Sophienlust - Die nächste Generation 3 – Familienroman. Ursula Hellwig
beiden jungen Leute sich ineinander verliebt und geheiratet hatten. Liana da Silva dachte nun gar nicht mehr daran, jemals wieder nach Deutschland zurückzukehren. Galicien war zu ihrer zweiten Heimat geworden, die sie liebte. Mit ihrem Mann war sie glücklich, und auch ihre Schwiegereltern mochte sie sehr. Im Leben des jungen Paares gab es eigentlich nur einen wunden Punkt: Sie hatten sich von Anfang an Kinder gewünscht, nach ihren Idealvorstellungen einen Sohn und eine Tochter. Aber Liana war nie schwanger geworden. Schließlich waren entsprechende Mediziner zu Rate gezogen worden, die die Ursache herausfanden und Liana und Manolo keine großen Hoffnungen machen konnten. Doch nach einer künstlichen Befruchtung war Liana schließlich doch schwanger geworden. Andrea erinnerte sich noch genau an das glückliche Gesicht der jungen Frau, als diese ihr während der Ferien mitteilte, dass sie jetzt in der elften Woche schwanger sei. Ob es sich um ein Mädchen oder einen Jungen handelte, wussten Liana und Manolo noch nicht, und das wollten sie auch nicht wissen. Sie träumten von einem gesunden Kind, das in einigen Monaten zur Welt kommen sollte. Mehr wünschten sie sich nicht.
Nun hatten Liana und Manolo ihren Besuch angekündigt. Aus welchem Grund die beiden sich entschlossen hatten, nach Deutschland zu kommen, wussten Andrea und Hans-Joachim nicht genau. Liana hatte ihnen lediglich mitgeteilt, dass es um eine Großtante aus Frankfurt ging.
Da Liana in Deutschland geboren und aufgewachsen war, war es nicht verwunderlich, dass hier noch Verwandte von ihr lebten, und warum sollte sie diese Verwandten nicht einfach einmal besuchen?
»Ob Liana und Manolo ihren Nachwuchs wohl mitbringen?«, fragte Andrea nachdenklich und schaute ihren Mann an. »Das Baby müsste inzwischen doch längst auf der Welt sein.«
Hans-Joachim dachte kurz nach. »Stimmt, wenn ich mich richtig erinnere, müsste das Kind inzwischen etwa zwei Monate alt sein. Es ist zwar beschwerlich, mit einem so kleinen Baby weite Reisen zu unternehmen, aber viele Leute sehen das sehr gelassen.«
»Stimmt«, bestätigte Andrea. »Ich freue mich schon darauf, das Baby zu sehen, und bin gespannt, ob es ein Junge oder ein Mädchen geworden ist. Übermorgen werden wir mehr wissen. Liana und Manolo haben uns mitgeteilt, dass sie um die Mittagszeit bei uns eintreffen werden. Ich werde eine spanische Tortilla für die beiden zubereiten. Hoffentlich gelingt sie mir. Ich möchte mich nicht blamieren.«
»Mit deinen Kochkünsten kannst du dich überhaupt nicht blamieren«, versicherte Hans-Joachim liebevoll und nahm seine Frau in die Arme. »Was immer du auch zubereitest, bis jetzt hat immer alles ausgezeichnet geschmeckt.«
»Ja, bis jetzt«, bestätigte Andrea und zwinkerte ihrem Mann schalkhaft zu. »Aber das kann übermorgen schon ganz anders aussehen. Du weißt selbst, dass manche Dinge sich ganz überraschend ändern.«
»Das mag sein. Aber deine Fähigkeiten verschlechtern sich nicht. Liana und Manolo werden von deiner Tortilla begeistert sein. Schließlich hast du das Rezept von ihnen persönlich bekommen, als wir bei ihnen in Galicien waren. Ihnen wird es schmecken, und ich freue mich auch schon jetzt auf diese leckere spanische Mahlzeit.«
*
Fabian und Ella waren ganz offiziell in das Büro des Direktors gerufen worden. Beide wussten, dass er mit ihnen über die Übersiedlung nach Deutschland sprechen wollte. Dass jetzt im letzten Augenblick vielleicht noch alles vereitelt werden könnte, befürchteten die beiden Kinder nicht. Trotzdem fühlten sie sich nicht ganz wohl, als sie das ehrwürdige, stilvoll eingerichtete Büro betraten. Ein bisschen schüchtern nahmen sie Platz, nachdem sie dazu aufgefordert worden waren.
»Ihr wisst sicher schon, worüber ich mit euch sprechen möchte«, begann der Direkter. »Fabian, nach dem Tod deiner Großtante, der mich übrigens auch jetzt noch betroffen macht, hat dein Vormund bestimmt, dass du in das Kinderheim zurückkehren sollst, in dem du früher gelebt hast. Ich persönlich habe über Sophienlust nur Gutes gehört und deshalb nichts dagegen, dass du wieder dort leben wirst. Wenn du es allerdings vorziehen solltest, hier bei uns zu bleiben, könnte ich mich bei deinem Vormund dafür einsetzen.«
Fabian wollte nicht offen zugeben, dass er nichts auf der Welt lieber tun würde, als wieder in Sophienlust zu leben. Er musste sich zusammenreißen, um nicht von seinem Stuhl aufzuspringen und Freudensprünge zu unternehmen.
»Ich bin sehr damit einverstanden, wieder nach Sophienlust zu gehen«, bemerkte er vorsichtig. »Es ist nicht so, dass dieses Internat hier schlecht wäre. Das ist es wirklich nicht, und ich will auch nicht undankbar für alles sein, was hier für mich getan worden ist. Aber ich habe lange Zeit in Sophienlust gewohnt und fühle mich dort zu Hause. Dort habe ich meine Freunde, und dort lebt auch meine Dogge Anglos. Deshalb fühle ich mich da wohl.«
»Ich würde gerne mit Fabian nach Sophienlust gehen«, ließ Ella sich vernehmen. »Er ist mein bester Freund. Das heißt, eigentlich ist er mein einziger Freund. Außer Fabian habe ich hier niemanden. Ich glaube, mich mag niemand so richtig. In Sophienlust wäre das bestimmt anders. Fabian hat mir erzählt, dass die Kinder, die dort wohnen, ganz anders sind als die in diesem Internat. Aber da gibt es noch ein Problem. Ich möchte Gero nicht im Stich lassen. Er ist jetzt im Tierheim, und da soll er nicht bleiben. Kinder, die in Sophienlust wohnen, dürfen ihre Tiere mitbringen. Gero ist doch mein Hund. Ich habe ihn gefunden und muss deshalb für ihn sorgen. Er soll mit mir nach Sophienlust gehen.«
»Seht ihr, genau darüber wollte ich mich mit euch beiden unterhalten«, erklärte der Direktor. »In den letzten Tagen habe ich nicht nur mit euren Vormunden gesprochen, sondern auch mehrere Telefonate mit Sophienlust geführt. Ich wollte ganz sicher sein, dass ihr in Zukunft optimal untergebracht seid und den Entschluss, das Internat zu verlassen, nicht irgendwann bereuen werdet. Dass du, liebe Ella, an dem kleinen Hund hängst, den du gerettet hast, ist mir klar. Es ist auch nicht meine Absicht gewesen, dich zu ärgern, als ich dir verbieten musste, den Hund mit in unser Haus zu bringen. Tierhaltung ist bei uns eben einfach nicht gestattet. Ganz persönlich freue ich mich darüber, dass das in Sophienlust anders ist. In drei Tagen werdet ihr beide nach dorthin übersiedeln. Ihr werdet zum Bahnhof begleitet. Am Zielort holen euch ein paar Mitarbeiter von Sophienlust ab.«
Ella wollte etwas sagen, aber der Direktor machte sofort eine beschwichtigende Geste. Verständnisvoll lächelte er dem Mädchen zu.
»Ich weiß schon was du sagen willst. Du denkst an Gero. Keine Sorge, der Hund wird euch beide begleiten. Unmittelbar bevor wir zum Bahnhof fahren, holen wir Gero im Tierheim ab. Das ist alles bereits geregelt. Ich hoffe, dass ihr beide zufrieden seid und unser Internat in guter Erinnerung behalten werdet.«
»Ja, das werden wir«, versprach Ella, obwohl sie sich längst entschlossen hatte, in Zukunft gar nicht mehr an das Internat zu denken. Ihre Zukunft lag in Sophienlust, jenem Kinderheim, in dem paradiesische Zustände herrschen mussten, wenn man Fabian glauben konnte.
Als die Kinder das Büro verlassen hatten und sich draußen auf dem Gang befanden, fiel Ella Fabian spontan um den Hals.
»Nur noch drei Tage, dann sind wir auf dem Weg nach Sophienlust! Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich freue. Ach, das Leben wird jetzt wunderschön, und das nicht nur für uns, sondern auch für Gero. Hoffentlich verträgt er sich gut mit deiner Dogge.«
»Die beiden werden vom ersten Tag an gute Freunde sein«, versicherte Fabian. »Anglos ist der friedfertigste Hund der Welt, und auch der Bernhardiner Barri ist ein ganz lieber Kerl. Es wird keine Probleme geben. Das kann ich dir versprechen. Die Hunde werden glücklich miteinander sein, ich habe endlich meine Freunde wieder bei mir, und dir wird es in Sophienlust prima gefallen. Ich glaube, es hat bisher noch nie ein Kind gegeben, das nicht gerne in Sophienlust gewesen wäre.«
Ella war unglaublich neugierig auf das Kinderheim und konnte die kommenden drei Tage, bis es endlich auf die Reise ging, kaum noch abwarten.
*
Andrea hatte den Tisch im Esszimmer gerade festlich gedeckt, als sie hörte, wie ein Wagen vorfuhr. Bei einem Blick aus dem Fenster erkannte sie Manolo und Liana da Silva, die gerade aus dem Fahrzeug stiegen und sich interessiert umschauten. Es dauerte nur Sekunden, bis Andrea das Haus verlassen hatte und bei ihren Gästen war. Auch Hans-Joachim, der gerade seinen letzten Patienten verabschiedet hatte, kam hinzu und begrüßte seine Gäste.