Mami Jubiläum 3 – Familienroman. Laura Martens
stand auf dem Zettel, den man auf dem Tisch gefunden hatte.
Sie war dazu schon entschlossen, als sie das Kind von mir holte, dachte Birgit. Warum hat sie Annika nicht bei mir gelassen? Warum sollte auch dieses kleine Geschöpf sterben?
Verstört ging sie im Warteraum der Klinik hin und her.
Annika wurde der Magen ausgepumpt. Dr. Allard und Dr. Fernand waren schon bereit gewesen, als sie eintrafen.
Sie dachte nicht daran, was nun aus diesem Kind werden sollte, wenn es am Leben blieb. Sie dachte nur, dass Annika leben müsse.
Birgit wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sich die Tür auftat.
Sie war ganz benommen. Eine Hand legte sich auf ihre Schulter.
»Wir werden das Kind durchbringen«, sagte eine dunkle Männerstimme. »Sind Sie eine Verwandte?«
Aus tränenverschleierten Augen blickte Birgit zu Dr. Allard auf. Schweigend schüttelte sie den Kopf.
»Es war furchtbar. Wie sie dalag …«, flüsterte Birgit. »Warum hat sie nicht gesagt, was sie bedrückt? Man hätte ihr vielleicht helfen können. Annika ist so lieb. Ich habe das Kind gern.«
Endlich konnte sie weinen. Die Tränen befreiten sie von dem schmerzenden Druck im Kopf.
Dr. Nicolas Allard begleitete sie dann zu Annika. Deren Gesichtchen hatte jetzt schon wieder ein bisschen Farbe. Birgit streichelte es.
»Wenn sie niemanden mehr hat, würde ich mich gern um sie kümmern«, sagte sie leise.
»Jetzt bleibt sie erst einmal hier. Alles andere wird sich finden«, erklärte Dr. Allard. »Ich lasse Sie jetzt nach Hause bringen.«
*
Fast hätte Birgit das Läuten des Weckers überhört, aber gleich danach schrillte auch ihre Türglocke.
Taumelnd erhob sich Birgit, schlüpfte in ihren Morgenmantel und öffnete. Ein Mann mittleren Alters stand vor ihr.
»Entschuldigen Sie die frühe Störung, Frau Lohmann«, erklärte er höflich, »aber ich möchte gern ein paar Auskünfte von Ihnen. Ich bin Kriminalinspektor Eisenmann.«
»Kriminalinspektor?«, wiederholte sie überrascht.
»Wir müssen feststellen, ob bei diesem Todesfall Fremdverschulden vorliegt«, bemerkte er.
»Aber Frau Nielsen hat doch eine Nachricht hinterlassen«, stammelte Birgit.
»Es wurde uns jedoch mitgeteilt, dass sich gestern ein Mann bei ihr befand. Sie kannten Frau Nielsen näher?«
»Nur Annika«, erwiderte Birgit schleppend. »Ich weiß wirklich nichts. Gestern machte Frau Nielsen auf mich einen kranken Eindruck.«
»Sie war tatsächlich sehr krank, wie die Obduktion ergeben hat. Sie hatte einen Gehirntumor. Diese Tatsache macht auch einen Selbstmord begreiflich. Warum sie allerdings das Kind mit in den Tod nehmen wollte, bleibt unklar. Es hat schließlich einen Vater.«
»Annika hat einen Vater?«, fragte Birgit verstört. »Sie sagte doch Onkel Horst zu ihm. Ich meine den Mann, der auch gestern bei Frau Nielsen war.«
»Annikas Vater heißt Bernd Nielsen. Er ist Schiffsarzt. So viel haben wir inzwischen in Erfahrung gebracht. Wo er sich derzeit befindet, wissen wir allerdings nicht. Anscheinend lebte das Ehepaar getrennt, aber geschieden waren sie nicht.«
»Annika hat nie von ihrem Vater gesprochen«, äußerte Birgit geistesabwesend.
»Wahrscheinlich werden Sie am ehesten von Annika erfahren können, was wissenswert für uns ist. Dr. Allard will uns nicht erlauben, mit der Kleinen zu sprechen, aber schließlich müssen wir den Aufenthaltsort des Vaters herausfinden. Und wir würden auch gern mehr über diesen Horst erfahren. Den Nachnamen wissen Sie wohl nicht?«
»Nein, ich weiß nichts. Frau Nielsen war sehr verschlossen.«
Inspektor Eisenmann verabschiedete sich höflich und bat um ihren Anruf, wenn sie noch etwas erfahren sollte.
*
Bambi war gerade aus der Schule gekommen und wusch sich die Hände, als das Telefon läutete.
Sie hörte im Badezimmer, was ihre Mami sagte, und das stimmte Bambi sehr nachdenklich.
»Wessen Kind ist denn in der Sternseeklinik, Mami?«, fragte sie, während sie noch ihre Hände trocknete.
»Die kleine Annika«, erwiderte Inge Auerbach.
»Warum schaust du so bekümmert? Ist sie sehr krank, Mami?«
»Es geht ihr schon wieder etwas besser.«
Inge war mit ihren Gedanken noch etwas abwesend. Was Birgit Lohmann gesagt hatte, beschäftigte sie sehr.
»Dann kann ich heute gar nicht mit ihr spielen, wenn du zu Frau Lohmann gehst«, meinte Bambi.
»Ich gehe nicht zu ihr, Kleines. Erst nächste Woche wieder.«
»Ist Frau Lohmann auch krank?«, fragte Bambi.
»Nein, aber sie möchte sich um Annika kümmern.«
»Annika hat doch auch eine Mutti.«
»Annikas Mutti ist gestorben«, erklärte Inge. Lieber sagte sie es Bambi gleich, als dass sie es von anderen erfuhr.
»Das ist aber schrecklich«, flüsterte Bambi mitleidvoll. »Aber es ist auch lieb, dass sich Frau Lohmann um sie kümmert. Kümmern wir uns auch um Annika, Mami?«
»Ja, mein Schatz, das tun wir, wenn es ihr besser geht.«
Inge kannte Birgit Lohmann jetzt schon einige Zeit und wusste, wie empfindsam dieses junge Mädchen war.
Es musste ein furchtbarer Schock sein, wenn nebenan ein Mensch auf diese Weise starb.
Inge Auerbach wusste aber auch, dass Birgit die kleine Annika sehr gern hatte.
»Bei Dr. Allard ist Annika gut aufgehoben«, sagte Bambi, und damit tröstete sie sich auch, denn jedes kranke Kind hatte ihr tiefstes Mitgefühl. »Rufst du nachher mal an und fragst, wie es ihr geht, Mami?«
Inge nickte. »Ruf jetzt Papi, Bambi. Ich höre Hannes kommen. Wir wollen essen.«
Appetit hatte sie keinen mehr. Der war ihr vergangen.
*
Endlich war es ein Uhr! Birgit nahm sich keine Zeit für eine Mahlzeit. Sie fuhr mit ihrem kleinen Wagen zur Sternseeklinik.
Sie hatte auch keine Möglichkeit, etwas für Annika zu besorgen, denn die Geschäfte hatten mittags geschlossen. Aber das konnte sie immer noch nachholen. Vorerst würde Annika sowieso noch nicht spielen können.
Sie traf Dr. Fernand, der sie zum Zimmer begleitete.
»Wie geht es Annika?«, war Birgits erste Frage.
»Wir sind ganz zufrieden, aber mehr hätte sie nicht schlucken dürfen«, erklärte er. »Und Sie waren zum Glück auch noch früh genug zur Stelle. Es wird wohl gut zwei Wochen dauern, bis sie wieder aufgepäppelt ist.«
Annika lag in ihrem Bett. Sie hielt einen Teddy im Arm.
»War denn schon jemand bei ihr?«, fragte Birgit betroffen.
»Den Teddy hat ihr Frau Allard gebracht«, sagte Dr. Fernand. »Es ist immer gut, wenn Kinder etwas im Arm haben, wenn sie erwachen. Sie fühlen sich dann nicht so allein.«
Birgit setzte sich an den Bettrand und nahm das kleine Händchen.
Lange Zeit saß sie so da und ließ den Blick zwischen dem Kind und dem Fenster, von dem aus man auf den Sternsee schauen konnte, hin und her schweifen.
Dann erreichte ein zitternder Seufzer ihr Ohr.
»Birgit«, sagte gleich darauf das heisere Stimmchen.
»Ja,