Der Landdoktor Classic 37 – Arztroman. Christine von Bergen
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»Chef?« Schwester Gertrud sah den Landarzt sichtlich genervt an. »Es ist wieder so weit.«
Dr. Matthias Brunner blickte vom Computerbildschirm auf. »Was ist wieder so weit?«
»Frau Ruben hat gerade angerufen und ihren Aufenthalt bei uns in der Miniklinik angekündigt.«
Matthias musste lachen. »Da schau an, unsere geliebte Patientin aus Baden-Baden.«
»So lustig finde ich das nicht«, erwiderte seine altgediente Sprechstundenhilfe trocken. »Dieses Mal kommt sie übrigens mit ihrer Nichte. Sie hat Semesterferien.«
»Wer? Mathilda Ruben oder ihre Nichte?«, scherzte der Landdoktor.
»Die Nichte natürlich«, gab Gertrud unwirsch zurück.
»Ist die Nichte auch krank?«
»Sie kennen die Ruben doch, Chef. Sie reist nie ohne Gefolge. Die beiden letzten Male hatte sie ihre Haushälterin dabei. Die Nichte wird übrigens in der Pension Waldfrieden wohnen, solange Madame bei uns logiert. Um die Unterbringung soll ich mich kümmern.«
Der Landdoktor hob mit amüsierter Miene die graumelierten Brauen. »Und? Werden Sie?«
Er kannte seinen Praxisdrachen seit Jahrzehnten und wusste, wie ungern Gertrud Befehle entgegen nahm. Und schon gar nicht von Mathilda Ruben.
»Ich werde Monika bitten, das zu regeln.«
Monika Hauser gehörte zu dem kleinen Team der Miniklinik. Sie war Nachtschwester und half aus, wenn sie gebraucht wurde.
Matthias lehnte sich im Schreibtischsessel zurück und schob die Brille ins Haar. »Diese Frau ist wirklich eine merkwürdige Person«, murmelte er, während er zum Fenster hinaus in den Sonnenschein blickte. »Sie war sehr reich verheiratet, aber auch sehr unglücklich, wie sie mir einmal in einer schwachen Stunde anvertraut hat«, fuhr er fort. »Diese unglückliche Ehe mag eine Erklärung für ihre Härte sein, die sie ihren Mitmenschen gegenüber walten lässt.«
»Vielleicht eine Erklärung, aber keine Entschuldigung«, erwiderte der Praxisdrache unbarmherzig.
»Ganz bestimmt nicht«, stimmte er Gertrud zu. »So meinte ich das auch nicht. Ich habe nicht vor, mir auf der Nase tanzen zu lassen, nur weil sie Geld hat. Hier werden alle gleich behandelt.«
»So soll es sein, Chef. Dafür werde ich sorgen, worauf Sie sich verlassen können.«
Der Landdoktor unterdrückte ein Schmunzeln.
Von einer reichen Industriellenwitwe ließ sich seine langjährige Helferin nicht tyrannisieren. O ja, diese Woche konnte ja mal wieder heiter werden. Mathilda Ruben war kerngesund, zumindest bislang. Sie litt jedoch ständig unter der Panik, in ihrem Körper könnte eine gefährliche Krankheit schlummern, der er auf die Spur kommen sollte. Einmal im Jahr kam sie in die Miniklinik zu einem großen Gesundheitscheck angereist und blieb oft auch länger als geplant, sofern dass Krankenzimmer nicht für einen wirklichen Kranken gebraucht wurde. Mathilda Ruben zog aus für ihn unerklärlichen Gründen den Aufenthalt in seiner kleinen Klinik auf dem Praxishügel dem in einem der vielen schönen Sanatorien in Baden-Baden und Umgebung vor. Nun gut, nun wusste er Bescheid. Er ahnte schon, was sein Lockenköpfle dazu sagen würde: »Freu dich doch, mein Schatz, dann bekommst du eine Woche lang von mir dein Lieblingsessen gekocht. Auch wenn du nicht die gleichen Marotten wie unsere Patientin hast, habt ihr den gleichen Geschmack. Madame mag es auch gern deftig.«
*
»Ich habe nie verstanden, wie du dich in einen solchen Jungen verlieben konntest«, sagte Mathilda Ruben mit strenger Miene, während sie ihren Blick über ihr parkähnliches Grundstück schweifen ließ, wo unter einem strahlend blauen Sommerhimmel üppig blühende Rosen- und Rhododendrenbüsche ihre Farben versprühten. Vögel sangen in der mannshohen Buchsbaumhecke, die die ausladende Terrasse vor fremden Blicken schützte.
Diese Idylle trog jedoch. Wieder einmal gab es Streit in der Villa, eine der schönsten im besten Wohnviertel von Baden-Baden.
»Wie oft soll ich dir noch sagen, dass ich nicht in Roman verliebt war?«, antwortete Liane Sauter hitzig. Dabei verdrehte die junge Frau genervt die großen nebelgrauen Augen. »Wir sind ein paar Mal ausgegangen, und es ist nichts passiert.«
»Aber die Leute haben dich mit ihm gesehen. Mit so einem«, fügte die Industriellenwitwe höhnisch hinzu. Sie setzte sich in dem tiefen, dick gepolsterten Terrassenstuhl aufrecht hin, nicht ohne dabei ihr Gesicht schmerzhaft zu verziehen. »Du bist meine Nichte, mein Kind. Du hast den guten Ruf unserer Familie zu vertreten. Und dann lachst du dir einen Klempner an.« Mit verbittertem Gesichtsausdruck, der ihre ohnehin schon harten Züge noch härter erscheinen ließen, fügte sie mit einer guten Portion Selbstmitleid hinzu: »Ich bin eigentlich viel zu gutmütig. Ich müsste dich mehr unter Druck setzen.«
Noch mehr?, fragte sich Liane stumm. Ihre sonst so sanft blickenden Augen blitzten auf. Sie wusste nur zu gut, auf welches leidige Thema ihre Tante gleich wieder zu sprechen kommen würde. »Nur damit du es weißt, Tante, ich werde selbst entscheiden, wen ich einmal heirate«, erwiderte sie in erregtem Ton. »Ich werde mich nicht verkuppeln lassen. Ob Klempner oder Müllmann, Hauptsache, ich liebe den Mann«, setzte sie trotzig hinzu. »Auch wenn ich erst zweiundzwanzig bin und noch studiere, kann ich mein Leben zur Not auch allein bestreiten. Immerhin habe ich von meinen Eltern ein bisschen Geld geerbt.«
Mathilda lachte kurz und schneidend auf.
»Wie du schon sagst. Zur Not und auf unterstem Niveau. Ja, diesbezüglich gebe ich dir recht, aber vergiss bitte nicht dabei, dass du seit dem Tod deiner Eltern, seit du bei mir lebst, ein anderes, sehr viel besseres Leben gewöhnt bist. Es ist schwer, den Lebensstandard herunterzuschrauben. Glaub mir das.«
Liane seufzte. Dann stand sie auf und sagte leise: »Ich sauge mal die Böden. Damit du nicht sagen kannst, ich würde nichts tun für das Geld, mit dem du mir dieses bessere Leben ermöglichst.«
»Das finde ich sehr lieb von dir«, antwortete Mathilda mit zuckersüßem Lächeln. »Jetzt, da meine Haushälterin krank ist, kann ich tatsächlich ein bisschen Hilfe gebrauchen. Übrigens, ich habe mich heute wieder im Ruhweiler Tal angemeldet. Und du begleitest mich dieses Mal. Du hast ja Semesterferien. Ich muss mich wieder einmal gründlich untersuchen lassen. Und brauche zudem auch ein bisschen Ruhe. Bei Dr. Brunner und seinem Team fühle ich mich diesbezüglich sehr gut aufgehoben.«
Die Kunststudentin unterdrückte ein belustigtes Lächeln.
Ihre Tante, die Hypochonderin. Sie bewunderte den Landdoktor und freute sich darauf, ihn kennen zu lernen. Jedes Jahr nahm der Landarzt die vielfältigen Beschwerden ihrer Tante aufs Neue ernst und erklärte ihr nach der einen Woche ihres Aufenthaltes wiederum aufs Neue geduldig, in welch guter körperlicher Verfassung sie sei, was diese jedoch nie glaubte.
*
Liane und ihre Tante hatten die verkehrsreiche Autobahn inzwischen hinter sich gelassen und befanden sich nun auf der Landstraße, die hinauf in die Schwarzwaldberge führte.
»Wunderschön ist es hier«, bewunderte Liane die Landschaft, die sich zu beiden Seite der Straße erstreckte.
Man sah nichts anderes als bunte Sommerwiesen, die bis zu den schwarz bewaldeten Hügeln reichten, und in den idyllischen kleinen Tälern Ansammlungen von Bauernhäusern mit tief hinunter gezogenen Schindeldächern. Sie drängten sich zusammen, als wollten sie sich gegenseitig vor den rauen Winterstürmen schützen, für die der hohe Schwarzwald bekannt war.
»Ja, hier ist es sehr schön«, antwortete ihre Tante in zufrieden klingendem Ton. »Ich fahre nicht umsonst schon seit Jahren in diese Privatklinik, um etwas für mein Asthma zu tun.« Mathilda seufzte mit bekümmerter Miene. »Hoffentlich können die Ärzte dieses Mal auch etwas für meine Beine tun«, fügte sie hinzu.
»Das hoffe ich auch«, erwiderte Liane.
Sie musste kurz überlegen, ob ihre Tante jemals Asthma gehabt hatte. Nein, das angebliche Asthma hatte sich vergangenes Jahr als schlichter Husten herausgestellt. Und ihr schweres Atmen lag an ihrem Übergewicht. Ob sie sich die Schmerzen in den Beinen auch einbildete oder zumindest übertrieb?
Die