Der neue Sonnenwinkel Jubiläumsbox 1 – Familienroman. Michaela Dornberg

Der neue Sonnenwinkel Jubiläumsbox 1 – Familienroman - Michaela Dornberg


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musste als einen Hörsaal einer Universität.

      Er hatte das BWL-Studium angefangen, weil ihm nichts besseres eingefallen war, und sie war dem Drängen ihrer Eltern gefolgt. In den Semesterferien hatten sie auf einem Kreuzfahrtschiff einen Job als Animateure angenommen und waren durch die Karibik geschippert, hatten Spaß gehabt, viel gesehen und dabei auch noch Geld verdient.

      Nach dieser Kreuzfahrt waren sie das gewesen, was man Studienabbrecher nannte.

      Hier und da waren sie noch auf Schiffen gewesen, wenn es interessante Reisen waren, ansonsten waren sie durch die Welt gereist und hatten die Jobs angenommen, die sich boten, um das Geld für die Weiterreise zu haben. Sie hatte ihr Hobby, das Kochen, zu ihrem Beruf gemacht und es sogar bis in die Küche des Waldorf Astoria in New York geschafft, wo man sie ungern hatte gehen lassen.

      Irgendwann hatten sie festgestellt, dass man in Montevideo oder in Kapstadt, in Neuseeland, Australien, Kanada oder wo auch immer auf der weiten Welt auch nur in Betten schlafen konnte.

      Sie hatten vieles gesehen, waren ein wenig müde geworden, und da bekamen sie die Nachricht von der Erbschaft. Hubert hatte von einem Onkel nicht nur ein Mehrfamilienhaus geerbt, sondern auch ein stattliches Vermögen.

      An das Mehrfamilienhaus gingen sie nicht ran, weil das ihre Altersabsicherung war, doch für das Geld kauften sie den Gasthof »Seeblick«, weil sie zu dem Zeitpunkt nichts weiter haben wollten als Ruhe.

      Und dann waren sie in eine Tretmühle geraten, in der sich das Rad immer schneller zu drehen begann. Sie waren, ohne es zu merken, vom Alltag aufgesogen worden, waren träge geworden, was ihre eigenen Bedürfnisse betraf.

      Wie hatte es dazu kommen können?

      Sie wusste es nicht. Es war ein schleichender Prozess gewesen.

      Das Schrecklichste war, dass sie einander verloren hatten, ohne es zu merken.

      Hubert hatte sich hinter seinem Tresen verschanzt, eifrig mit seinen Gästen gebechert, mehr als nötig gegessen und sich kaum bewegt.

      Und sie?

      Sie hatte sich in der Küche ausgetobt und da so eine Art von Profilneurose entwickelt, die darin mündete, dass sie niemanden an den Herd ließ, dessen alleinige Herrscherin sie sein wollte, bis zur Erschöpfung und bis zum Zusammenbruch, der beinahe tödlich geendet hätte.

      Warum hatten sie das alles zugelassen?

      Warum waren sie beide ihre eigenen Wege gegangen, die für sie beide nicht gut gewesen waren?

      Auch diese Frage konnte sie sich nicht beantworten. Eine Antwort könnte vielleicht sein, dass sie in den Jahren ihrer Wanderschaft zu sehr aufeinandergeklebt hatten und danach ein wenig Abstand nötig gewesen war.

      Sie stand wieder auf, ging langsam weiter.

      Als er die drei Worte »ich liebe dich« ausgesprochen hatte, war ihr bewusst geworden, wie sehr sie ihn ebenfalls liebte. Er war träge geworden, hatte an Gewicht erheblich zugelegt, sein Blutdruck stimmte nicht, aber er war noch immer der Mann, auf den sie sich eingelassen hatte. Er würde sie wieder besuchen, und dann würde sie ihm diese drei Worte zuflüstern, und dann …

      Dann würden sie gemeinsam überlegen, wie es mit ihnen weitergehen, wohin ihr Weg sie führen wollte.

      Weg vom Seeblick?

      Noch war es unvorstellbar, doch es sah ganz danach aus, und dann würden sie keine Studienabbrecher sein, sondern … Wie sollte man es nennen? Berufsaussteiger? Existenzabbrecher?

      Es war zu früh, sich darum Gedanken zu machen.

      Was immer auch geschehen würde, sie würden es Seite an Seite tun. Sie und Hubert waren ein gutes Team, das hatten sie bewiesen, es vorübergehend nur vergessen.

      Sie lebte, und das allein war es, was zählte.

      Und Hubert war an ihrer Seite, ihr Hubert …

      Ein weiches Lächeln umspielte ihre Lippen, wenn sie an ihn dachte. Und das war ein gutes Zeichen.

      *

      Stella Auerbach war ein ausgesprochener Familienmensch. Sie genoss es, für ihren Mann und ihre beiden Töchter da zu sein, und sie sah es auch als ihre Pflicht an, mit ihren Eltern, den Schwiegereltern und dem Rest der Familie in Kontakt zu sein.

      Böse Zungen würden jetzt behaupten, dass ihr das auch die Erbschaft von Tante Finchen eingebracht hatte.

      Doch zu Stellas Rechtfertigung musste gesagt werden, dass sie sich fürsorglich um Finchen gekümmert hatte, die schwierig gewesen war, um nicht zu sagen, unleidlich. Sie hatte Finchen eingekleidet, ihren Kühlschrank gefüllt und ihr hier und da sogar Geld zugesteckt. Niemand hatte ahnen können, dass Finchen ein Vermögen unter dem Kopfkissen gebunkert hatte, das Stella vermacht worden war.

      Für Fabian, Stellas Bruder, der leer ausgegangen war, war das vollkommen in Ordnung gewesen.

      Für alle anderen auch, nur nicht für die Rückerts, Stellas und Fabians Eltern. Die hatten es ganz unmöglich gefunden, waren der Meinung gewesen, zunächst einmal stünde ihnen das Geld zu. Sie hatten jedoch zum Glück Finchens Testament nicht angefochten. Das hätte sie ins Gerede gebracht, und das wollten sie auf keinen Fall. Heinz und Rosmarie Rückert waren sehr auf ihren guten Ruf und ihre gesellschaftliche Stellung bedacht. Sie waren schließlich wer in Hohenborn. Sie hatten es doch auch überhaupt nicht nötig, sie ­waren das, was man als sehr wohlhabend, vielleicht sogar reich, bezeichnen konnte. Aber es war vermutlich wirklich so, dass jeder, der bereits mehr als genug besaß, immer noch mehr haben wollte, den Hals einfach nicht vollkriegen konnte.

      Ja, die Rückerts …

      Sie waren nett, keine Frage, aber sie dachten halt in erster Linie an sich, an ihre eigenen Bedürfnisse, da hatten sich wirklich die Richtigen gefunden.

      Stella hätte an diesem Nachmittag lieber etwas anderes unternommen, anstatt ihre Eltern zu besuchen. Doch diese Nachmittagsbesuche zu festen Zeiten hatten sich eingebürgert, und Stella traute sich nicht, daran zu rütteln. Ihre Eltern, ganz besonders ihre Mutter, würden das nicht verstehen, sie wäre beleidigt.

      Wie anders waren da doch ihre Schwiegereltern, die Au­erbachs. Bei denen konnte man absagen, konnte man Termine kurzfristig verschieben. Die waren in jeder Hinsicht pflegeleicht. Sie waren offen, herzlich, liebevoll. Und zuerst lag ihnen das Wohl ihrer Kinder, Schwiegerkinder und Enkel am Herzen.

      Stella hatte sich vom ersten Augenblick an bei den Auerbachs heimisch gefühlt, aufgenommen und verstanden.

      Wahrscheinlich hatten ihr Bruder Fabian und sie sich auch aus diesem Grunde sofort in zwei der Auerbach-Sprösslinge nicht nur verliebt, sondern sie auch geheiratet.

      Sie und Jörg Auerbach waren ein Paar, und Fabian war mit Ricky sehr, sehr glücklich.

      Wärme und Herzlichkeit hatten Stella und Fabian bei ihren Eltern niemals kennengelernt. Für den Notar Rückert und seine Frau war immer nur ein Leben nach Außen wichtig gewesen, und daran hatte sich bis heute nichts verändert. Warum sie überhaupt Kinder hatten, diese Frage konnten sie sich vermutlich nicht einmal selbst beantworten. Wahrscheinlich waren Fabian und Stella für sie so etwas wie Statussymbole, die halt dazugehörten. Und Familien machten sich auf Fotos immer gut.

      Sie und Fabian waren mit Kinderfrauen groß geworden, die sich um ihre Bedürfnisse gekümmert hatten, die dagewesen waren bei Krankheit und kleinen Kümmernissen.

      Es war gut gegangen. Und deswegen waren die Rückerts fest davon überzeugt, alles richtig gemacht zu haben.

      Stella fuhr vor der eleganten Villa vor, parkte.

      Es war nicht ihr Elternhaus, das war verkauft worden, und sie und Fabian fragten sich noch immer, welcher Teufel ihre Eltern geritten hatte, sich eine so große, moderne Villa bauen zu lassen, die sie allein bewohnten.

      Wegen der Leute?

      Um Reichtum zu demonstrieren?

      Stella fand die Villa schrecklich, und da stimmte sie mit ihrem Bruder, mit dem sie nicht immer


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