie zuerst Norbert Riedel und seine Frau ausstiegen und dann die drei Kinder.
»Wie niedlich die Mädchen sind«, begeisterte sich Malu und wünschte sich, dass die beiden oft bei ihnen im Kinderheim weilen würden.
»Der Junge macht einen affigen Eindruck«, konstatierte Dominik.
»Findest du?« Pünktchen richtete ihren Blick auf den dunkelhaarigen Jungen, der zu ihnen herübersah. »Er ist doch sehr hübsch.«
»Das hat doch damit nichts zu tun«, belehrte Nick sie. »Vielleicht ist er affig, weil er so hübsch ist. Sicherlich bildet er sich etwas darauf ein. Na ja, das werde ich ihm schon austreiben.«
»Dazu wirst du kaum Gelegenheit haben, Nick«, warf Isabel ein. »Schließlich wohnt er nicht bei uns im Heim, sondern bei seinen Eltern.«
»Und wenn schon. Die Kinder werden sich doch mit uns anfreunden und oft bei uns sein. Herr Riedl wird froh sein, wenn er Ruhe zum Schreiben hat.«
Auch Denise machte sich so ihre Gedanken über die Riedls. Sie fand Frau Viola Riedl ganz reizend. Mit ihrem kastanienbraunen Haar, dem herzförmigen Gesicht und den großen blaugrünen Augen wirkte sie sehr apart. Dass sie trotzdem im Schatten ihres Mannes lebte, war für Denise nicht schwer zu erkennen.
Die beiden kleinen Mädchen waren allerliebst. Die ältere hatte die gleiche Haarfarbe wie ihre Mutter, während ihre jüngere Schwester rotblond war. Beide hatten blaue Augen und glichen einander sehr.
Denise musterte nun den Jungen. Er war dunkelhaarig wie sein Vater und hatte braune Augen. Während seine Schwestern fröhliche Kinder zu sein schienen, machte er eher einen unfreundlichen Eindruck. Trotzig und in sichtlicher Abwehr war seine Unterlippe vorgeschoben, und seine Augen zeigten einen abschätzenden kritischen Ausdruck, der für einen Jungen in seinem Alter ziemlich ungewöhnlich war. Dass seine Eltern es nicht ganz einfach mit ihm hatten, war leicht zu erraten.
»Ich hoffe, Sie werden sich hier wohlfühlen«, sagte Denise nach der Begrüßung und der allgemeinen Vorstellung. »Das Haus ist gestern fertig geworden.«
»Wunderbar!«, rief Norbert Riedl voller Begeisterung, dabei umfing sein Blick Denises schlanke Gestalt. »Sie müssen ausgezeichnete Beziehungen zu den Handwerkern haben, gnädige Frau. Wenn ich daran denke, was für Aufregungen es uns in der Stadt kostet, auch nur einen Handwerker zu bekommen, grenzt das hier fast an ein Wunder.« Er lachte und fuhr dann fort: »Ich schaue mich mal nach einem geeigneten Arbeitsraum für mich um. Vielleicht wäre eine der Dachkammern dafür geeignet. Viola, da kommt der alte Justus.«
Justus betrat die Diele. Er begrüßte Herrn und Frau Riedl und teilte ihnen mit, dass in ungefähr einer halben Stunde zwei Frauen aus dem Dorf kommen würden, um beim Einzug behilflich zu sein.
»Das ist herrlich!«, rief Norbert Riedl erleichtert. »Auf diese Weise kann ich mich auf der Stelle an die Schreibmaschine setzen. Ausgerechnet heute ist mein Kopf voll von guten Einfällen. Viola, nicht wahr, du wirst auch ohne mich fertig?«
»Aber ja, Norbert.« Viola nickte ihm lächelnd zu.
»Sie sehen, gnädige Frau, Viola ist einmalig. Genau die richtige Frau für einen verrückten Schriftsteller wie mich.« Nach dieser scherzhaften Bemerkung lief Norbert Riedl die Treppe hinauf.
»Ich finde das Haus einfach wundervoll«, schwärmte Viola. »Ich hatte es mir nicht so hübsch vorgestellt. Oh,