Sophienlust Extra 9 – Familienroman. Gert Rothberg

Sophienlust Extra 9 – Familienroman - Gert Rothberg


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      Auch Nick machte sich so seine Gedanken über Heidis Familienverhältnisse. »Weißt du, Mutti«, meinte er, als er Denise gute Nacht sagte. »Irgendetwas stimmt nicht bei Heidis Eltern. Ich habe das Gefühl, dass Heidi eines Tages nach Sophienlust kommen wird.«

      »Das wird sie gewiss einmal, mein Junge, aber nur zu Besuch. Frau Holsten hat mich gefragt, ob sie uns besuchen dürfe.«

      Nicks dunkle Brauen runzelten sich. Das war ein Zeichen, dass er intensiv nachdachte. »Weißt du«, begann er wieder, »ich finde es mehr als komisch, dass ein Mann ohne seine Familie sein möchte. Heidi hat mir nämlich erzählt, ihr Vati wolle nicht, dass ihre Mutti und sie bei ihm blieben.«

      »Manchmal geht’s nicht anders, Nick.«

      »Manchmal schon. Aber in diesem Fall ist es trotzdem sonderbar, dass Herr Holsten Frau und Tochter in einem Gasthof in Maibach zurücklässt, während er sich ein Zimmer in Mannheim mietet. Sie könnten doch genauso gut zusammen in einem billigen Hotel in Mannheim leben, wenn sie schon mit dem Geld knapp sind.«

      Denise hielt es für klüger, dieses etwas heikle Thema nicht weiterzuverfolgen. Deshalb blieb sie ihrem Sohn die Antwort schuldig. »Nick, geh jetzt schlafen«, bat sie stattdessen. »Es ist schon fast zehn Uhr.«

      »Na ja, dann gehe ich halt ins Bett«, seufzte er. Er kannte seine Mutter gut genug, um zu wissen, dass sie sich nicht mehr mit ihm über die Holstens unterhalten würde. Trotzdem war er ganz sicher, dass Heidi eines Tages zu ihnen kommen würde.

      *

      Elisabeth hatte ihr Töchterchen zu Bett gebracht. Die Kleine schlief während Axels Anwesenheit in einem anderen Zimmer.

      Heidi tat alles, um ihre Mutti aufzuhalten, weil sie nicht allein sein wollte. Als Elisabeth ihr dann einen Gutenachtkuss gab, umklammerte die Kleine ihren Hals und bettelte: »Mutti, bitte, lass mich nicht allein. Ohne dich habe ich Angst.«

      »Aber warum denn, mein Kleines?«, fragte Elisabeth kopfschüttelnd. »Vati und ich sind doch im Nebenzimmer. Schau, wenn du etwas willst, brauchst du nur an die Wand zu klopfen.«

      Heidi ließ ihre Mutter nun zwar los, stieß aber einen so herzerweichenden Seufzer aus, dass sich Elisabeth ein Lachen verkneifen musste.

      »Gut, liebe Mutti«, erwiderte Heidi schließlich tapfer. »Aber morgen, wenn Vati nicht mehr da ist, darf ich doch wieder bei dir im Zimmer schlafen?«

      »Selbstverständlich, mein Kleines.« Elisabeth drückte den warmen Kinderkörper zärtlich an sich. »Nun schlaf gut, mein Engelchen.«

      Lächelnd verließ Elisabeth das Zimmer. Doch draußen auf dem Korridor fiel ein Schatten über ihre Züge. Wieder packte sie quälende Angst vor der Zukunft, die in einem ungewissen Dunkel vor ihr lag. Es war ihr bisher nicht gelungen, Axels Herz zu erweichen. Warum sah er nicht ein, dass Heidi und sie ebenso gut in einem Hotel in Mannheim wohnen konnten? Dort würde sogar die Möglichkeit bestehen, Heidi tagsüber in einem Kindergarten unterzubringen, sodass sie wieder als Apothekerin würde arbeiten können.

      Elisabeth nahm sich, als sie nach einem tiefen Atemzug die Tür des Zimmers öffnete, das sie im Augenblick mit ihrem Mann bewohnte, vor, jetzt gleich noch einmal mit ihm zu sprechen.

      Axel stand mit dem Rücken zu ihr am Fenster und rauchte. Er hielt es nicht einmal für notwendig, sich umzuwenden.

      »Hast du Heidi endlich zu Bett gebracht?«, fragte er plötzlich und drehte sich um. »Sie ist ein verzogenes Balg. Man müsste sie mehr prügeln.«

      »Bitte, Axel, sag das nicht«, flehte sie, denn Heidis Erziehung bildete ein weiteres großes Problem zwischen ihnen. »Heidi ist ein zartes Kind und sehr sensibel. Wenn man sie schlägt, kann man bei ihr nur Schaden anrichten. Ich zum Beispiel habe nie Schläge von meinen Eltern bekommen.«

      »Dir hätte es auch nicht geschadet!«, stieß er gereizt hervor. Er selbst hatte als Kind Prügel erhalten und war der Ansicht, Strenge schade keinem Kind.

      Elisabeth zwang sich zur Ruhe. Streit mit ihm musste sie vermeiden. Sonst würde sie nichts bei ihm erreichen. Ihr schönes Gesicht nahm unbewusst jenen zerquälten Ausdruck an, der Axel oft bis zur Weißglut reizte.

      »Mein Gott, du schaust schon wieder wie das Leiden Christi aus!«, rief er auch gleich ungeduldig.

      »Axel, warum bist du nur so böse?«, fragte sie fast demütig. Dabei sah sie ihn aus großen Augen an. Jäh schossen ihr die Tränen in die Augen.

      »Nun heulst du auch schon wieder!«, fuhr er sie grob an. »Mein Gott, bin ich froh, dass ich dich und Heidi bald nicht mehr am Halse habe.«

      Elisabeth schlug die Hände vors Gesicht. Immer reichlicher flossen ihre Tränen. Axel blieb breitbeinig, die Hände in die Hosentaschen gebohrt, vor ihr stehen und sah hasserfüllt auf sie nieder. Wieder einmal sagte er sich, dass die Eheschließung mit dieser Heulsuse ein großer Fehler gewesen war. Er hätte damals auf der Abtreibung bestehen müssen.

      Elisabeth spürte seine Nähe und ließ die Hände sinken.

      »Axel«, bat sie leise. »Nimm uns mit nach Mannheim. Ich werde wieder Geld verdienen. Wir könnten doch so glücklich sein und …«

      »Hör damit auf«, erwiderte er etwas sanfter. »Du kennst mich doch und weißt deshalb, dass mich nichts, aber auch gar nichts von meinem Entschluss abbringen kann. Du bleibst vorläufig mit dem Kind hier.« Er fuhr sich mit beiden Händen durch sein blondes Haar. »Warum verdirbst du mir den letzten Abend?« Er setzte sich neben sie. Natürlich war Elisabeth nach wie vor sehr reizvoll und brachte sein Blut immer noch in Wallung. Er legte seinen Arm um sie und zog sie an sich. »Komm, sei mein liebes Mädchen«, bat er und suchte ihre Lippen.

      Zuerst wehrte sich Elisabeth gegen seine leidenschaftliche Gier, die sie nur zu gut kannte und die sie immer wieder zu seinem willenlosen Werkzeug machte. Seine Arme pressten sie so fest an sich, dass sie kaum atmen konnte. Doch dann wurde er ein zärtlicher Liebhaber, und Elisabeth wollte nichts anderes, als glücklich sein.

      Als er dann mit ruhigen Atemzügen neben ihr lag, hätte sie am liebsten das Licht angeknipst, um ihn zu betrachten. Elisabeth lag ganz still da. Ihr Herz war von tiefer Traurigkeit erfüllt, als ahnte sie bereits, dass das nächste Wiedersehen mit ihrem Mann unter für sie sehr entwürdigenden Umständen stattfinden würde.

      Erst gegen Morgen fiel Elisabeth in einen bleiernen Schlaf, aus dem sie mit einem Ruck hochfuhr. Heidi stand vor ihrem Bett. Sie war schon fertig angezogen. Seit Kurzem tat sie das schon selbst, worauf sie sehr stolz war.

      Elisabeth blickte zur Seite und stellte fest, dass Axel nicht mehr neben ihr lag. Danach durchzuckte sie ein heißer Schreck. Denn Axels Koffer stand nicht mehr auf dem Gestell für Gepäckstücke.

      »Wo ist Vati?«, fragte sie wie erstarrt. Dass er ohne Abschied abgefahren war, erschien ihr unmöglich.

      »Nicht mehr da, Mutti«, erwiderte die Kleine.

      »Dann ist er schon fort?«, fragte Elisabeth benommen und schob die Bettdecke zurück.

      »Ja, Mutti, er ist mit dem Auto fortgefahren. Da ist ein Brief für dich. Ich habe von jemandem im Hotel Briefpapier holen müssen. Vati hat dann beim Frühstück unten in der Gaststube an dich geschrieben und auch Geld in den Brief getan«, erzählte Heidi stolz, ohne zu begreifen, wie sehr ihre Mutter durch die Handlungsweise ihres Vaters verletzt war.

      Elisabeth riss das Kuvert mit bebenden Fingern auf. Zwei Hunderteuroscheine steckten darin und ein Briefbogen mit wenigen Sätzen.

      Liebe Elisabeth«, las sie mit von Tränen verschleierten Augen. »Du hast so tief geschlafen, dass ich Dich nicht wecken wollte. Mir war es sogar lieber, dass ich ohne Abschied abreisen konnte. Du weißt ja, wie sehr ich Tränen verabscheue, und ohne sie wäre der Abschied ja nicht verlaufen. Vorerst lasse ich Dir zweihundert Euro da. Versuche damit so lange wie möglich auszukommen. Ich werde Dir, sobald ich Vorschuss bekomme, wieder Geld schicken. Natürlich kann ich nicht gleich am ersten Tag zu meinem neuen Chef gehen, um ihn darum zu bitten. Das würde einen schlechten Eindruck machen. Ich kann


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