Dr. Norden Classic 43 – Arztroman. Patricia Vandenberg

Dr. Norden Classic 43 – Arztroman - Patricia Vandenberg


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Hilde … ich meine Frau Bärwald nicht bald zurückkommt, können wir bald dicht machen«, prophezeite Tatjana düster. »Die Kunden beschweren sich schon jetzt, dass die Vanille-Schnecken fad schmecken und die Brötchen schon nach ein paar Stunden nicht mehr frisch sind.«

      Danny saß an seinem Schreibtisch und betrachtete nachdenklich das Foto seiner Freundin. Es zeigte eine außergewöhnliche, fröhliche junge Frau mit blondem Haarschopf und dunkelblauen, geheimnisvollen Augen, die jeden betörten, der ihren Blick einfing. Während Tatjana ihm ihr Leid klagte, hatte Danny einen kurzen Augenblick lang den Eindruck, als lägen diese Zeiten lange zurück. Dabei war das Foto gerade erst ein paar Monate alt, aufgenommen bei einer Familienfeier auf der Insel der Hoffnung. Seither hatte sich vieles verändert und nicht gerade zum Besten, wie er unwillig feststellte.

      »Und was, wenn du dich auf das konzentrierst, was für dich im Augenblick wichtig ist?«, machte er einen behutsamen Vorschlag.

      »Das würde ich ja gerne.« Tatjana, die sich einen Moment lang auf die äußerste Kante ihres kleinen Sofas gesetzt hatte, sprang wieder auf und setzte ihren rastlosen Marsch fort. »Vor allen Dingen muss ich mich mit meinen Gesellenstücken beschäftigen. Leider funkt mir diese Dorothee ständig dazwischen. Außerdem findet sie meine Idee total bescheuert.«

      Obwohl Danny die Stellvertreterin nicht persönlich kannte und es vorzog, sich ein eigenes Urteil zu bilden, wurde ihm Dorothee immer unsympathischer. Vor allen Dingen auch deshalb, weil sie dafür verantwortlich war, dass seine Freundin die Abende statt bei ihm in ihrer Küche verbringen musste, um dort ihre Versuche zu machen.

      »Deine Idee mit dem essbaren Schmuck ist toll!«, unterstützte er Tatjana nach Leibeskräften. »Offenbar hat diese Dorothee wirklich keine Ahnung.«

      »Sag ich doch!« Dass ihr Freund zu ihr hielt, stimmte die sehbehinderte junge Frau etwas milder. »Übrigens musst du dir unbedingt meine gebackenen Ohrringe ansehen. Ich glaube, sie sind ganz gut geworden.«

      »Mit Sicherheit sind sie einzigartig.« Wenn Danny an die Kreationen dachte, die er bisher zu Gesicht bekommen hatte, stieg seine Bewunderung für Tatjana ins Grenzenlose. Die Kunstwerke aus Teig, die sie trotz ihrer Sehbehinderung schuf, grenzten an kleine Wunderwerke, die ein Sehender nicht schöner hätte herstellen können. Kunstvoll verzierte, filigrane Kettenanhänger aus Baiser waren ebenso Teil ihrer Kollektion wie die dünnen Ringe aus Keksteig, die – geschmückt mit Edelsteinen aus Zuckerkristallen – täuschend echt aussahen. Und nun offenbar noch Ohrringe. Obwohl die Ergebnisse schon jetzt perfekt waren, probierte Tatjana immer weiter, vervollkommnete ihre Fähigkeiten, war nie zufrieden mit dem Resultat. »Am besten zeigst du sie meiner Familie. Wie ich meine Lieben kenne, werden sie vor Begeisterung ganz aus dem Häuschen sein«, prophezeite Danny.

      Doch Dorothee hatte ganze Arbeit geleistet, und das Selbstbewusstsein der jungen Bäckerin war ordentlich angekratzt.

      »Meinst du wirklich?«, zweifelte Tatjana ihr eigenes Talent an. »Na ja, ich hab ein paar Fotos gemacht und entwickeln lassen. Die kannst du ja mal mit in die Praxis nehmen.«

      Inzwischen stand sie in der Küche und ließ die Fingerspitzen über das zarte, aber dennoch stabile Gebäck gleiten, aus dem sie die Ohrringe herstellen wollte. Allein die Entwicklung des Teiges und der silbernen und goldfarbenen Versiegelung hatte Tage in Anspruch genommen.

      »Warum zeigst du sie nicht persönlich her?«, blieb Danny aber trotz allem Verständnis hartnäckig. Allmählich wurde er ungeduldig. Es gab noch andere Dinge, die er mit seiner Freundin besprechen wollte. »Übrigens lässt Mum ohnehin anfragen, ob wir heute Abend mal wieder vorbeikommen. Wir waren ja schon länger nicht mehr zum Abendessen da«, wechselte er kurzentschlossen das Thema.

      Doch der Plan missglückte. Sensibel, wie sie war, hatte Tatjana den feinen ungeduldigen Unterton in seiner Stimme bemerkt.

      »Ich langweile dich mit meinen Problemen, stimmt’s?«, sagte sie Danny auf den Kopf zu.

      »Nein, natürlich nicht«, wehrte sich der junge Arzt entschieden und setzte sich kerzengerade am Schreibtisch auf. Das, was er im Augenblick am wenigsten brauchen konnte, war Ärger mit Tatjana. Vielmehr brauchte er ihre Unterstützung und Liebe, um mit der Doppelbelastung, die Arbeit und Doktorarbeit mit sich brachte, zurechtzukommen. »Mum hat mich nur gebeten …«

      »Schieb bitte nicht deine Mutter vor«, erklärte Tatjana in einem Tonfall, den Danny nie zuvor an ihr gehört hatte.

      Offenbar hatte ihre Reizbarkeit eine neue Dimension erreicht, und er konnte sich nur wundern. Im ersten Augenblick hatte er einen entsprechenden Kommentar auf den Lippen. Doch dann hielt er sich zurück.

      »Jana, bitte. Was ist denn los mit dir?«, fragte er stattdessen mit einem Anflug von Verzweiflung. Eine Ahnung überkam ihn und ließ sein Herz schwer werden. »Ist es wegen dem geplanten Umzug? Willst du deine Studentenbude doch nicht aufgeben, um zu mir zu kommen?«, hielt er mit seiner Sorge nicht hinter dem Berg.

      Inzwischen hatte Tatjana ihren rastlosen Marsch wieder aufgenommen.

      »Doch, natürlich. Im Gegensatz zu dir halte ich mich nämlich an meine Zusagen«, erinnerte sie ihren Freund schnippisch daran, dass er jetzt schon mit seiner Dissertation begonnen und nicht wie besprochen bis zum Ende ihrer Ausbildung damit gewartet hatte. »Ich komme morgen pünktlich um sechs zu dir. Dann fangen wir an zu streichen.«

      Obwohl sich Danny trotz oder gerade wegen der Unstimmigkeiten danach sehnte, sie in die Arme zu schließen, beharrte er nicht auf einem Treffen.

      »In Ordnung«, gab er sich geschlagen, als er Bitsis ansteckendes Lachen auf dem Flur hörte. Offenbar war die Malerin im Begriff zu gehen und einen kurzen, heißen Moment lang bedauerte Danny es, nicht gemeinsam mit seiner Jugendfreundin dort draußen zu stehen und zu scherzen. »Dann bis morgen«, verabschiedete er sich knapp von Tatjana, um wenigstens noch den Nachhall von Bitsis Lachen zu hören.

      *

      Fee Norden saß am Schreibtisch in ihrem Büro in der Behnisch-Klinik und fuhr sich über die müden Augen. Ein langer, anstrengender Arbeitstag lag bereits hinter ihr, und noch war er nicht zu Ende. Deshalb beschloss sie, sich eine kurze Pause zu gönnen. Sie stand auf, streckte den schmerzenden Rücken durch und verließ ihr Büro in Richtung Schwesternzimmer. Drei Kinder kamen ihr lachend und kreischend entgegen.

      »Hoppla, nicht so hastig!« Um ein Haar wäre ihr kleiner Patient Benjamin mit ihr zusammengestoßen und es war nur Fees Geistesgegenwärtigkeit zu verdanken, dass nichts passierte. Sie hielt ihn an den Schultern fest und sah in die erhitzten Kindergesichter. »Ich freu mich sehr, dass es euch schon wieder so gut geht«, sagte sie lächelnd. »Trotzdem muss ich euch bitten, dass ihr zum Toben ins Turnzimmer geht. Ihr wollt doch eure Freunde hier nicht stören, oder?«

      Schuldbewusst senkten die Kinder den Blick.

      »Nö. Tut uns leid!« Benjamin war der Anführer der Gruppe und übernahm auch die Antwort. »Kommt nicht wieder vor, Frau Dr. Fee!« Er wusste um seinen Charme und nutzte dieses Wissen erbarmungslos aus, indem er auch noch Fees Spitznamen benutzte, der sich bei den kleinen Patienten eingebürgert hatte.

      Er verfehlte sein Ziel nicht, und Felicitas Norden lachte belustigt auf.

      »Schon gut, du kleiner Racker!« Die Ärztin gab ihm einen liebevollen Klaps und schickte die Kinder weiter.

      Sie sah ihnen nach, wie sie tuschelnd und kichernd und mühsam beherrscht weitergingen. Kaum hatten sie die Ecke erreicht, als sie auch schon wieder in Laufschritt verfielen.

      Kopfschüttelnd und lächelnd ging auch Fee weiter und gesellte sich schließlich zu den beiden Kollegen, die bei Kaffee und Gebäck über einen Dienstplan gebeugt an einem Tisch des Schwesternzimmers saßen. Einer von ihnen war Dr. Mario Cornelius, Fees Bruder und Chef der Pädiatrie.

      »Ich bin schon so oft für dich eingesprungen«, wandte sich Dr. Kohler wieder an seinen Gesprächspartner, nachdem er die allseits beliebte Kollegin mit einem Lächeln begrüßt hatte.

      »Was kann ich denn dafür, dass Schwester Carina nur an diesem einen Abend Zeit hat?«, fragte Mario Cornelius unwillig. Nach monatelangem


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