Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Komödie . Luise Adelgunde Victorie Gottsched

Die Pietisterey im Fischbein-Rocke. Komödie  - Luise Adelgunde Victorie Gottsched


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Sie irren sich sehr! Ich habe die Tugend jederzeit geehret und geliebet: Aber, wenn ich ihnen die Wahrheit sagen soll, diejenige, so Scheinfromm ausübet, hat mir niemahls gefallen wollen.

      FRAU GLAUBELEICHTIN. Warum denn nicht?

      HERR WACKERMANN. Ich will nicht sagen, daß Scheinfromm ein dummer Mensch ist, der nichts weiter als einige heilige Geberden an sich hat. Ich sage nur, daß, seit der Zeit die Frau Schwester ihr Vertrauen auf ihn gesetzt haben, ihr gantzes Haus-Wesen im Verfall geräth. Das Gesinde kriegt keinen Lohn; die Töchter werden nicht versorgt; ihr Haus ist der allgemeine Sammelplatz von [29]den närrischsten Schmieralien und Leuten, die nur in der Stadt sind: Und da sie vormahls auf meinen Rath noch etwas gaben, so geben sie sich jetzo kaum die Mühe, mich anzuhören.

      FRAU GLAUBELEICHTIN. Ey, Herr Bruder! ein wenig Sanfftmuth und Liebe! Sie kennen die wahre Tugend noch sehr schlecht.

      HERR WACKERMANN. Es sey drum. Aber kurtz von der Sache zu reden, der arme Liebmann jammert mich. Lassen sie sich doch erbitten, Frau Schwester! Was haben sie davon, zwey junge Leute zu quälen?

      FRAU GLAUBELEICHTIN. Herr Liebmann mag sich quälen, wie er will. Was aber meine Tochter betrifft, so bin ich von ihr eines gantz anderen überführt. Sie kennen sie und ihre Erziehung gewiß sehr schlecht. Das arme Kind denckt viel ans Heyrathen. Behüte GOtt! seit dem sie unsere Schrifften gelesen hat, so beschäfftiget sie sich mit viel ernsthaffteren Sachen.

      HERR WACKERMANN. Sie meynen also, die Jungfer Muhme sey mit ihren Zänckereyen so gar beschäfftiget, daß sie darüber das Heyrathen vergisst? Wenn sie das glauben, so kan ich ihnen berichten, daß sie von uns zweyen diejenige Person sind, welche sich irret.

      FRAU GLAUBELEICHTIN. Nun gewiß, sie sind recht halßstarrig! Ich will sie herruffen, damit ich den Herrn Bruder nur überzeuge. Komm her, Luischen! man hat dir was zu sagen.

      HERR WACKERMANN. Meinetwegen. Allein erlauben sie ihr auch, ihre Gedancken frey zu sagen: Und, wenn sich die Sache so verhält, wie ich dencke, so willigen sie endlich in unsere Bitte.

      [30]FRAU GLAUBELEICHTIN. O! wenn sich die Sache so verhält, so werde ich schon selbst wissen, was zu thun ist.

      Fünfter Auftritt.

       Frau Glaubeleichtin, Herr Wackermann, Jungfer Luischen.

      FRAU GLAUBELEICHTIN. Luischen! Glaubst du wohl, daß dich hier der Herr Vetter je eher je lieber an den Herrn Liebmann verheyrathet wissen will? Antworte! ich bin gewiß versichert, daß es dir nicht in den Sinn kömmt.

      JUNGFER LUISCHEN. Was würde es mir helffen, wenn ich gleich daran gedächte?

      FRAU GLAUBELEICHTIN. So denckst du nicht mehr daran?

      JUNGFER LUISCHEN. So wenig, als möglich ist.

      FRAU GLAUBELEICHTIN. Nun, Herr Bruder! da sehen sie es.

      HERR WACKERMANN. Wie? sehen sie denn nicht, daß sie nur nicht das Hertz hat zu reden?

      FRAU GLAUBELEICHTIN. Mein GOTT! wie eigensinnig sind sie! Luischen! ich sage es dir noch einmahl, und befehle es dir, sage uns deine rechte Meynung.

      JUNGFER LUISCHEN. Mama! wenn ich sähe, daß es ihnen ein Ernst wäre, mich zu verheyrathen, so wollte ich ihnen gantz gerne meine rechte Meynung sagen: Da ich aber weiß, daß dieß nicht ist; so ists unnöthig, ihnen meine Gedancken zu entdecken.

      [31]HERR WACKERMANN. Nun! da hören sie es.

      FRAU GLAUBELEICHTIN. So! so! du bist sehr vorsichtig, wie ich sehe. Erkläre dich, und sage uns deine Meynung.

      JUNGFER LUISCHEN. Ich darf nicht.

      FRAU GLAUBELEICHTIN. Wie? du darffst nicht?

      JUNGFER LUISCHEN. Nein, Mama! sie möchten böse werden.

      FRAU GLAUBELEICHTIN. Ach! ich verstehe dich nur gar zu wohl, du Raben-Aas! Du willst deine eigene Schande nur nicht bekennen. Der Liebmann ist dir ans Hertze gewachsen. Alle die heiligen Leute, welche bey mir aus und eingehen; alle die Frauen, welche wider die Orthodoxie und für die Gnade so sehr eifern; alle die bedeuten nichts bey dir gegen deinen Liebmann. Das ist der Gegenstand deiner irrdischen Lüste, welche im Hertzen herrschen; das sind die Gedancken, womit du umgehst, an statt, daß du höhern Dingen nachstreben, und die heiligen Bücher, welche man dir in die Hände liefert, geniessen solltest. Hast du wohl schon das geringste in dem Buche gelesen, was ich dir gab?

      JUNGFER LUISCHEN. Ja, Mama! aber – – –

      FRAU GLAUBELEICHTIN. Nun! was aber?

      JUNGFER LUISCHEN. Der blosse Titel des Buchs kömmt mir schon so grob und eifrig vor, daß ich das Werck unmöglich werde lesen können? Und was lerne ich auch daraus?

      FRAU GLAUBELEICHTIN. Was du daraus lernst? du dummes Thier!

      HERR WACKERMANN. O schön! das nennt man Sanfftmuth und Liebe!

      FRAU GLAUBELEICHTIN. Daraus lernst du, was die [32]Wittenberger für gefährliche und der wahren innern Religion schädliche Leute sind.

      HERR WACKERMANN. Gut! das nennt man das Christenthum!

      FRAU GLAUBELEICHTIN. Welche die Sittenlehre verderben; die Sitten selbst verkehren, den gantzen innern Menschen zernichten, und die Liebe zu GOtt nicht dulden können.

      HERR WACKERMANN. Mein GOtt! was Liebe und Sanfftmuth!

      JUNGFER LUISCHEN. Aber liebe Mama – – –

      FRAU GLAUBELEICHTIN. Nun?

      JUNGFER LUISCHEN. Was brauch ichs, die Orthodoxen zu kennen?

      FRAU GLAUBELEICHTIN. Wie? du ungelerniges Thier? Christus in uns; die Freyheit der Kinder GOttes; die Gesetze der Liebe; der unumstößliche Grund des gantzen Christenthums; die unbefleckte Lauterkeit des Hertzens; ist dir das alles gleich viel?

      HERR WACKERMANN. Potz tausend, Frau Schwester! wo nehmen sie alles das schöne Zeug her? das sind ja Wörter, womit man vier Theologische Responsa ausspicken könnte.

      JUNGFER LUISCHEN. Behüte mich GOtt dafür, Mama. Ich verehre alles das, als heilige Sachen; aber ich sehe nicht, was ich mich drein zu mischen habe; und ob überhaupt ein Frauenzimmer – – – –

      HERR WACKERMANN. Warhafftig, sie hat recht! und wenn ihr wollt, daß sie das alles wissen soll; so müßt ihr sie nach Wittenberg oder Rostock schicken.

      FRAU GLAUBELEICHTIN. A ha! Du siehst nicht? dein [33]Liebmann hindert dich ohne Zweifel daran! Nun, es ist schon gut! weil du so gerne verheyrathet seyn willst; so kan es noch eher geschehen, als du denckest; aber nicht mit deinem Liebmann, das berichte ich dir.

      JUNGFER LUISCHEN. Ach, Mama!

      FRAU GLAUBELEICHTIN. Bekümmere dich nicht! man hat mir einen jungen Menschen vorgeschlagen, der sich viel besser für dich schickt, als Liebmann. ich werde darauf dencken. Itzt kannst du gehen; aber schicke mir Cathrinen her.

      JUNGFER LUISCHEN. O mein GOtt! (Geht ab.)

      Sechster Auftritt.

       Frau Glaubeleichtin, Herr Wackermann, Cathrine.

      HERR WACKERMANN. Sie sehen also wohl, daß ich recht habe.

      FRAU GLAUBELEICHTIN. Ja, ich sehe, daß sie sich um meine Sachen ein wenig zu sehr bekümmern: Sie könnten mich mit meinen Kindern nur zu frieden lassen, wenns ihnen beliebt.

      HERR WACKERMANN. Wie? soll denn der arme Liebmann gar nichts zu hoffen haben?

      FRAU GLAUBELEICHTIN. Gantz und gar nichts! Cathrine, vergiß nicht den Herrn Scheinfromm zu mir zu bitten.

      HERR WACKERMANN. Ist ers vielleicht, der ihnen den jungen Menschen zum Schwieger-Sohne vorgeschlagen hat?

      FRAU GLAUBELEICHTIN. Was geht es ihnen an? Ja, er


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