Familie Dr. Norden Classic 41 – Arztroman. Patricia Vandenberg

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solltest du weiterlesen«, sagte sie mit erzwungener Ruhe.

      »Wieso ein anderer Mann?« Jetzt war Sophia noch verwirrter.

      »So könnte sie es gemeint haben. Die Frau war krank, sie hat sich etwas unklar ausgedrückt und der Anwalt hat es so aufgeschrieben, wie sie es sagte. Sie scheint ja sehr krank gewesen zu sein und wollte ihr Gewissen erleichtern.«

      Sophia preßte die Lippen aufeinander. »Sie bringt nur Unglück, ich habe es geahnt. Ist es nicht schlimm genug, daß diese schreckliche Frau meine Mutter ist? Ich möchte nicht wissen, was sie Papa angetan hat. Er ist mein Vater, niemand sonst.«

      »Du liebst ihn, und so wird es auch bleiben. Was immer sie dir mitteilen wollte, es ändert nichts an deinen Gefühlen. Vielleicht hatte sie einen Grund, dir etwas zu sagen, was trotz allem wichtig für dich sein könnte.«

      »Lesen Sie bitte erst weiter, und sagen Sie mir, ob es wirklich für mich wichtig sein könnte«, bat Sophia jetzt etwas ruhiger.

      »Danke für dein Vertrauen, aber du mußt mir versprechen, den Kopf nicht in den Sand zu stecken.«

      »Ich verspreche es.«

      Astrid las noch eine Seite, und sie hätte weitergelesen, weil sie so fasziniert war, aber Käthe rief nach ihr, denn Sven Böring fantasierte. Seine Temperatur war angestiegen, und das war bedenklich.

      Dr. Marlow wurde geholt. Sophia blieb in dem Schwesternzimmer sitzen und begann nun auch wieder zu lesen.

      Ich hatte gerade eine so glückliche Zeit mit Elmo gehabt. Wir waren beide jung, und er war so ein richtiger fröhlicher Junge, aber da mußte er wieder auftauchen, dieser Jason mit all seinem Geld, seinem unwiderstehlichen Charme, dem ich seit meinem siebzehnten Lebensjahr nicht widerstehen konnte, und ich ließ mich wieder von ihm mitreißen. Wir fuhren nach Italien. Elmo nahm es mir nicht übel, weil ich sagte, daß ich Verwandte besuchen wollte. Er war gutgläubig und ahnte nichts von meiner bewegten Vergangenheit. Er hätte wohl auch gar nicht begriffen, daß man mit einundzwanzig Jahren schon solche Vergangenheit haben könnte, denn er war der anständigste Mensch, der mir je begegnet ist.«

      Sophia atmete auf und war erleichtert, weil sie dies nun doch lesen konnte.

      Drinnen war Sven versorgt worden, hatte eine Infusion bekommen und Kompressen auf die Stirn.

      Schwester Käthe war gegangen, um den Medikamentewagen zu holen, da Elmo auch eine Injektion bekommen sollte.

      »Was macht die kleine Ohlsen eigentlich da drüben?« fragte Dr. Marlow.

      »Sie liest den Brief, und er macht ihr sehr zu schaffen. Er ist der Nachlaß ihrer Mutter, die kürzlich gestorben ist.« Ganz leise hatte Astrid gesagt: »Sie braucht seelischen Beistand.«

      »Da ist sie ja bei Ihnen an der richtigen Adresse«, meinte Dr. Marlow lächelnd.

      »Sie ist ein besonders liebes Mädchen. Sie sollten auch behutsam mit ihr umgehen.«

      Er sagte darauf nichts, sondern wandte sich dem Patienten zu.

      »Halten Sie mich für herzlos?« fragte er beiläufig.

      »Für sehr reserviert«, erwiderte sie ehrlich.

      »Das hat schon seine Gründe, aber es ist nett, wenn Sie sich um die Kleine kümmern.«

      Wenn man aus ihm doch nur klug werden könnte, dachte Astrid. Als Arzt bewunderte sie ihn, aber als Mensch war er undurchschaubar, wenn er auch niemals ungerecht oder launisch war.

      »Herr Ohlsen wird bald aufwachen«, sagte er. »Es wäre gut, wenn seine Tochter dann bei ihm wäre, falls sie sich von ihrer Lektüre trennen kann.«

      »Sie muß mit einem großen Problem fertig werden, anscheinend ist Dr. Ohlsen nicht ihr leiblicher Vater, aber das nur zu Ihnen. Sie wußte es bisher nicht.«

      »Das ist allerdings hart in dieser Situation.«

      Sophia hob den Kopf, faltete die Blätter zusammen und steckte sie in den Umschlag. Astrid konnte sehen, daß sie zur Verbindungs­tür ging, und gleich darauf trat sie ein.

      »Darf ich wieder bei ihm sein?« fragte sie leise.

      »Ihr Vater wird sicher bald erwachen, Sophia«, erwiderte er. Er sprach mit ihr wie mit einem Kind, und sie sah ihn an mit Augen, die rein und klar waren.

      »Danke, Doc«, sagte sie.

      »Wofür?« fragte er verlegen.

      »Daß Sie sich so um meinen Vater bemühen. Ich will ihn nicht verlieren.«

      »Sie werden ihn nicht verlieren, das kann ich Ihnen schon versprechen. Schwester Astrid wird auch dafür sorgen.«

      »Das weiß ich.«

      Er sprach noch kurz mit Sophia und Käthe, als sie mit dem Medikamentenwagen kam, dann ging er wieder.

      Sophia sah den beiden Krankenschwestern zu, wie sie die Injektionen fertig machten und Astrid die feine Nadel in Elmo Ohlsens Armvene gleiten ließ. Sie meinte, ein leichtes Zusammenzucken bei ihm gesehen zu haben, aber seine Augen blieben fest geschlossen. Käthe ging zu Sven, um ihm seine Injektion zu geben. Gleich danach verließ sie aber wieder die Intensivstation.

      »Wieviel hast du noch gelesen, Sophia?« fragte Astrid.

      Sophia deutete auf den Schluß der Seite. Ihr Gesicht entspannte sich. »Das ist doch wenigstens ein Trost. Nun werde ich auch alles lesen«, erklärte sie. »Paps darf auf keinen Fall etwas davon erfahren, das ist doch versprochen?«

      »Das ist selbstverständlich«, erwiderte Astrid. Aber für sich dachte sie, wie Sophia wohl damit fertigwerden würde. Sie war ja noch so jung, so unerfahren und so ganz auf Elmo Ohlsen fixiert. Warum mußte sie gerade jetzt in einen solchen Konflikt gebracht werden!

      »Sie sollten sich jetzt auch ausruhen, Astrid«, meinte Sophia. »Wie lange haben Sie überhaupt noch Dienst?«

      »Bis zweiundzwanzig Uhr.«

      »Das sind noch fünf Stunden.«

      »Ich bin es gewöhnt, mach dir keine Gedanken. Du solltest aber lieber heimfahren und dich richtig ausschlafen.«

      »Der Doc hat gesagt, daß Paps bald aufwachen wird.«

      »Aber bestimmt nur für kurze Zeit, dann schläft er wieder lange. Es wäre nicht gut für ihn, wenn er sich um dich auch noch sorgen muß.«

      »Er wird mir schon sagen, was er von mir erwartet und was ich tun soll.« Da vernahm sie einen Seufzer und verstummte.

      Sie griff nach der Hand des Kranken und streichelte sie.

      »Ich bin bei dir, Paps, hörst du mich?« sagte sie.

      Ein Zucken lief über Elmos Gesicht. Ganz langsam hoben sich die Lider, aber die Augen waren trübe und ohne Ausdruck.

      »Bist du wirklich da, Poppi?«

      Es war der Kosename, den sie sich selbst gegeben hatte, weil sie zuerst das S nicht hatte sprechen können. Elmo nannte sie immer so, wenn sie allein waren.

      »Ich bin bei dir, Paps, es wird alles wieder gut werden.«

      »Es ging so schnell, ich konnte nicht mehr tun«, murmelte er.

      »Du lebst, nur das zählt, und du wirst wieder ganz gesund.«

      »Mein Liebling.« Zärtlichkeit lag in diesen zwei Worten, obgleich ihm das Sprechen schwerfiel. »Wirst du dich um die Tiere kümmern? Muck darf nicht zuviel Futter geben.«

      »Ich sorge dafür, Paps. Denk du nur daran, daß du bald gesund wirst.«

      Er seufzte wieder und schlief auch gleich darauf ein. Sanft strich Sophia ihm über das dichte, nur leicht ergraute Haar. Zum ersten Mal wurde ihr richtig bewußt, daß er, ein attraktiver Mann und gerade erst vierundzwanzig Jahre jung, als sie geboren wurde, nie eine Freundin hatte oder ernsthaftes Interesse an einer Frau zeigte. Er war immer nur für sie dagewesen. Sarah hatte ihn in die Rolle des Vaters gezwungen,


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