Männermaladien. Michael Bahnherth

Männermaladien - Michael Bahnherth


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      Vorwort

      Was ich am Begriff Maladie am meisten schätze, ist, dass er einem das Gefühl gibt, als ob man daran nur ein bisschen leiden könnte und sterben schon gar nicht. Ich weiss, dass Maladie mit Krankheit ins Deutsche übersetzt wird, aber das scheint mir übertrieben. Maladie ist ein zärtliches Wort, eines, in dem kein Vergehen und kein unermesslicher Schmerz zu wuchern scheint. Aber ich könnte auch falsch liegen und es mir schönreden, weil ich verführt bin von seinem Klang, dessen Melodie ein leiser Weltschmerz und dessen Ton die Melancholie ist.

      Gelegentlich fühlt sich Leben an wie etwas Festes, wie etwas Geformtes, aber das ist nie von Dauer. Jedenfalls bei mir nicht, und vielleicht liegt es daran, dass es ein Männerleben ist. Frauen schienen mir schon immer gefestigter, verwurzelter im Sein, und die Erde ist Mutter, nicht Vater.

      So halte ich mich fest am Unhaltbaren und hoffe trotzdem auf grosse und kleine Wunder und auf ein wenig Erlösung oder zumindest Trost. Ich halte mich fest an Zweisamkeit, an Sex, an Freundschaft, an Träumen, am Lachen, an Alkohol, am Rauschen des Meeres, am Sternenhimmel, an der Seele einer Frau, immer in der Hoffnung, dass jene raren Momente von mir gehalten werden wollen, die uns von uns selbst und gleichzeitig zu uns hin entführen und sich anfühlen wie loslassen.

      Manchmal habe ich Glück dabei, manchmal nicht. Von diesen Reisen eines Mannes in die Welten, in denen er tatsächlich lebt, und in jene, in denen er gerne sein würde, erzählen die Maladien.

      Ich glaube, dass eine Existenz ein Leben lang nie endgültig ankommt, und dann stirbt sie. Das ist alles, aber man kann trotzdem eine Menge Spass haben.

       Michael Bahnerth

      Leben mit Selbstliebe

      Wahrscheinlich besitze ich kein Haus und auch keine Eigentumswohnung, weil ich immer noch auf der Suche bin nach meinem Platz in der Welt. Daran ist nichts Dramatisches oder gar Pathologisches, obwohl jeder Therapeut vermutlich gleich diagnostizieren würde, dass sich als tieferer Grund dahinter eine Unfähigkeit verbirgt, sich dauerhaft auf etwas einzulassen und Verantwortung zu übernehmen. Dass ich deswegen auch nicht wirklich und dauerhaft lieben, sondern immer nur verliebt sein könnte. Weil ich kein Haus in mir habe, kein Fundament auch, und weil ich einige Krankheitssymptome des «puer aeternus», des ewigen Jünglings, aufweise und ein Leben lang stets im Übergang zum Erwachsenen verharre, das Glückselig-Kindliche aber nie werde zurücklassen können. «Doktor», würde ich dann sagen, ich kann lieben, ein bisschen wenigstens, mich zum Beispiel, das ist gar nicht einfach, fragen sie meine Exfrauen, worauf der Therapeut antworten würde, das sei eine kindliche Antwort, und ich würde den Therapeuten fragen, wie sie denn so sei seiner Meinung nach, die erwachsene Liebe, und er würde sagen, erwachsene Liebe besitzt die Fähigkeit zur Selbstlosigkeit, ist grösser als die Eigenliebe. Und ich würde dann in das Haus meiner Gedanken kriechen und mich fragen, ob ich das könnte, jemanden mehr lieben als mich selbst, weil, Jesus bin ich ja nicht. Ich glaube dennoch: ja, schon, oder unter Umständen. Weil im Grunde bin ich ja bloss gelegentlich verliebt in mich. Um ehrlich zu sein, so die ganz grosse Liebe zwischen mir und mir als Grundgroove meines Seins ist das nicht, es ist eher ein evolutionäres Zweckbündnis, wie eine altmodische Ehe vielleicht. Ich und ich, wir stehen uns bei, um geschmeidiger über die Runden zu kommen, und manchmal verlieben wir uns ineinander und starten durch für ein paar Momente.

      Klar ist ja, dass wer sich nicht selbst liebt, auch nicht andere lieben kann, und jetzt kommt mir in den Sinn, dass wer schreibt, er sei bloss gelegentlich in sich verliebt, nicht nichts anderes kann vermutlich, als nur verliebt zu sein. Kommt hinzu, dass wenn ich verliebt bin, ich das Gefühl habe, auch zu lieben, und dass ich eine Liebe ohne ein sich immer wieder erneuerndes Verliebtsein gar nicht möchte. Dann doch lieber das Zweckbündnis zwischen mir und mir, dieser gemeinsame Haushalt. Das Haus, ja. Ich bin zum Schluss gekommen, dass ich kein Typ bin, der ein Haus besitzen muss oder eine Eigentumswohnung. Ich bin lieber zu Gast. Die Welt ist meine Wohnung. Ich liebe die Welt, irgendwie und trotz allem, ich liebe alles an ihr, ihre Schönheit, ihre Brutalität, ihre Unzulänglichkeit, ihre Ungerechtigkeit, dass sie mich hält und dann doch einen Moment später fallen lässt. Die Welt ist okay.

      Wo jetzt dieser triefende Pathos plötzlich herkommt; keine Ahnung. Ebenso wenig, was mich dazu gebracht hat, einen sabbernden Sermon über Selbstliebe et cetera zu tippen. Ich nehme alles zurück, wenn das geht, denke nochmals darüber nach und schreib es dann erneut. Ich hätte jetzt doch gerne ein Haus, fernab irgendwo, in lieblicher Landschaft mit zärtlichem Wind und sanftem Meer vor der Tür, und ich würde gerne lieben dort und geliebt werden. Ohne nachzudenken, und die Welt irgendwo weit weg.

      Leben mit Therapie (I)

      Ich sass liegend da, wie immer beim Therapeuten. Vor dem Fenster flog der Himmel vorbei, ein Baum tanzte, auf einem Ast machten zwei Tauben Liebe, und ich fragte mich, wann die Last meines Lebens begann, stärker zu sein als meine Kraft, und wann die Kunst, die Last zu tragen und dennoch zu fliegen, mir entflog. Und ob dieses Gefühl bloss vorüberziehende Laune war oder stationäres Leid. War ich bloss down in dem Ausmass, dass ein paar Whiskys mit den richtigen Leuten genügen würden, um mich wieder zu justieren? Oder war ich schon so ausgebrannt, dass ich nicht mal mehr die Energie hatte für ein paar Whiskys mit den richtigen Leuten?

      «Michael, was denken Sie?», fragte mein Therapeut.

      «Nichts. Ich schau zwei Tauben beim Vögeln zu.»

      «Aha. Und was sehen Sie, Michael?»

      «?»

      «Was löst dieses Bild in Ihnen aus?»

      «Verlust von Leichtigkeit», sagte ich.

      «Wann, denken Sie, Michael, haben Sie Ihre Leichtigkeit verloren?»

      «Mit dem Ende der Stillzeit, der Scheidung meiner Eltern, der Enttäuschung von der letzten Liebe, der letzten Rechnung meines Therapeuten?»

      «Sie müssen hier nicht witzig sein, Michael.»

      «Sie könnten etwas witziger sein, Doktor.»

      «Es geht hier nicht um mich, Michael.»

      «Ja, ja. Übrigens, die Tauben vögeln nicht mehr.»

      «Macht Sie das traurig, Michael?»

      «Na ja, alles ist mal zu Ende. Das ist Leben. Alles ausser Therapien wahrscheinlich.»

      «Fragen Sie sich gelegentlich, weshalb die Sucht nach Leichtigkeit als Lebenseinstellung die Tendenz hat, irgendwann zur Last zu werden, und warum verdrängte Lasten nie leichter werden, Michael?»

      «Weil wir keine Tauben sind?»

      Leben als Schatzsucher (I)

      Manchmal packen sie mich wieder, die Sehnsüchte aus der Zeit in meinem Leben, in der meine Existenz ein cineastisches Tagtraum-Gebilde war. Ich träumte meist, was ich gerade las, und das waren Schatzsucher-Bücher. Ich war ganz versessen darauf, irgendwo am schönen andern Ende der Welt einen Schatz zu finden, dort, wo das Meer unendlich ist, nur unterbrochen von kleinen, palmenbewachsenen Inseln, wo ein Wesen wie Brooke Shields gestrandet und so prall mit reiner Liebessehnsucht gefüllt ist wie eine überreife Kokosnuss mit Saft.

      Zusammen würden wir in die dicht bewaldeten Hügel der Insel aufbrechen, Felswände überwinden, in ein abgelegenes Tal gelangen, das sich paradiesisch hinter einem schmalen Felsspalt auftut. Am Ende des Tals wäre eine Höhle, mit Fackeln gingen wir hinein, Hand in Hand, folgten den Gängen mit seltsamen Malereien aus einer andern Welt, würden Schreie hören und dann die Tempelwächter sehen, schwarze Wesen mit Kalkmasken und scharf geschliffenen Zähnen. Brooke würde hinter meinem Rücken Zuflucht suchen, ich die Tempelwächter dramatischerfolgreich bekämpfen, und danach lägen wir uns in den Armen … Ja, ich weiss. Ich war 15 damals.

      Das waren schöne Nachmittage, trotz 15 und Pickeln und der Tatsache, dass die tollen Frauen


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