Dr. Norden Extra 4 – Arztroman. Patricia Vandenberg
erwartet, er eine weit weniger attraktive Vertreterin von Dr. Jankovski.
»Wo sollen wir anfangen?« fragte er leicht verlegen.
»Das weiß ich auch nicht so recht«, erwiderte sie mit einem flüchtigen Lächeln. »Für mich kam die Reise ganz überraschend. Eigentlich wollte ja Dr. Jankovski sich mit Ihnen treffen.«
»Mit meinem Vater, um es genau zu sagen. Aber mein Vater war auch plötzlich verhindert. Sollte das vielleicht ein Ablenkungsmanöver sein?«
»Inwiefern?« fragte Vanessa überrascht. »Und warum?«
»Weil wir einer ganz brisanten Geschichte auf der Spur sind, die weite Kreise ziehen kann, und in die möglicherweise auch sehr prominente Leute verwickelt sind.«
»Liebe Güte, das ist ja wahnsinnig spannend«, sagte Vanessa. »Bitte, erzählen Sie mehr.«
»Ich weiß nicht, ob das gut ist. Sie könnten dadurch auch in Gefahr geraten. Wir sollten lieber so tun, als wäre es ein ganz privates Treffen. Ich bin mißtrauisch und fühle mich ständig beobachtet.«
»Jetzt auch?«
»Ich bilde es mir vielleicht auch ein, aber da sitzt ein Mann, den ich auch schon in Düsseldorf am Flughafen gesehen habe. Ich habe ein gutes Personengedächtnis.«
»Dann sollten wir uns jetzt vielleicht lieber trennen«, meinte Vanessa. »Ich muß sowieso noch einen Besuch bei Dr. Norden machen. Ich werde mir jetzt ein Taxi kommen lassen.«
»Ich habe einen Mietwagen. Ich kann Sie gern hinbringen. Ich halte es nicht für gut, wenn wir uns jetzt trennen.Wir sollten eher etwas vertrauter miteinander sein.«
»Wie Sie meinen, mir fällt es nicht schwer«, erwiderte sie mit einem umwerfenden Lächeln.
»Mir auch nicht, Vanessa.« Sie errötete, als er ihr tief in die Augen sah.
Das Päckchen hatte sie in ihrer Tasche, und diese hielt sie unwillkürlich noch fester an sich gedrückt, als sie das Hotel verließen, denn ihr war es nicht entgangen, daß der Mann, von dem Jörg Holbruck gesprochen hatte, aufgestanden war, als sie den Teeraum verließen. Sie hatte es in dem Spiegel an der gegenüberliegenden Wand gesehen.
Jörg hatte sie angesteckt mit seiner Vorsicht, aber sie fand es seltsam, daß sie ihm gegenüber gar nicht mißtrauisch war.
Jörg Holbruck kannte sich in München gut aus. Er hatte allerdings auch einen Stadtplan bei sich und fand die Straße mit geübtem Blick, zu der sie fahren mußten.
»Ist das der Dr. Norden, der auch Mitbesitzer des Sanatoriums Insel der Hoffnung ist?« fragte Jörg.
»Das weiß ich nicht. Ich kenne ihn nicht. Ich soll ihm nur etwas von Dr. Jankovski bringen. Sie kennen meinen Chef?«
»Nur dem Namen nach. Mein Vater kennt ihn. Sie lernten sich zufällig auf einem Flug nach Spanien kennen. Hat Jankovski nicht darüber gesprochen?«
»Nein, er ist mein Chef, ich kenne ihn nur beruflich. Ich muß sagen, daß es mich sehr erstaunt hat, daß er mich nach München schickte. Ich bin ja erst Volontärin, und wenn es um Kunstfälschungen geht, bin ich ein völliger Laie. Er fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, das Oktoberfest zu besuchen.«
»Haben Sie Lust?« fragte Jörg.
»Ich bin nicht abgeneigt.«
»Dann nehmen wir es uns doch für morgen vor, oder müssen Sie schon zurück?«
»Erst am Sonntag, sonst hätte es sich ja wirklich nicht gelohnt«, erwiderte sie. Aber jetzt kam es ihr doch merkwürdig vor, daß Dr. Jankovski sie geschickt hatte, und Dr. Holbruck seinen Sohn. Konnte das nicht eine besondere Bedeutung haben? Ein Ablenkungsmanöver, wie Jörg gemeint hatte?
Aber traute ihr Jankovski denn zu, daß sie mit einer umgewöhnlichen Situation fertig werden konnte?
»Ich würde gern wissen, was dieser Dr. Norden für ein Mensch ist«, sagte Jörg nachdenklich.
»Er ist Arzt.«
»Und was sollen Sie ihm bringen?«
»Ein Päckchen, von dem Inhalt habe ich keine Ahnung.«
Sie sah ihn von der Seite her forschend an. »Sie sind aber sehr mißtrauisch.«
»Ich versuche nur zu kombinieren. Wie paßt das zusammen: Mein Vater, Herbert Jankovski, Robert Kestner, Dr. Norden. Irgendeine Verbindung muß da bestehen.«
»Ich weiß dazu nichts zu sagen. Ich kenne nur Dr. Jankovski und jetzt Sie, und ich frage mich, welche Rolle ich spiele.«
»Jedenfalls scheint Ihr Chef großes Vertrauen zu Ihnen zu haben.«
»Ich fand es toll, daß er mich nach München schickte.«
»Ich finde es jetzt auch toll, daß mein Vater mich schickte«, sagte Jörg mit einem hintergründigen Lächeln.
Gleich darauf hielten sie vor Dr. Nordens Haus. »Wenn Sie ihn kennenlernen wollen, müssen Sie mitkommen«, sagte Vanessa.
»Ich warte lieber im Wagen. Es wird doch nicht lange dauern?«
»Ich gebe nur das Päckchen ab. Ich werde es mir bestätigen lassen.«
»Das ist immer gut. Bis bald, Vanessa.«
Danny, der älteste von Dr. Nordens Kindern, öffnete ihr die Hausstür. Er war immer fix und manchmal auch neugierig. Er hatte gehört, daß sich die Eltern unterhalten hatten, was Robert Kestner ihnen wohl schicken würde, und er hatte auch mitbekommen, daß Kestner inzwischen gestorben sei. Es klang sehr spannend, und das mochte Danny.
Vanessa sah aber ganz harmlos aus, allerdings wirklich sehr
hübsch, das registrierte Danny auch schon.
Jetzt kam Fee in die Diele. »Frau Lindow«, sagte sie freundlich. »Nett, daß Sie kommen. Bitte...« Sie machte eine Handbewegung zum Wohnraum.
»Ich will Sie gar nicht stören, nur das Päckchen abgeben.«
»Aber doch nicht zwischen Tür und Angel.«
»Dr. Holbruck hat mich hergebracht. Er wartet im Wagen.«
»Dr. Holbruck? Dann bitten wir ihn doch herein. Der Name ist mir bekannt. Mein Vater kennt ihn gut.«
Es ist merkwürdig, noch eine Verbindung, dachte Vanessa. Langsam wurde es ihr ein bißchen unheimlich. Neugierig war sie jetzt auch.
»Danny, sag mal dem Herrn, der im Auto wartet, Bescheid, daß er hereinkommen soll«, rief Fee ihrem Sohn zu. Und zu Vanessa gewandt: »Bei uns geht es locker zu. Sie müssen sich nichts denken. Wir haben fünf Kinder.«
»Fünf Kinder«, wiederholte Vanessa staunend, und schon kam Danny mit Jörg herein, der Fee Norden formvollendet begrüßte.
Daniel Norden hatte noch mit seinen Zwillingen gespielt, die nun von Lenni zu Bett gebracht wurden. Er musterte die Gäste forschend und begrüßte sie dann lächelnd.
Fee fing von der Insel der Hoffnung an, und Jörg erinnerte sich, daß sein Vater von Dr. Cornelius, Fees Vater, erzählt hatte.
»Ich war zu der Zeit im Ausland«, erzählte Jörg. »Es war nach dem Tod meiner Mutter, als Vater auf der Insel der Hoffnung Trost suchte. Es ist ihm gut bekommen, er sollte es wiederholen. Er mutet sich ein bißchen viel zu.«
Die Kinder waren verschwunden, nachdem sie festgestellt hatten, daß die Unterhaltung für sie nicht von Interesse war. Und Jörg brachte es geschickt heraus, daß Dr. Norden nur Robert Kestner persönlich gekannt hätte.
»Er war vor Jahren mein Patient, und ich hatte Glück, eine so genaue Diagnose stellen zu können, daß eine Operation, zu der er sich entschloß, sein Leben für Jahre verlängerte. Er würde bestimmt noch leben, wenn er nicht durch einen Unfall gestorben wäre. Er war ein interessanter Mann.«
»Würden Sie mir das Päckchen bitte bestätigen?« sagte Vanessa.